Rz. 115

Faktisch ist es natürlich eine Einschränkung des Mandats, wenn der Anwalt nur als örtlicher Prozessvertreter am Sitz des Gerichts tätig wird, während der Kontakt zum Mandanten über den Verkehrsanwalt läuft. Rein (haftungs-)rechtlich betrachtet ist aber auch das Prozess-Mandat umfassend und keineswegs weniger riskant als die übliche anwaltliche Tätigkeit.

Allein dem Prozessanwalt obliegt nämlich die Pflicht zu einem ordnungsmäßigen prozessualen Handeln gegenüber dem Prozessgericht, und allein der Prozessanwalt ist auch dann in vollem Umfang für den Inhalt der bei Gericht eingereichten Schriftsätze verantwortlich, wenn der Verkehrsanwalt diese Schriftsätze entworfen hat,[379] mag der Prozessanwalt seine Distanzierung von diesen Schriftsätzen auch noch so sehr dadurch zum Ausdruck bringen, dass er sie nur mit seinem Stempel versieht anstatt sie auf seinem Kanzleipapier noch einmal auszudrucken; mit solchen Gesten schützt der Prozessanwalt bestenfalls seine Reputation am Gerichtsort, nicht aber sich selbst vor der aus solchen Schriftsätzen möglicherweise resultierenden Haftung.[380]

 

Rz. 116

Fertigt der Korrespondenzanwalt die Schriftsätze, muss er die Termine ebenso überwachen[381] wie der Prozessanwalt.[382]

Der Prozessanwalt und nicht der Verkehrsanwalt muss das Prozessgericht auf Fehler und Unklarheiten von (Beweis-)Beschlüssen hinweisen und versuchen, das Gericht von seiner Auffassung zu überzeugen.[383] Hält der Prozessanwalt die vom Verkehrsanwalt vorgeschlagene Taktik für unzweckmäßig oder nachteilig, dann ist es an ihm, auf seine Bedenken hinzuweisen, wenn er vermeiden will, später vom enttäuschten Mandanten in Anspruch genommen zu werden.[384]

 

Rz. 117

Der Verkehrsanwalt seinerseits ist demgegenüber zwar nicht verpflichtet, den Prozessanwalt zu überwachen,[385] darf aber den gemeinsamen Mandanten nicht "ins offene Messer laufen lassen", wenn er erfährt, dass der Prozessanwalt seinen Pflichten nicht ausreichend nachkommt.

 

Beispiel: Rechtsmittel

Der Prozessanwalt übersendet das erstinstanzliche Urteil an den gemeinsamen Mandanten ohne jegliche Belehrung über Rechtsmittelfristen und -aussichten. Auch stellt er nicht klar, dass er ohne ausdrückliche Weisung kein Rechtsmittel einlegt. In diesen Fällen haftet auch der Verkehrsanwalt, der das Schreiben kennt und trotzdem nicht bei dem Mandanten nachfragt, ob er hier die Einlegung der Berufung wünscht.[386]

Allein verantwortlich ist der Verkehrsanwalt lediglich für Fehler, die aus seinem eigenen Pflichtenkreis stammen, etwa dann, wenn ein Schaden daraus resultiert, dass es im Informationsfluss zwischen ihm und dem gemeinsamen Mandanten zu Störungen kam. Außerdem ist es an ihm, den gemeinsamen Mandanten zu beraten[387] – von den erwähnten Ausnahmen abgesehen.

Die Haftung trifft den Korrespondenzanwalt im Übrigen unabhängig davon, ob er für seine ­Bemühungen vom Mandanten auch bezahlt wird.[388]

[379] BGH, Urt. v. 7.4.2004 – XII ZR 253/03, www.bundesgerichtshof.de; OLG Celle, Urt. v. 21.9.2005 – 3 U 99/05, www.olg-celle.niedersachsen.de; BGH NJW 1988, 1079.
[380] OLG Celle, Urt. v. 5.11.1997 – 3 U 217/96, www.olg-celle.niedersachsen.de; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.1.1994 – 24 U 242/92 – n.v.; vgl. auch Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung, Rn 212.
[382] BGH NJW-RR 1997, 824; zur gesamtschuldnerischen Haftung von Prozess- und Verkehrsanwalt dort, wo sich die Pflichten überschneiden, vgl. OLG Celle, Urt. v. 5.11.1997, besprochen von Borgmann, BRAK-Mitt. 1998, 70 und Jungk, BRAK-Mitt. 2001, 288.
[383] BGH NJW 1988, 486; siehe auch Rechtsprechung zur Pflicht des Anwalts, Rechtsirrtümern des Gerichts vorzubeugen unter Rdn 47.
[384] BGH NJW-RR 1990, 1241.
[385] BGH NJW 1988, 486.
[386] BGH VersR 1996, 707.
[387] OLG Düsseldorf VersR 1989, 850; OLG Düsseldorf NJWE-VHR 1998, 234.
[388] OLG Hamm, Urt. v. 7.2.1991 – 28 U 154/90.

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