1. Verlegung der Hauptverwaltung ins Ausland

 

Rz. 48

Verlegt eine deutsche GmbH den tatsächlichen Sitz ihrer Hauptverwaltung von Deutschland ins Ausland (Wegzugsfall), so trat nach der bis zum Inkrafttreten des MoMiG geltenden Rechtslage auf der Basis der – in Bezug auf deutsche Gesellschaften damals eindeutig geltenden – Sitztheorie ein Statutenwechsel ein. An die Stelle des bisherigen deutschen Gesellschaftsstatuts trat eine Verweisung auf das am neuen Verwaltungssitz geltende Recht. Die Gesellschaft konnte daher nach einem derartigen Wechsel allenfalls dann als GmbH fortbestehen, wenn sie auch nach dem neuen Sitzrecht als GmbH anerkannt wurde. Dies dürfte meistens nicht der Fall gewesen sein, da die GmbH nicht nach den Vorschriften des ausländischen Rechts gegründet worden ist, insbesondere in dem neuen Sitzstaat nicht im Handelsregister eingetragen ist. Folge war, dass die Gesellschaft auch im deutschen Inland nicht mehr als Kapitalgesellschaft anerkannt werden konnte.

 

Rz. 49

Anders war dies freilich schon nach damaliger Rechtslage, wenn die GmbH ihren neuen Sitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt hatte. Sie war dann dort auf der Basis der europäischen Gründungstheorie (siehe Rdn 15 ff.) nach Maßgabe des deutschen Gründungsrechts anzuerkennen. Das Gleiche gilt bei Verlegung des Verwaltungssitzes in einen Staat außerhalb der EU, vorausgesetzt, dass dieser bei der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts der Gründungstheorie folgt. In diesen Fällen verweist das Recht des neuen Sitzstaates weiterhin auf das deutsche Gesellschaftsrecht. Hierin liegt eine Rückverweisung auf das deutsche Recht. Diese Rückverweisung führt dann auch aus deutscher Sicht gem. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB zur weiteren Geltung des deutschen Gesellschaftsstatuts.[72]

 

Rz. 50

Allerdings ergab sich in diesen Fällen unabhängig von der Fortgeltung des deutschen Gesellschaftsrechts kraft europäischer Gründungstheorie bzw. Rückverweisung auf das deutsche Gesellschaftsrecht ein Widerhaken für die wegziehende GmbH aus dem materiellen deutschen Gesellschaftsrecht in Form des Erfordernisses eines inländischen Verwaltungssitzes. Deutsche Rechtsprechung und Lehre verlangten bei Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer deutschen Gesellschaft in das Ausland (Wegzug) – unabhängig von der Fortgeltung deutschen Gesellschaftsstatuts aus Gründen des materiellen deutschen Gesellschaftsrechts[73] – wegen Auseinanderfallens von tatsächlichem und statutarischem Sitz der Gesellschaft die Auflösung der Gesellschaft. Weder eine entgegenstehende Satzungsbestimmung noch ein abweichender Wille der Gesellschafter könnten dies verhindern.[74]

 

Rz. 51

Mit dem MoMiG ist diesem materiellrechtlichen Auflösungsgrund durch die Neufassung des § 4a GmbHG der Boden entzogen worden. Die Neuregelung soll nun gerade die Voraussetzung dafür schaffen, dass eine GmbH nach deutschem Recht gegründet werden kann bzw. Bestand behält, auch wenn sie keinen tatsächlichen Sitz in Deutschland hat bzw. diesen ins Ausland verlegt.[75]

 

Rz. 52

Umstritten ist dies allenfalls noch für den Fall, dass der Zuzugsstaat der Sitztheorie folgt und daher keine Rückverweisung auf das deutsche Recht ausspricht. Das aber ist im Rahmen der EU nicht zu erwarten, denn die Mitgliedstaaten der EU sind durch den EuGH verpflichtet worden, aus Deutschland stammende Gesellschaften auf der Basis des deutschen Gründungsrechts anzuerkennen (siehe Rdn 14 ff.). Die Möglichkeit, dass ein ausländischer Staat der Sitztheorie folgt und daher nach Verlegung des Hauptverwaltungssitzes der deutschen GmbH das neue Sitzrecht für anwendbar hält, ergibt sich daher nur noch im Verhältnis zu Drittstaaten. Auch in diesem Fall aber ist nach hier vertretener Auffassung davon auszugehen, dass mit § 4a GmbHG aus deutscher Sicht eine nach deutschem Recht gegründete GmbH immer deutschem Gründungsrecht unterliegt und daher die Verlegung des Hauptverwaltungssitzes ins Ausland die Geltung des deutschen Gesellschaftsrechts unberührt lässt (siehe oben Rdn 27). Probleme ergeben sich in dieser Konstellation also allenfalls daraus, dass die Gerichte des Sitzstaates ihr eigenes Gesellschaftsrecht anwenden werden und daher die nach dem deutschen Recht gegründete GmbH voraussichtlich nicht anerkennen werden.

[72] Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 581 und oben Rdn 37.
[73] Da sich diese Konsequenz ohne Rücksicht auf die Fortgeltung deutschen Rechts ergibt, hat sie – entgegen vielfacher Behauptung – auch nichts mit der kollisionsrechtlichen Sitztheorie zu tun.
[74] Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 582; Staudinger/Großfeld, IntGesR, 1998, Rn 610; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2003, Rn 7.13.
[75] So z.B. Lutter/Bayer, 20. Aufl. 2020, § 4a Rn 15; GroßkommGmbHG/Behrens/Hoffmann, 3. Aufl. 2019, Einl. B Rn 59; Herrler, DNotZ 2009, 489; Hoffmann, ZIP 2007, 1585; Hüffer, 11. Aufl. 2014, § 5 AktG Rn 3; Leible, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, 3. Aufl. 2017, Systemat. Darst. 2 Teil 1 Rn 193; Leitzen, NZG 2009, 729; Paefgen, WM 20...

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