Rz. 117

Verstärkte Bedeutung hat in den letzten Jahren der in § 642 BGB geregelte Entschädigungsanspruch erlangt, welcher dem Auftragnehmer zusteht, wenn der Auftraggeber durch das Unterlassen einer ihm obliegenden Mitwirkungspflicht in Annahmeverzug gerät. In den Fokus der Interessen ist die Vorschrift gerückt, nachdem der BGH sie für den Fall der verspäteten Leistung des Vorunternehmers herangezogen hat. Gemeint ist die Situation, in welcher der Auftragnehmer für die Erbringung seiner Leistungen darauf angewiesen ist, dass die Leistungen eines anderen Unternehmers pünktlich fertiggestellt sind.

 

Rz. 118

Problematisch dabei ist, dass dieser sogenannte Vorunternehmer nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers im Verhältnis zum nachfolgenden Unternehmer ist.[118] Damit kann ein eventuelles Verschulden des Vorunternehmers dem Auftraggeber nicht zugerechnet werden; verschuldensabhängige Ansprüche (wie vor allem der Schadensersatzanspruch aus § 6 Abs. 6 VOB/B) scheiden also aus. Allerdings ist der Auftraggeber insoweit zur Mitwirkung verpflichtet, dass er dem Auftragnehmer rechtzeitig und ordnungsgemäß das "Baufeld" zur Verfügung stellen muss.[119] Soweit dazu zunächst Leistungen eines Vorunternehmers zu erbringen sind, unterlässt der Auftraggeber die ihm obliegende Mitwirkungshandlung. Neben der Vorunternehmerleistung können dies auch andere Gläubigerobliegenheiten sein wie z.B. die Baugenehmigung, die der Auftraggeber beizubringen hat,[120] oder Entscheidungen, die er treffen muss u.v.m. Der Anwendungsbereich geht daher weit über die Vorunternehmersituation, die Anlass für die Rechtsprechung war, hinaus.

 

Rz. 119

§ 642 BGB ist auch im VOB-Vertrag anwendbar und wird vor allem nicht durch § 6 Abs. 6 VOB/B ausgeschlossen; der Anspruch besteht auch neben dem Werklohnanspruch sowie neben eventuellen Ansprüchen aus den §§ 649, 645 Abs. 1 S. 2 BGB.[121]

[118] BGH v. 1.7.1971 – VII ZR 224/69 – BGHZ 56, 312; BGH v. 29.11.1971 – VII ZR 101/70 – NJW 1972, 447.

aa) Anspruchsvoraussetzungen

 

Rz. 120

Voraussetzung ist also zunächst einmal das Unterlassen einer Gläubigerobliegenheit;[122] es kommen dazu alle Handlungen des Auftraggebers in Frage, die nicht zu den Hauptpflichten des Auftraggebers gehören und die erforderlich sind, damit der Auftragnehmer mit seiner Leistung beginnen[123] und diese durchführen kann.[124] Dabei hat der Auftraggeber für einen von ihm eingesetzten Dritten einzustehen; § 278 BGB ist also anwendbar.[125]

 

Rz. 121

Weiterhin muss der Auftraggeber aufgrund dieses Unterlassens in Annahmeverzug geraten, § 649 Abs. 1 BGB. Dazu muss der Auftragnehmer leistungsbereit sein und seine Leistungen tatsächlich (§ 294 BGB) oder wörtlich (§ 295 BGB) anbieten. Für das tatsächliche Angebot muss der Auftragnehmer zur rechten Zeit versuchen, die Bauleistung vertragsgerecht zu erbringen.[126] Das wörtliche Angebot liegt auch in der Aufforderung des Auftragnehmers an den Auftraggeber, die Mitwirkungshandlung zu erbringen.[127] Das Angebot ist nach der Rechtsprechung auch dann erforderlich, wenn der Auftraggeber die Annahme der Leistung bereits verweigert hat.[128] Also muss der Auftragnehmer seine Leistungen zumindest wörtlich anbieten, auch wenn z.B. der Auftraggeber ihm bereits mitgeteilt hat, dass die Baugenehmigung noch nicht erteilt ist.

 

Rz. 122

Aus dem Erfordernis, den Annahmeverzug herbeizuführen, hat die Rechtsprechung entwickelt, dass der Auftragnehmer grundsätzlich auch im Hinblick auf den Anspruch aus § 642 BGB seine "Behinderung" anzeigen muss.[129] Der Zweck des wörtlichen Angebots, den Auftraggeber zu informieren und zu warnen, kann nur auf diese Weise erreicht werden. Der Auftraggeber muss wissen, dass bei Unterlassen der Mitwirkungshandlung der Auftragnehmer nicht in der Lage ist, seine Leistungen ordnungsgemäß zu erbringen. Und er muss erkennen können, welche Handlung er erbringen muss, um den Annahmeverzug zu beseitigen.[130] Im Ergebnis ist also eine Behinderungsanzeige entsprechend der in § 6 Abs. 1 VOB/B verlangten Anspruchsvoraussetzung. Es gelten allerdings auch ähnliche Erleichterungen wie bei § 6 Abs. 1 S. 2 VOB/B. Das heißt vor allen Dingen, dass bei Offenkundigkeit des Fehlens einer Mitwirkungshandlung das Angebot auch konkludent erfolgen kann.[131]

 

Rz. 123

Gem. § 296 BGB kann das Angebot entfallen, wenn für die Mitwirkungshandlung des Auftraggebers eine Leistungszeit nach dem Kalender bestimmt oder bestimmbar ist.[132] Gerade für den Beginn der Leistungen wird dies häufig der Fall sein. Aber auch vertraglich vereinbarte Planvorlaufzeiten oder aus einem Bauzeitenplan ersichtliche Mitwirkungshandlungen können von Bedeutung sein.[133]

 

Rz. 124

§ 6 Abs. 6 S. 2 VOB/B greift diese Rechtsprechung mittlerweile auf und bestimmt, dass der Anspruch des Auftragnehmers aus § 642 BGB un...

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