1. Vorbemerkung

 

Rz. 61

Das reformierte VVG 2008 schafft eine Vielzahl von prozessualen Besonderheiten mit unterschiedlichen Konstellationen.

2. Trennungsprinzip

 

Rz. 62

Die bisherige "klassische" Trennung zwischen Haftpflichtprozess und Deckungsprozess wird wegen der Möglichkeit der Abtretung des Freistellungsanspruchs keine große Bedeutung mehr haben. Dieses Trennungsprinzip hat für sämtliche Altfälle noch Bedeutung, für Neufälle dann, wenn der Geschädigte es ablehnt, sich überhaupt mit dem Versicherer auseinanderzusetzen.

 

Rz. 63

Die Frage der Haftung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Geschädigten wird dann im Haftpflichtprozess geklärt, die Deckungspflicht des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer in einem weiteren – getrennten – Prozess.

 

Rz. 64

Aus anwaltlicher Vorsorge dürfte es sich im Regelfall empfehlen, bereits im Haftpflichtprozess dem Haftpflichtversicherer den Streit zu verkünden und zwar sowohl bei Vertretung des Versicherungsnehmers als auch des Geschädigten.

 

Rz. 65

Der Haftpflichtversicherer darf dann nicht dem Geschädigten beitreten, insbesondere nicht mit dem Ziel, eine Verurteilung des Versicherungsnehmers wegen Vorsatzes zu erreichen. Der Beitritt des Haftpflichtversicherers auf Seiten des Klägers stellt daher einen Verstoß gegen versicherungsvertragliche Treue- und Rücksichtnahmepflichten dar.[27]

3. Bindungswirkung

 

Rz. 66

Im Deckungsprozess ist ein im Haftpflichtprozess ergangenes Urteil bindend, selbst wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt.[28] Die Feststellungen im Haftpflichtprozess sind für den Deckungsprozess jedoch nur dann bindend, wenn Voraussetzungsidentität besteht. Wenn es im Haftpflichtprozess unerheblich ist, ob der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (§ 823 Abs. 1 BGB), sind die Ausführungen im Haftpflichturteil für den Deckungsprozess nicht bindend, soweit lediglich ein schuldhaftes Verhalten festgestellt wird.[29]

 

Rz. 67

Die Feststellung im Haftpflichturteil des Geschädigten gegen den Versicherungsnehmer ist für den Deckungsprozess verbindlich, soweit Voraussetzungsidentität besteht. Wenn im Haftpflichtprozess eine Verurteilung wegen Fahrlässigkeit erfolgt, kann gleichwohl im Deckungsprozess die Frage der wissentlichen Pflichtverletzung geprüft werden, da im Haftpflichtprozess der Grad des Verschuldens unerheblich ist.

[28] BGH – IV ZR 171/02, r+s 2003, 106; OLG Koblenz – 10 U 189/94, r+s 1995, 92.
[29] BGH, NJW-RR 2004, 67 = VersR 2004, 591 = zfs 2004, 226.

4. Prozessparteien

 

Rz. 68

Der Versicherungsnehmer kann gegen den Versicherer auf Leistung klagen, wenn er – der Versicherungsnehmer – die Ansprüche des Geschädigten reguliert hat. Ist dies nicht der Fall, beschränkt sich die Klage im Deckungsprozess auf die Feststellung, dass der Versicherer Versicherungsschutz zu gewähren hat. Nicht zulässig ist eine Klage auf Freistellung, weil nicht die Befriedigung des Haftpflichtgläubigers verlangt werden kann.[30]

 

Rz. 69

Der Geschädigte kann nunmehr unmittelbar gegen den Haftpflichtversicherer Klage erheben, wenn der Versicherungsnehmer seinen Freistellungsanspruch an ihn abgetreten hat. In diesem Fall steht dem Geschädigten der Versicherungsnehmer als Zeuge zur Verfügung.

 

Rz. 70

Möglich ist auch eine Klage gegen Haftpflichtversicherer und Versicherungsnehmer, die allerdings nicht gesamtschuldnerisch haften, zumal auch eine Vielzahl von Ansprüchen denkbar ist, die gegenüber dem Versicherungsnehmer begründet sind, nicht aber gegenüber dem Haftpflichtversicherer. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich gehandelt hat.

[30] BGH, NJW-RR 2001, 316 = VersR 2001, 90; OLG Karlsruhe, r+s 2006, 17; van Bühren/Bücken/Hartwig, Handbuch Versicherungsrecht, § 9 Rn 120 m.w.N.

5. Drittwiderklage gegen den Versicherungsnehmer

 

Rz. 71

In vielen Schadenfällen, insbesondere bei kollusivem Verhalten zwischen Versicherungsnehmer und Geschädigtem, wird der Versicherungsnehmer als Zeuge für den Eintritt des Schadenfalles und die Höhe des Schadens benannt. Diese prozessual für den Versicherer ungünstige Situation kann der Versicherer dadurch beseitigen, dass er eine isolierte Drittwiderklage gegen den Versicherungsnehmer erhebt mit dem Feststellungsantrag, dass kein Deckungsanspruch besteht.

 

Rz. 72

Diese Drittwiderklage ist auch dann zulässig, wenn der Versicherungsnehmer ausdrücklich erklärt, er stelle nach Abtretung seiner Ansprüche keine eigenen Ansprüche mehr gegen den Versicherer.

 

Rz. 73

Der BGH[31] geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auch eine isolierte Drittwiderklage gegen den Zedenten zulässig ist, da nicht auszuschließen ist, dass der Abtretungsvertrag nichtig oder anfechtbar ist, so dass nur eine negative Feststellungsklage der sichere Weg ist, eine rechtskräftige Entscheidung gegenüber dem Widerbeklagten zu erwirken.

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