Rz. 88

"Missratene" Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen sind leider relativ häufig. Schon bei erster Lektüre einer aus dem Grundbucharchiv besorgten alten Teilungserklärung ergibt sich oft der Schluss: Hier hat jemand nicht aufgepasst. Mal der für der Pläne verantwortliche Architekt, die Baubehörde, der aufteilende Eigentümer, der Notar, das Grundbuchamt, der Verwalter, die finanzierenden Banken oder die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, manchmal gar alle zusammen. Die Flut der alltäglich veröffentlichten insbesondere untergerichtlichen Entscheidungen zeigt bei den zugrundeliegenden Sachverhalten ein ähnliches Bild. Mangelnde Rechtskenntnis der Beteiligten oder schlechte Tatsachenermittlung sind nur zum Teil Ursache dieses Befundes.

 

Rz. 89

Das bei Wohnungseigentumsanlagen unvermeidliche enge nachbarschaftliche Verhältnis schafft Probleme, "wenn die Menschen nicht in der Lage sind, ihr Gemeinschaftsverhältnis den demokratischen Gepflogenheiten entsprechend auszugestalten bzw. sich nach den demokratischen und menschlichen Spielregeln zu verhalten".[160] Gewisse Verhaltensstörungen der Beteiligten bis hin zu pathologischem Querulantentum[161] sind jedem Wohnungseigentumsrechtler mehr als geläufig. Wie so oft bei erbitterten Interessenkonflikten, werden die Streitigkeiten dann auf Nebenkriegsschauplätzen ausgefochten, für die gerade ältere Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen bestens geeignet sind. Bei neu aufzuteilenden Objekten ist es Aufgabe des Notars, anhand der Pläne und Vorbesprechungen mit dem Bauträger/aufteilenden Eigentümer Interessenkonflikte möglichst zu antizipieren und auf eine sachgerechte Regelung hinzuwirken. Der Notar muss hier ein besonderes Augenmerk auf die Störfallvorsorge legen, da sich Fehler in der Teilungserklärung – aufgrund der typischerweise bestehenden Interessendivergenz unterschiedlicher Miteigentümer – meist kaum noch beheben lassen. Zwar kann auch bei von Anfang an verfehlten oder unbilligen Regelungen (sog. Geburtsfehler) grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Teilungserklärung bestehen,[162] wohl aber nur in krassen Ausnahmefällen.[163] Bauliche Veränderungen, insbesondere im Hinblick auf Lademöglichkeiten für Elektrofahrzeuge, barrierefreie Aus- und Umbauten, Maßnahmen des Einbruchsschutzes und zum Glasfaseranschluss sind durch die WEG-Reform nunmehr privilegiert, und zwar auch ohne entsprechende Regelung in der Gemeinschaftsordnung (§ 20 WEG).[164]

 

Rz. 90

Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen sind darüber hinaus im Grundsatz für die Ewigkeit zu konzipieren, wobei naturgemäß unsichere zukünftige Entwicklungen und die Sicherung der gegenwärtigen Bestandsinteressen abzuwägen sind. Da man aus Fehlern bekanntlich am besten lernt, im Folgenden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ein Exkurs zu den mutmaßlichen Ursachen "missratener" Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen.

[160] So wörtlich Bärmann/Seuß/Drasdo, S. 24.
[161] Vgl. m.w.N. Langhein, notar 2013, 131; der Vorwurf des Verwalters, ein Miteigentümer sei notorischer "Querulant", begründet nach AG Tostedt NJW-RR 2012, 1415 keinen Schmerzensgeldanspruch.
[162] BGH, Urt. v. 22.3.2019 – V ZR 298/16 – juris; hierzu v. Türckheim, notar 4/2020, 99, 103f.
[163] Zu den Voraussetzungen im Einzelnen s. v. Türckheim, notar 4/2020, 99, 103 zu BGH, Urt. v. 22.3.2019 – V ZR 298/16 – juris.
[164] Vgl. im Einzelnen Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn 953 ff.

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