Rz. 42

Verlegt eine GmbH mit Sitz im Ausland ihren Sitz ins Inland (Zuzug),[66] so ist wie folgt zu differenzieren: Die Verlegung des tatsächlichen Sitzes der Hauptverwaltung ins Inland führt auf der Basis der Sitztheorie zur Geltung deutschen Gesellschaftsstatuts. Das deutsche Gesellschaftsstatut tritt dann also an die Stelle des bislang geltenden ausländischen Rechts. Da die ausländische GmbH im Ausland nicht nach Maßgabe des deutschen Rechts errichtet worden sein wird, insbesondere nicht in das deutsche Handelsregister eingetragen worden ist, kann sie dann nicht mehr als wirksam gegründete GmbH anerkannt werden. Die Gesellschaft kann dann allenfalls (bei Mehrgliedrigkeit) als OHG bzw. GbR behandelt werden.[67]

 

Rz. 43

Etwas anderes gilt freilich für Gesellschaften, für die aus deutscher Sicht die Gründungstheorie gilt. Dies betrifft vor allem Gesellschaften aus den Mitgliedstaaten der EU, des EWR oder der USA. Diesen bleibt die von ihrem Gründungsrecht verliehene Rechtsfähigkeit auch dann erhalten, wenn sie ihre Tätigkeit vollständig ins Inland verlegen. Vorbehalten ist allein der Fall, dass das Gründungsrecht selber den Wegzug zum Anlass nimmt, die Gesellschaft zu liquidieren oder ihr die Rechtsfähigkeit zu entziehen.

 

Rz. 44

Die Verlegung des statutarischen Sitzes einer ausländischen Kapitalgesellschaft ins Inland (Zuzugsfall) ist regelmäßig ausgeschlossen. Eine solche Sitzverlegung würde zunächst voraussetzen, dass das bisherige Gesellschaftsstatut diese zulässt – also die ausländische Gesellschaft aus dem bisherigen Gesellschaftsstatut "entlässt". Dies ist nur ausnahmsweise der Fall (relativ großzügig z.B. die Schweiz und Luxemburg). Zum anderen müsste aber auch der Zuzugsstaat die Fortsetzung der Gesellschaft unter Beibehaltung ihrer bisherigen Identität ermöglichen, insbesondere diese in das Handelsregister eintragen. Dies ist in Deutschland grundsätzlich nicht der Fall, da hier nach bislang h.M. eine GmbH nur durch Neugründung bzw. durch die im UmwG vorgesehenen Umwandlungsvorgänge zustande kommt, nicht aber durch Sitzverlegung einer ausländischen Gesellschaft – selbst wenn diese sich vollständig den Gründungsvoraussetzungen für eine GmbH nach dem GmbHG anpasst.

 

Rz. 45

Dies wurde selbst für Gesellschaften aus einem anderen EU-Mitgliedstaat lange Zeit angenommen[68] und insoweit darauf verwiesen, dass die geplante Gesellschaftsrechtliche Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes von Gesellschaften (EU-Zweigniederlassungsrichtlinie) nicht erlassen und nicht in Kraft getreten sei. Freilich ist auch diese Ansicht m.E. durch die am 13.12.2005 ergangene Entscheidung des EuGH in der Sache SEVIC Systems AG überholt worden. Dort hatte der EuGH sich in Bezug auf die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung dem Plädoyer des Generalanwalts angeschlossen und festgestellt, dass die europäische Niederlassungsfreiheit das Recht auf Gründung und Leitung einer Gesellschaft nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates, die für dessen eigene Angehörige gelten, umfasse (dort Rn 17). In diesen Anwendungsbereich fielen alle Maßnahmen, die den Zugang zu und die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in jenem Staat dadurch ermöglichen oder auch nur erleichtern, dass sie die tatsächliche Teilnahme aller Wirtschaftsbeteiligten am Wirtschaftsleben unter denselben Bedingungen gestatten, die für die inländischen Wirtschaftsbeteiligten gelten. Dies erstreckt der EuGH in seiner Entscheidung von der originären Gründung von Tochtergesellschaften auch auf die grenzüberschreitende Verschmelzung (Rn 19 des Urteils). Dabei betont er, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen wie andere Gesellschaftsumwandlungen den Zusammenarbeits- und Umgestaltungsbedürfnissen von Gesellschaften mit Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten entsprächen.

 

Rz. 46

Wenn der EuGH auf diese Weise einem in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegründeten Rechtsträger dieselben Umwandlungs- und Verschmelzungsmöglichkeiten eröffnen will wie einem inländischen Rechtsträger, so gibt es keinen Grund, dies über den Anwendungsfall der grenzüberschreitenden Verschmelzung hinaus nicht auch auf andere Umwandlungsvorgänge unter Beteiligung von Gesellschaften verschiedener EU-Mitgliedstaaten zu beziehen.

 

Rz. 47

Diese Schlussfolgerung hat der EuGH schließlich in der sog. VALE-Entscheidung[69] gezogen.[70] Die der Niederlassungsfreiheit unterliegenden grenzüberschreitenden Sachverhalte dürfen nach Ansicht des Gerichts nicht ungünstiger geregelt werden als gleichartige innerstaatliche Sachverhalte (Äquivalenzprinzip). Die Ausübung der durch die Niederlassungsfreiheit verliehenen Rechte dürfe auch nicht übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich gemacht werden (Effektivitätsgrundsatz). Damit ist nun gewährleistet, dass ein Staat eine Gesellschaft im Rahmen eines Formwechsels nach nationalem Recht nicht deswegen schlechter stellen darf, weil sie ihren statutarischen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU hat. Die Details für einen entsprechenden Prozess sind ...

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