Rz. 162

Auch eine "tatsächliche" Verpflichtung zur Weitergabe kann im Lichte eines Gestaltungsmissbrauchs i.S.d. § 42 AO schädlich sein.[117] Der Ersterwerber muss einen Entscheidungsspielraum bezüglich der Weitergabe haben. Die Kriterien hierfür beurteilen sich in erster Linie wie folgt:

Zeitliche Komponente: Bei Grundbesitz sah der BFH ursprünglich eine Vornahme der beiden Schenkungen an einem Tag in zwei aufeinanderfolgenden Urkunden als schädlich an.[118] Inzwischen führt nach Ansicht des BFH die Abfolge in zwei aufeinander folgenden Urkunden für sich genommen – sogar bei Verzicht auf eine Zwischeneintragung – nicht schon zur Versagung der abstrakten schenkungsteuerlichen Anerkennung der Schenkungen.[119] Die Abwicklung der Schenkungen in einem Zug – mithin bei Grundbesitz – in einer Urkunde – ist wohl in jedem Falle schädlich. Eine "Mindestbesitzzeit" oder "Schamfrist" des Ersterwerbers ist daher grundsätzlich nicht notwendig. Nichtsdestotrotz ist es in der Regel – im Lichte der Abwägung der weiteren Kriterien – sinnvoll, eine Verwirklichung der beiden Schenkungen zeitlich gestreckt zu gestalten.
Familiäre Beziehungen: Der erforderliche Entscheidungsspielraum ist nicht allein deswegen zu verneinen, weil der Ersterwerber aufgrund familiärer Beziehungen (der Ehe mit dem Erstschenkenden) einem "Weitergabedruck" ausgesetzt ist.[120]
Eigene Motive des Zweitschenkers: Für eine Anerkennung der Kettenschenkungen sprechen auch eigene Motive des Zweitschenkers für die Weitergabe. Dabei kann es sich um Anrechnungsbestimmungen auf Pflichtteils- oder Zugewinnansprüche oder schlicht um den Geburtstag des Schlusserwerbers oder um Weihnachten handeln.
Zustimmungsvorbehalte des Erstschenkers: Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände kann als weiteres Kriterium eine Rolle spielen, inwieweit der Erstbeschenkte einem Zustimmungsvorbehalt bezüglich Verfügungen des geschenkten Vermögensgegenstandes ausgesetzt ist. In jedem Falle unschädlich ist es, wenn der Erstschenker Kenntnis von der Zweitschenkung hat und mit dieser einverstanden ist.[121] In diesem Zusammenhang ist auch das Vorliegen einer vom Erstschenker vor der Schenkung errichteten letztwilligen Verfügung, die eine Weitergabeverpflichtung des Erstbeschenkten (z.B. aufgrund Vermächtnisses) an den Letztbeschenkten beinhaltet, unschädlich, da eine entsprechende Schuld rechtlich erst nach dem Erbfall entsteht.[122]
Unterschiedliche Schenkungsgegenstände: Auch eine gegenständliche Änderung des Schenkungsgegenstandes (z.B. Weiterübertragung nur von Anteilen oder Wandelung von Geld in Immobilienschenkung) kann als Kriterium zur Feststellung eines Entscheidungsspielraums dienen.

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