1. Grundsatz

 

Rz. 131

Die Erbschaft fällt dem Erben nach § 1922 BGB ohne sein eigenes Zutun an. Der Erbe kann den Eintritt dieser Rechtswirkungen durch wirksame Ausschlagung innerhalb der für ihn geltenden Frist wieder rückgängig machen. Zu den formalen Erfordernissen einer Ausschlagung siehe Rdn 397 ff. Durch die Ausschlagung verliert der vorläufige Erbe seine Rechtszuständigkeit für den Nachlass nicht nur für die Zukunft, sondern mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Erbfalls (§ 1953 Abs. 1 BGB). Damit wird den von ihm vorgenommenen Rechtsgeschäften nachträglich die Grundlage entzogen. Andererseits kann das Gesetz nicht an der Tatsache vorbeigehen, dass der vorläufige Erbe bis zur Ausschlagung Rechtsträger des Nachlasses war und als solcher zur Fürsorge für den Nachlass berechtigt war. Auch Dritte mussten, wenn sie gegenüber dem Nachlass Rechtshandlungen vorgenommen haben, sich an den vorläufigen Erben halten. Deshalb modifiziert das Gesetz in § 1959 BGB die Konsequenzen der gemäß § 1953 Abs. 1 BGB ex tunc wirkenden Ausschlagung. Das Verhältnis zwischen dem vorläufigen und dem endgültigen Erben wird nicht bereicherungs- oder deliktsrechtlich abgewickelt, sondern nach den Grundsätzen über die Geschäftsführung ohne Auftrag. Unaufschiebbare Verfügungen über Nachlassgegenstände bleiben gemäß § 1959 Abs. 2 BGB wirksam.

2. Das Rechtsverhältnis zwischen dem vorläufigen und dem endgültigen Erben

 

Rz. 132

Zunächst gilt es festzustellen, dass der Erbe vor Annahme der Erbschaft grds. nicht verpflichtet ist, Handlungen für den Nachlass vorzunehmen. Soweit der vorläufige Erbe jedoch erbschaftliche Geschäfte besorgt hat, bestimmt sich das Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem endgültigen Erben nach den Vorschriften der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 1959 Abs. 1, 677 ff. BGB). Dem endgültigen Erben stehen nicht die Ansprüche nach §§ 2018 ff. BGB zur Verfügung, sondern dingliche Einzelansprüche, die sich aus den jeweiligen Rechten an den einzelnen Nachlassgegenständen ergeben, wie beispielsweise der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB. Die Regeln des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses gelten für die Zeit vor der Ausschlagung nicht, weil man den vorläufigen Erben bis zu diesem Zeitpunkt als berechtigten Besitzer anzusehen hat.

3. Verfügungen des vorläufigen Erben über Nachlassgegenstände

 

Rz. 133

Unaufschiebbare Verfügungen des vorläufigen Erben sind im Außenverhältnis wirksam (§ 1959 Abs. 2 BGB). Diese Verfügungen werden wie Verfügungen des Berechtigten behandelt, so dass es auf einen guten Glauben des Erwerbers nicht ankommt.[125]

 

Rz. 134

Ob eine Verfügung ohne Nachteil für den Nachlass verschoben werden konnte, ist objektiv und wirtschaftlich zu beurteilen, wobei die Verhältnisse aus dem Zeitpunkt der Vornahme der Verfügung zu betrachten sind. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Veräußerung von Nachlassgegenständen, bei denen durch natürlichen Verderb oder durch die zu erwartende wirtschaftliche Entwicklung (z.B. Kursverfall von Wertpapieren) mit einer wesentlichen Entwertung zu rechnen ist. § 1959 Abs. 2 BGB erfasst nur das Verfügungsgeschäft und führt nicht dazu, dass das Verpflichtungsgeschäft unmittelbar für und gegen den endgültigen Erben wirken würde.[126] Der vorläufige Erbe kann in diesen Fällen über § 683 i.V.m. § 670 BGB Aufwendungsersatz bzw. Freistellung nach § 257 BGB verlangen. Auch die Erfüllung von fälligen Nachlassverbindlichkeiten durch Verfügung über Nachlassgegenstände fällt unter § 1959 Abs. 2 BGB, wenn bei Nichterfüllung mit wirtschaftlichen Nachteilen für den Nachlass zu rechnen ist.

Sofern der vorläufige Erbe entsprechende Verfügungen vornimmt, besteht jedoch die Gefahr, dass sein Handeln als Annahme der Erbschaft gewertet wird. Um dies zu vermeiden, muss er stets darauf achten, seine lediglich vorläufige Erbenstellung auch nach außen deutlich zu machen.

 

Rz. 135

Soweit der endgültige Erbe die nicht von § 1959 Abs. 2 BGB gedeckten Verfügungen nicht genehmigt (§ 185 Abs. 2 BGB), können sie nur nach den Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb wirksam bleiben. Dabei genügt es nicht, dass der Erwerber den vorläufigen Erben für den Eigentümer hält – was dieser zum Zeitpunkt der Verfügung ja tatsächlich war –, sondern er muss auch bezüglich der Vorläufigkeit seiner Rechtsstellung gutgläubig gewesen sein. Analog § 142 Abs. 2 BGB scheitert der gutgläubige Erwerb, wenn der Erwerber wusste, dass der Erbe noch ausschlagen könnte.[127]

[125] MüKo/Leipold, § 1959 Rn 5 ff.
[126] Palandt/Weidlich, § 1959 Rn 3.
[127] Vgl. Soergel/Stein, § 1959 Rn 11.

4. Rechtsgeschäfte gegenüber dem vorläufigen Erben

 

Rz. 136

Durch § 1959 Abs. 3 BGB wird die Rechtsausübung für Dritte erleichtert. Wer Willenserklärungen mit Wirkung gegenüber dem Nachlass abzugeben hat, kann sich an den vorläufigen Erben halten, weil diese Rechtsgeschäfte auch nach der Ausschlagung wirksam bleiben. Dies ist nicht zuletzt in Fällen fristgebundener Erklärungen von Bedeutung; dazu gehören vor allem Anfechtung, Rücktritt, Kündigung, Widerruf und Erklärung der Aufrechnung eines Nachlassschuldners mit einer Forderung gegen den Nachlass.

5. Aktivprozesse des vorläufigen Erben

 

Rz. 137

Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Vorschrift darüber, ob der Erbe schon vor der Annahme Rechte des Nachla...

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