Rz. 42

Obgleich über die beschriebenen Regelungen der Datenschutzrichtlinie bereits frühzeitig die Weichen hin zu einem einheitlichen Datenschutzniveau in Europa gestellt wurden, erwies sich das Richtlinienkonzept in der praktischen Umsetzung – jedenfalls aus Sicht der EU-Kommission[113] – als mit Defiziten behaftet, die "Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit der EU" auf Dauer zu behindern geeignet erscheinen. Die normative Dichte der Datenschutzrichtlinie erweist sich in diesem Sinne als nicht so erheblich, dass die Mitgliedstaaten nicht mehr über einen nennenswerten Umsetzungsspielraum verfügten.

 

Rz. 43

Dies war maßgeblich dadurch bedingt, dass unter Geltung der Datenschutzrichtlinie stets umstritten war, ob diese Mindest- oder Höchststandards für den Schutz personenbezogener Daten festlegt. Der EuGH hatte zwar bereits im Jahre 2003 entschieden, dass mit der Datenschutzrichtlinie eine umfassende Harmonisierung des nationalen Rechts angestrebt werden[114] und eine bloße Mindestharmonisierung gerade nicht erfolgen solle.[115] Gleichwohl sieht die Datenschutzrichtlinie an vielen Stellen z.T. erhebliche Wahlmöglichkeiten und Ausnahmen vor, die einen gewissen Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten bedingen. Nur dort, wo die Datenschutzrichtlinie konkrete Bestimmungen ohne erkennbaren Spielraum normiert, waren Abweichungen und damit ein geringeres Schutzniveau auf nationaler Ebene ausgeschlossen.[116] Dies belegt auch Art. 288 Abs. 3 AEUV, der normiert, dass Richtlinien für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, nur hinsichtlich der zu erreichenden Ziele verbindlich sind; Wahl der Form und Mittel zu ihrer Umsetzung werden hingegen den innerstaatlichen Stellen überlassen. Durch Richtlinien wird insoweit gerade keine Vereinheitlichung des Rechts, sondern nur eine Harmonisierung herbeigeführt, was letztlich bedeutet, dass nach der Umsetzung einer Richtlinie in das nationale Recht aller Mitgliedstaaten Unterschiede verbleiben können. Trotz aller Harmonisierungsbestrebungen vermochte die Datenschutzrichtlinie daher kein einheitliches Datenschutzniveau innerhalb der EU herzustellen. Ganz im Gegenteil konnte

Zitat

"die Art und Weise, in der die Menschen ihr Recht auf Datenschutz wahrnehmen können, [im Rahmen der Richtlinie 95/46/EG], über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg nicht ausreichend vereinheitlicht"[117]

werden. Auch die Kompetenzen der für den Datenschutz zuständigen nationalen Behörden konnte nicht soweit harmonisiert werden, dass eine einheitliche und wirksame Anwendung der Richtlinienvorgaben gewährleitet war. Die Ausübung von Betroffenenrechten stellte sich vielmehr in einigen Mitgliedstaaten schwieriger dar, als in anderen;[118] innerhalb der Gemeinschaft etablierten sich "Datenschutzinseln", die große und mittlere Unternehmen – insbesondere solche des Online-Marktes – zum "Forum-Shopping" einluden. Nicht nur Irland galt dabei als Land der Wahl und geriet für seine im EU-Vergleich schwachen Datenschutzvorschriften immer wieder in die Kritik. Erst im Mai 2015 hatte sich beispielsweise Twitter dazu entschlossen, sein Angebot für Nutzer außerhalb der USA den Datenschutz-Standards Irlands zu unterwerfen und die Twitter International Company in Dublin gegründet. Google, Facebook, Microsoft & Co. waren da bereits auf der Insel etabliert.

[113] KOM(2012) 9 endgültig, vom 25.1.2012, "Der Schutz der Privatsphäre in einer vernetzten Welt"

Ein europäischer Datenschutzrahmen für das 21. Jahrhundert“, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0009:FIN:DE:PDF

[114] EuGH, Urt. v. 6.11.2003 – Rs. C-101/01, Slg. 2003, I-12971 Rn 96 = EuZW 2004, 245.
[115] Erwägung (10) der RiL 95/46/EG.
[116] Ehmann/Helfrich, EG-Datenschutzrichtlinie, 1999, Einl. Rn 13.
[117] KOM(2012) 9 endgültig, vom 25.1.2012, "Der Schutz der Privatsphäre in einer vernetzten Welt"

Ein europäischer Datenschutzrahmen für das 21. Jahrhundert“, S. 4, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0009:FIN:DE:PDF

[118] Ebenda.

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