Rz. 2

Gerade bei Personenschäden spielt der Abfindungsvergleich eine entscheidende Rolle, da rund 95 % der Personen(groß)schäden außergerichtlich abgeschlossen werden. Dies gilt zumindest für den Verkehrsunfallbereich; im Arzthaftpflichtbereich sind es deutlich weniger Fälle, die außergerichtlich abgeschlossen werden. Vielfach haben sich die Gerichte dort bereits mit der Frage zum Haftungsgrund auseinanderzusetzen, was im Verkehrsunfallbereich in der Mehrzahl der Fälle unstreitig ist. In der Praxis der Schadensregulierung – sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich – spielt der Abfindungsvergleich beim Personenschaden eine große Rolle. Durch ihn sollen Schadensersatzansprüche umfassend und abschließend geregelt werden. Gegenstand der Ausführungen in diesem Kapitel ist der außergerichtliche Abfindungsvergleich.

Bei einem Abfindungsvergleich handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag nach § 779 BGB. Es sind daher auch die allgemeinen Regeln über Rechtsgeschäfte, z.B. nach §§ 104 ff., 119, 123, 138 BGB anwendbar, ebenso wie die Regeln der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den §§ 305310 BGB.

 

Rz. 3

Generell kann gesagt werden, dass die diskutierten Fragestellungen zur Unwirksamkeit oder Abänderbarkeit eines Vergleiches in der Praxis eher die Ausnahme darstellen. Die Rechtsprechung ist äußerst restriktiv, wenn es darum geht, dass Geschädigte Nachforderungen geltend machen können. Vergleiche sind nur ausnahmsweise unwirksam bzw. können nur ausnahmsweise abgeändert werden. Dies erfolgt dann entweder unter dem Aspekt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder bei Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) bzw. bei nachträglicher gravierender Äquivalenzstörung und bei Nichtigkeit des Vergleiches. Auf diese Aspekte wird im Folgenden einzugehen sein.

 

Praxistipp

Wegen der restriktiven Rechtsprechung ist es umso wichtiger, dass der Anwalt zur Verminderung seines Haftungsrisikos im Vorfeld seine Hausaufgaben erledigt. Alle rechtlichen und tatsächlichen Aspekte des Sachverhaltes sind umfänglichst mit dem Mandanten zu besprechen (und dieses ist zu dokumentieren), bevor es zur Unterzeichnung einer Abfindungserklärung kommt. Mit der Unterschrift auf der Abfindungserklärung ist "der Bart ab". Nachforderungen sind so gut wie ausgeschlossen. Abfindungserklärungen sollten nie unter Zeitdruck abgegeben werden und schon gar nicht im Krankenhaus. Es ist zu beobachten, dass bei einigen KH-Versicherern der Außenschadensregulierer am Krankenbett mit Zahlen hantiert und schon manch Geschädigter aus Unkenntnis die vermeintlich große Summe zur Erledigung sämtlicher Ansprüche akzeptiert hat. Kein Vertrag – so auch der Abfindungsvergleich – ist so gut, dass dieser in Eile unterschrieben werden muss. Wenn das Angebot wirklich so seriös ist, dann hält es auch einer rechtlichen Überprüfung durch einen spezialisierten Rechtsanwalt stand und kann durchaus einige Tage später angenommen werden.

 

Rz. 4

Abfindungsvergleiche sind gerade im Bereich des Personenschadensrechts ein sinnvolles Instrument. Damit kann einem Geschädigten meistens mehr geholfen werden, als wenn ein Rechtsstreit bis zum bitteren Ende durch mehrere Instanzen geführt wird. Den Anwalt kann sich der Geschädigte selbst aussuchen, den Richter nicht. Zumeist ist der Richter kein Spezialist auf dem Gebiet der Personen(groß)schadensregulierung. Eine Prognose zum voraussichtlichen Ausgang des Rechtsstreits ist deshalb fast nicht möglich. Der triviale Spruch "auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand" trifft daher in der Gerichtspraxis auch beim Personenschaden durchaus zu.

 

Rz. 5

Ein zweiter großer Aspekt bei der gerichtlichen Auseinandersetzung ist die Verfahrenslaufzeit. Teilweise können solche Rechtsstreitigkeiten durchaus zwischen 10 und 20 Jahren dauern. Die Betroffenen sind dann allein aufgrund der Länge des Gerichtsverfahrens psychisch am Ende. Es tritt ein Zermürbungseffekt ein mit der Folge, dass zur Verfahrensbeendigung letztlich ein richterlicher Vergleichsvorschlag Akzeptanz findet, der weit hinter den ursprünglichen Erwartungen des Klägers zurückbleibt und oftmals nicht wesentlich anders aussieht als das, was der eigene Anwalt mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer bereits vor Jahren zur außergerichtlichen Erledigung besprochen hat. Der Rechtsanwalt sollte dem Mandanten auch diese Aspekte aufzeigen, neben der Tatsache, dass es sich zumeist um Rechtsprobleme innerhalb des § 287 ZPO handelt, wobei es im Rahmen der Schadensschätzung gerade kein alleinig richtiges mathematisches Ergebnis gibt. Theoretisch kann über jede einzelne Schadensersatzposition mindestens eine Beweisaufnahme stattfinden. Erkenntnisreich ist da ein Blick in die Fixkostenliste beim Unterhaltsschaden (siehe § 6 Rdn 42 ff.). Wenn der Versicherer will, kann er jede einzelne Position streitig stellen, so dass es Jahre dauert, bis alle Punkte – mittels Sachverständigengutachten und/oder Zeugenbeweis – abgearbeitet sind. An dieser Stelle ist der Anwalt gefordert, seinem Mandanten nachhaltig klar zu ma...

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