Rz. 6

In den meisten Stellungnahmen von Verbänden wurde die Regelung trotzdem abgelehnt,[3] wie auch in der juristischen Literatur[4] und sogar in der Facharbeitsgruppe 3 beim BMJV.[5] Das Motiv der Kostenreduzierung wird als leitend angenommen.[6] Aus den Kreisen der Ärzteschaft scheint eher Zustimmung zu kommen[7] mit Kritik im Detail, insbesondere am Verwaltungsaufwand.[8]

 

Rz. 7

Es liegt nahe, dass in Zukunft über den Anwendungsbereich des § 1358 BGB n.F. hinaus standardmäßig eine Vertretungsmacht des Ehegatten angenommen werden wird. Es ist also zu befürchten, dass Ärzte (wie immer wieder schon jetzt) einfach mit dem gesunden Ehegatten sprechen und Entscheidungen treffen und die Kommunikation mit einen einwilligungsfähigen, aber krankheitsbedingt eingeschränkten, betroffenen Ehegatten auch aus Zeitgründen vermeiden. Dies würde das Vorhaben "konterkarieren", die sonst in der Reform hervorgehobene Selbstbestimmung zu stärken.[9]

 

Rz. 8

Die Ehegattenvertretung wird nach hier vertretener Ansicht sowohl in ihrer Umsetzung als auch als Signal zur Entbehrlichkeit der Vorsorgevollmacht (und auch der Patientenverfügung "Mein Ehegatte macht das schon.") für die Selbstbestimmung kontraproduktiv sein. Es werden (fälschlicherweise) Vorsorgevollmachten in der Bevölkerung wieder als weniger wichtiger angesehen und seltener errichtet werden.[10]

 

Rz. 9

Dem Rechtsinstitut der Ehe wird für Millionen von Fällen nachträglich eine Bedeutung gegeben, die sie beim Eingehen nicht hatte. Jetzt schon einwilligungsunfähige, verheiratete Menschen werden auch nicht mehr widersprechen können. Es erscheint verfassungsrechtlich fraglich, ob dies zulässig ist und die Regelung nicht nur für neue Ehen[11] gelten dürfte – was sie wiederum deutlich entwerten würde. Aber auch noch einwilligungsfähige Ehegatten werden sich aus Angst vor einer Belastung der Beziehung sehr schwertun, ihrem Ehegatten dieses Vertretungsrecht zu nehmen, auch wenn sie es eigentlich möchten.[12]

 

Rz. 10

Es gab schon früher Überlegungen und Vorschläge für eine gesetzliche Ehegattenvertretung.[13] Die jetzt vorgeschlagene, konkrete Regelung lässt viel Mühe und Arbeit in den Formulierungen erkennen. Sie zeigt aber im Wesentlichen, dass eine solche Regelung nur als kompliziertes und damit fehleranfälliges "Regelungsmonstrum" konstruiert werden kann. Es werden viele Voraussetzungen aufgestellt und es wird versucht, Sicherungsmittel zu implementieren. Es ist mehr als zweifelhaft, dass diese in der Praxis – in der es um schnelle Entscheidungen im hektischen und leider oft in diesem Bereich schlecht organisierten und juristisch fehl- oder unkundigem Krankenhausbetrieb geht – eingehalten werden. Andererseits können sie die Umsetzung erschweren und das Vertretungsrecht damit an Wirkung beschneiden.[14]

 

Rz. 11

Bürokratie und Kosten bei den Krankenhäusern wird das vorgeschrieben Verfahren verursachen.[15] Um beides gering zu halten, ist eine formale Abwicklung ohne echte Prüfung zu befürchten. Dies begünstigt aber, was ohnehin zu befürchten ist: Die Regelungen können recht einfach durch falsche, mündliche Angaben des handlungsfähigen Ehegatten umgangen und im Ergebnis missbraucht werden. Da der eine Ehegatte meist auch der Erbe und damit Rechtsnachfolger des anderen ist und weitere Kontrollen kaum vorhanden sind, ist auch eine nachträgliche Entdeckungsgefahr gering.

[3] Diese sind auf der Internetseite des BMJV zu finden.
[4] Z.B. Grziwotz, ZRP 2017, 88; ders. ZRP 2020, 248, 251; Gallus, ErbStB 2017, 186; Dutta, FamRZ 2020, 1881; Müller-Engels, FamRZ 2021, 645, 652; Müller-Engels, DNotZ 2021, 84, 101 f.; Szantay, NZFam 2021, 805, 808 f.; Braun, ZRP 2020, 201.
[5] Schnellenbach/Joecker/Normann-Scheerer, BtPrax 2019, 127, 131.
[6] So auch Lugani, MedR 2022, 91.
[7] Koller/Stahl GesR 2021, 212, 215 f.
[8] Koller/Stahl GesR 2021, 212, 216.
[9] Braun, ZRP 2020, 201.
[10] Ähnlich die Begründung für den Änderungsantrag der FDP, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (Änderungsvorschläge), BT-Drucks 19/27268, 17; ebenso Müller-Engels, FamRZ 2021, 645, 652.
[11] Eine Hinweispflicht in einem neuen § 12 IV PStG, wie von Kraemer, BtPrax 2021, 208, 211, angeführt, konnte hier nicht nachvollzogen werden.
[12] Ähnlich: Lugani, MedR 2022, 91, 93.
[13] Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 18.5.2017, BT-Drucks 18/12427.
[14] Kraemer, BtPrax 2021, 208, 211; ähnlich: Müller-Engels, FamRZ 2021, 645, 652.
[15] Ähnlich: Szantay, NZFam 2021, 805, 808; Koller/Stahl, GesR 2021, 212, 215.

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