Rz. 94

Wesentliche Ursachen für "missratene" Gemeinschaftsordnungen sind der schlichte Zeitablauf und technische sowie kulturelle Veränderungen. Manche Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung aus den 50er oder 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wirken aus heutiger Sicht rührend, wenn nicht komisch. In einer Gemeinschaftsordnung aus dem Jahre 1953 fand sich folgender Text: "Die Beheizung des Erdgeschosses erfolgt durch Öleinzelfeuerung in allen Räumen, der übrigen Einheiten über Kohleöfen". Bestenfalls kann man dies als schlichte deklaratorische Beschreibung ohne Rechtsverbindlichkeit interpretieren. Beurteilt man es als Vereinbarung, wird es schwierig. Hier sieht die WEG-Reform deutliche Erleichterungen vor.

 

Rz. 95

Auch das Gesetz sprach an vielen Stellen die Sprache des letzten Jahrhunderts: Nach § 21 Abs. 5 Nr. 6 WEG a.F. konnten als Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung mit einfacher Mehrheit beschlossen werden: "Die Duldung aller Maßnahmen, die zur Herstellung einer Fernsprechteilnehmereinrichtung (!), einer Rundfunkempfangsanlage (!) oder eines Energieversorgungsanschlusses zugunsten eines Wohnungseigentümers erforderlich sind." Mitte der 90er Jahre wuchsen überall Wälder von Parabolschüsseln, welche sowohl die Miet- wie auch die Wohnungseigentumsgerichte in Hunderten von Entscheidungen beschäftigt hatten. Das rückkanalfähige Breitbandkabel[173] hatte insofern zwar Entlastung geschaffen. Aber ließ es sich unter § 21 Abs. 5 Nr. 6 WEG a.F. subsumieren? Drängend war etwa auch die Frage, wie es z.B. mit dem Begehren eines Stellplatzinhabers lag, eine Lademöglichkeit für seinen Elektro-Pkw zu installieren. Was ist mit Medien-Installationen der nächsten oder übernächsten Generation, von denen heute noch niemand etwas ahnt? Auch zu diesen Themen schafft die WEG-Reform nunmehr in vielen Bereichen Abhilfe.

 

Rz. 96

Das Problem des Zeitablaufs betrifft selbstverständlich auch die rechtliche Entwicklung des Wohnungseigentumsrechtes. Die aus heutiger Sicht dringend notwendige scharfe Trennung zwischen dinglichen und schuldrechtlichen Bestandteilen einer Aufteilungsurkunde ist selbst Volljuristen oft noch ein Buch mit sieben Siegeln. Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung sind, wie ausgeführt, für die Ewigkeit konzipiert, aber: Wie mag die Dogmatik des WEG in 30 oder 40 Jahren aussehen? Vor perfektionistischen Überregulierungen kann daher nur gewarnt werden.[174] Sachenrechtliche Bestandinteressen sind insofern stets abzuwägen gegen eine tatsächlich und juristisch zukunftsoffene Flexibilität.

[173] Vgl. BGH NJW 2005, 2995, m.w.N. zur Entwicklung der Rechtsprechung.
[174] So beispielhaft zum Kostenverteilungsschlüssel Häublein, ZWE 2005, 192.

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