Rz. 24

Das Berufungsgericht führte aus: Für den Beklagten zu 2 sei bei der Annäherung an das Fahrzeug des Klägers erkennbar gewesen, dass die hintere linke Tür zum Teil geöffnet war und dass eine Person in der Tür stand. Der Beklagte zu 2 habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass die erkennbar schon geöffnete Tür sich nicht weiter öffnen werde. Es könne nicht mehr geklärt werden, ob der Kläger beim Abschnallen seines Kindes gegen die Tür gestoßen sei und diese weiter geöffnet habe oder aber ob die Tür sich durch den Luftzug des vorbeifahrenden Lkw weiter geöffnet habe. Mit beiden Möglichkeiten habe der Beklagte zu 2 rechnen müssen. Er habe gewusst, dass er einen sehr großen Lkw fahre, der einen erheblichen Luftzug verursache, der ausreichen’ könne, eine Kraftfahrzeugtür weiter zu öffnen, wenn diese nicht ordnungsgemäß festgehalten werde. Er habe auch die Möglichkeit einkalkulieren müssen, dass der Kläger die Tür nicht ordnungsgemäß festhalte oder dass er an die Tür stoße und diese weiter öffne und dass durch eine solche Bewegung die Tür ihren maximalen Öffnungswinkel erreiche. Vor diesem Hintergrund sei der gewählte Sicherheitsabstand zu gering gewesen. Der Beklagte zu 2 habe notfalls auf die Gegenfahrbahn ausweichen oder, wenn dies infolge Gegenverkehrs nicht möglich gewesen sei, sein Fahrzeug anhalten müssen. Der Beklagte zu 2 habe bei gehöriger Beobachtung der Situation auch erkennen können, dass der Kläger ihm den Rücken zuwandte, und habe deshalb nicht darauf vertrauen dürfen, dass er die Annäherung des Lkw bemerken und sich darauf einstellen würde.

 

Rz. 25

Auf der anderen Seite habe der Kläger durch das Öffnen der linken Tür, die, während er sich hineingebeugt habe, zumindest den Rand des rechten Fahrstreifens tangiert oder möglicherweise in diesen hineingeragt habe, eine Gefahrenquelle geschaffen. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass vorbeifahrende Fahrzeuge einen auch bei einer sich weiter öffnenden Tür ausreichenden Sicherheitsabstand einhalten würden. Er sei, auch wenn er im Fahrzeug hantierte, verpflichtet gewesen den sich von hinten nähernden Verkehr zu beobachten. Hier habe er den sich nähernden Lkw alleine aufgrund der Geräuschentwicklung eines solch großen Fahrzeugs leicht wahrnehmen können und sich darauf einstellen müssen. Er habe dann, obwohl er dabei gewesen sei, das Kind abzuschnallen, die Tür gegen ein weiteres Öffnen durch Festhalten sichern müssen.

Bei dieser Sachlage sei eine Haftungsverteilung von 50 : 50 angemessen.

 

Rz. 26

Die dagegen gerichtete Revision hatte im Ergebnis keinen Erfolg.

Die hälftige Quotierung des Schadens durch das Berufungsgericht ließ entgegen der Ansicht der Revision keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind. Dies war vorliegend der Fall.

 

Rz. 27

Die Revision beanstandete ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe das Verhalten des Klägers am Maßstab des § 14 Abs. 1 StVO gemessen.

Nach dieser Vorschrift muss sich, wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist (vgl. KG, NZV 2008, 245 f.). Erfasst sind insbesondere auch Situationen, in denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen oder – wie hier – einem Kind beim Ein- oder Aussteigen zu helfen. Die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO beschränkt sich entgegen der Ansicht der Revision nicht ausschließlich auf solche Vorgänge, bei denen sich durch das unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein Überraschungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer ergibt. Das Gesetz stellt nicht auf das überraschende Öffnen einer Fahrzeugtür ab, sondern auf das Aus- und Einsteigen als solches, da ein solcher Vorgang aus unterschiedlichen Gründen mit erheblichen Gefahren für den fließenden Verkehr verbunden sein kann. Zwar ergeben sich die Gefahren beim Aussteigen vielfach daraus, dass eine Fahrzeugtür durch einen für den fließenden Verkehr nicht erkennbaren Fahrzeuginsassen überraschend geöffnet wird. Doch beschränkt sich der vom Gesetz erfasste Gefahrenkreis nicht ausschließlich darauf. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Sorgfaltsanforderung auch für Einsteigevorgänge gilt, bei denen der Einsteigende in der Regel für den f...

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