Rz. 1

Julia Friedrichs hat uns mit ihrem Buch "Wir erben"[1] zum Nachdenken angeregt: Ist Erben eine Last für die Menschen? Diese Frage wird man wie die meisten nicht gleichermaßen für alle beantworten können. Während sich die einen freuen, von der Erbschaft nach der berühmt berüchtigten "Erbtante" zu hören, oder bei aller Trauer um einen geliebten Menschen, froh sind, sein Lebenswerk als Erbe fortsetzen zu können, wollen andere mit dem Nachlass des Vaters, der sich lebzeitig zu wenig gekümmert hat, oder auch mit seinen "belastenden Millionen" nichts zu tun haben.

Eins dürfte feststehen: Wer befürchtet, statt des Familienschmucks, dem Familienheim oder der Millionen ("nur") Schulden geerbt zu haben, gerät in Panik und erscheint – im besten Fall frühzeitig – aufgelöst beim Rechtsberater.

 

Hinweis

Die praktische Relevanz der Problematik zeigt sich, wenn man bedenkt, dass 6 % der Erbschaften potentiell überschuldet sind.[2] Hier sind die "wertlosen" Nachlässe, die kaum zur Deckung der Beerdigungskosten reichen, noch nicht mitgerechnet.

 

Rz. 2

Es geht um die Angst um das Erbe des Verstorbenen und um die Angst um das eigene – oft mühsam erwirtschaftete – Vermögen. Es geht zum Teil um nicht weniger als pure Existenzangst, aber auch um enttäuschte Erwartungen, durch die Erbschaft jetzt doch noch auf einen grünen Zweig zu kommen, sich endlich einmal etwas gönnen, den Kindern – mehr als bisher – unter die Arme greifen zu können oder endlich in der Lage zu sein, für das eigene Alter vorzusorgen. Es geht um Wut und Unverständnis darüber, dass die "bösen" Gläubiger des verstorbenen Ehemannes und Vaters an das Vermögen wollen, das doch eigentlich "uns", der erbenden Ehefrau und den erbenden Kindern gehört – war es doch immer "unser Haus" und "unser Geld".

 

Rz. 3

Nach der ersten Ohnmacht verfallen viele Erben in eine Art wilden Aktionismus, der sie aufgrund von Ratschlägen von "erfahrenen Freunden" oder eigener Recherche im Internet entweder aus übertriebenem Pflichtgefühl zu einer verfrühten Erbscheinsantragstellung treibt – dies geschieht in der Regel ohne Kenntnis davon, dass dies eine das Ausschlagungsrecht nehmende Annahme der Erbschaft bedeutet – oder umgekehrt zu unüberlegten Ausschlagungen, die die Nachlassgerichte – vermeintliche Ratgeber in Erbsachen – nur allzu bereitwillig und unreflektiert protokollieren.[3]

 

Rz. 4

Auch Rechtsanwälte raten in der Regel stereotyp zur Ausschlagung der Erbschaft, wenn sie von Schulden des Erblassers hören. Ist die Ausschlagungsfrist (vermeintlich) bereits abgelaufen, so wird mit einer Anfechtung der Annahme zu retten gesucht, was zu retten ist. Allzu oft geschieht das, ohne den Einzelfall zu betrachten. Dies mag mangelnden Kenntnissen über die bestehenden Möglichkeiten geschuldet sein oder aber schlicht daran liegen, dass dies der (vermeintlich) "einfachere" Weg und alles andere ohnehin nicht rentabel ist. Denn was ist der Streitwert beim überschuldeten Nachlass? Wer würde schon eine Vergütungsvereinbarung unterschreiben, nur um nicht für die Schulden des Verstorbenen zu haften? Und: Würde man nicht letztlich auch mit der eigenen Honorarforderung in die Haftungsbeschränkung reinfallen? Vielleicht liegt es aber auch schlicht daran, dass die Regelungen zur Begrenzung der Erbenhaftung auf den Nachlass außerhalb der Ausschlagung als (zu) kompliziert gelten und allzu oft dem Vorwurf begegnen, sie gingen an den Bedürfnissen der Praxis vorbei.[4]

 

Rz. 5

Fest steht aber: Die Ausschlagung kann, muss aber nicht der richtige Weg sein. Hierzu bedarf es wie für alle anderen in Betracht kommenden rechtlichen Instrumentarien auch einer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Einzelfall, für die man sich so viel Zeit nehmen muss wie möglich und nötig. Alles andere ist ein Beratungsfehler, der eine doppelte Haftung nach sich ziehen kann: Die Haftung des Erben und die Haftung des ihn beratenden Rechtsanwaltes.

 

Hinweis

Wer Entscheidungen zum Thema Erbenhaftungen liest, wird feststellen, dass diese ganz überwiegend im Rahmen von Fällen ergeht, die den beratenden Rechtsanwalt in Regress nehmen.[5]

 

Rz. 6

Außerdem kann es für eine Ausschlagung der Erbschaft oder Anfechtung der Annahme schlicht zu spät sein oder diese mag aus sonstigen (tatsächlichen und rechtlichen) Gründen nicht sinnvoll in Betracht kommen. Dann ist es für den erbrechtlichen Berater unabdingbar, sich in Bezug auf die sonstigen in Betracht kommenden Haftungsbeschränkungsmittel bezüglich des Nachlasses eines Verstorbenen auszukennen – seien sie kompliziert oder nicht.

Rechtspolitisch kann man darüber streiten, ob die Kritik an der gesetzlichen Regelung berechtigt ist. Die geltenden Regelungen des BGB, der ZPO und des FamFG sind die einzigen, die zur Verfügung stehen, wenn ein Erbfall (für Altfälle über Art. 25 EGBGB oder für Erbfälle, die ab dem 17.8.2015 eintreten, nach der EU-ErbVO) nach deutschem Recht abzuwickeln ist.

 

Rz. 7

Damit nicht genug: Nach der Rechtsprechung des BGH muss ein jeder erbrechtliche Berater die Grundsätze der Haftungsbeschränkung ...

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