Rz. 15

Rezeption meint in unserem Zusammenhang die Übernahme des antiken römischen Rechts im mittelalterlich-neuzeitlichen Europa.[49] Wenn vom "römischen Recht" gesprochen wird, ist dies selbstverständlich eine erhebliche Verkürzung. Es wird auf eine mehrere Jahrhunderte umfassende Periode voller Entwicklungen zurückgeblickt. Den Höhepunkt erreichten die "genialen Schöpfungen der Juristen"[50] im Zeitalter der "klassischen Jurisprudenz", also in den ersten zweieinhalb Jahrhunderten nach Christi Geburt. In dem Sammelwerk "Corpus Iuris Civilis" des Kaisers Justinian aus den Jahren 533 und 534 wurden als "Digesten" (auch: "Pandekten") und "Institutionen" wesentliche Elemente aus der Rechtsliteratur des klassischen Zeitalters im ursprünglichen Wortlaut festgehalten und die Gesetze des Justinians (in griechischer Sprache) hinzugefügt.[51]

Auf das Corpus Iuris Civilis – kommentiert von den Glossatoren des 11. Jahrhunderts und den Postglossatoren des 14. und 15. Jahrhunderts – griffen schon während des gesamten Mittelalters Richter und Rechtsgelehrte zurück. Mit der sog. "Rezeption" gelangte das römische Recht im 15. und 16. Jahrhundert verstärkt nach Deutschland. Es wurde als "gemeines Recht" bezeichnet, im Gegensatz zu den deutschen, zersplitterten Partikularrechten.[52]

Das römisch-gemeine Recht wurde in den Kodifikationen des bürgerlichen Rechts an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert aufgenommen, etwa im Allgemeinen Landrecht (Preußen, 1794).[53] Über Vorschriften im Preußischen Allgemeinen Landrecht, etwa zur Auseinandersetzung notfalls durch Versteigerung und Erlösverteilung,[54] haben sich römischrechtliche Einflüsse dadurch bis in die heute geltenden Regeln des BGB gehalten. Die sog. "historische Schule" unter ihrem Begründer Friedrich Carl von Savigny gab seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts dem römischen Recht starken Auftrieb.[55] Wesentlich beeinflusst wurde von diesen "Pandektisten" auch die Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuches.

 

Rz. 16

Im römischen Recht galt der Grundsatz der Universalsukzession. Sondererbfolgen wie im deutschen Recht (etwa hinsichtlich der Heergewäte und der Geraden) waren dem römischen fremd.[56] Dagegen konnten im römischen Recht der Tod und der Erbschaftserwerb auseinanderfallen, zumindest wenn hausfremde Erben berufen wurden.[57] Der Satz "Der Tote erbt den Lebendigen" ist deutschrechtlich.[58] Diese Unterschiede wirkten sich indirekt auch bei Erbengemeinschaften aus.

Für das Recht der Erbengemeinschaft im engeren Sinne stellt Heilfron fest: "Hinsichtlich des Verhältnisses mehrerer Miterben zueinander weicht das römische Recht entschieden vom deutschen Recht ab."[59]

Insbesondere durch die Möglichkeit des Erbeinsetzungstestaments wurde die Bildung einer Erbengemeinschaft zugunsten der Alleinerbschaft zurückgedrängt.[60]

 

Rz. 17

Im römischen Recht gab es keine Gesamthandschaft.[61] Erbschaftsgegenstände wurden geteilt. Dies betraf auch Geldforderungen und Schulden des Nachlasses, was auf die XII-Tafel-Gesetzgebung zurückgeht.[62] Bei unteilbaren Gegenständen stellte sich der Anteil eines jeden Miterben als ideeller Anteil an jedem einzelnen dar, es galt die "Bruchteilsgemeinschaft".[63]

In der Rezeption wurde das Recht der Erbengemeinschaft in Deutschland insofern nicht geändert: Es behielt die gesamthänderische Bindung des Vermögens bei.[64] Dies galt für das preußische Allgemeine Landrecht und für das Bürgerliche Gesetzbuch.[65]

Die Ausgleichung ("Kollation") unter Miterben kannten deutsches und römisches Recht. Nach letzterem galt sie zunächst nur bei der gesetzlichen Erbfolge ("Intestarerbfolge") und wurde durch Justinian auf die Testamentserbfolge ausgedehnt.[66]

Eine Regelung für mehrere Erbfälle suchte das römische Recht durch sog. "fideikommissarische Sukzession" zu erreichen. Dem Erben wurde – in Annäherung an die Legate – auferlegt, den Nachlass als Fideikommiss an einen Nachfolger herauszugeben und mit diesem dazu eine Vereinbarung zu treffen. Eine Nacherbfolge im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches war in Rom ausgeschlossen, da eine Erbenstellung nicht auf Zeit erworben werden konnte.[67]

Schlossen sich nach altrömischem Recht die Erben nach der Nachlassteilung durch Vereinbarung wieder zu einer Gemeinschaft zusammen oder hatten die Erben den Nachlass noch nicht aufgeteilt, wurde dies "consortium" genannt.[68] Heute wird der Begriff immer noch für einen wirtschaftlichen Zusammenschluss gebraucht, wenn auch nicht mehr vor einem erbrechtlichem Hintergrund.

Insgesamt setzte sich der auch für die Erbengemeinschaft wichtige Grundsatz der Universalsukzession durch, brachte die Rezeption für das Recht der Erbengemeinschaft in Deutschland aber nur wenig direkte Änderungen.

In vielem waren römisches und deutsches Erbrecht nicht so verschieden, dass die Rezeption einen völligen Bruch mit der "heimischen Gewohnheit" bedeutete. Es vollzog sich ein Anpassungsprozess, wobei "wichtige deutschrechtliche Institute sich im Kern" behaupteten.[69]

[49] Köbler, S. 503 f.
[50] Kaser, S. 1.
[51] Ka...

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