Rz. 94

Mit der Errichtung und anderen konstitutiven Elementen unterliegt auch die Kapitalverfassung dem Gesellschaftsstatut. Dies gilt für das gesetzliche Mindestkapital und die Kapitalaufbringung einschließlich der Zulässigkeit und besonderen Anforderungen an Sacheinlagen ebenso wie für seine Änderungen, also die Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung.[125] Nach weit überwiegender Ansicht – wenn auch hier die Einigkeit schon nicht mehr besteht – erstreckt sich die Geltung des Gesellschaftsstatuts auch auf die damit eng zusammengehörigen Fragen der Kapitalerhaltung.[126]

 

Rz. 95

Dementsprechend wird auch beim Kapitalersatzrecht mittlerweile überwiegend davon ausgegangen, dass die alten §§ 32a und 32b GmbHG und die "Rechtsprechungsregeln" unzertrennlich mit dem deutschen System des Mindestkapitals, der Kapitalaufbringung und der Kapitalerhaltung verbunden seien und diese lediglich ergänzen. Nur dann, wenn die letztgenannten Vorschriften über das Gesellschaftskapital gelten, seien die deutschen Vorschriften über den Kapitalersatz anwendbar, was also deutsches Gesellschaftsstatut voraussetzt.[127] Der Rang einer Darlehensforderung des Gesellschafters im Insolvenzfall (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) sei allerdings eine Frage des materiellen Insolvenzrechts und unterliege damit dem Insolvenzstatut. Hat also eine nach ausländischem Recht gegründete und im Inland nach der Gründungstheorie anzuerkennende Gesellschaft ihren tatsächlichem Hauptverwaltungssitz im Inland, so sind die deutschen Gerichte bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehalten, auch die insoweit also nicht gesellschaftsrechtlich, sondern insolvenzrechtlich zu qualifizierenden § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und § 135 InsO anzuwenden.[128] Freilich wird hiergegen auch vorgebracht, dass die Frage, ob das Darlehen überhaupt kapitalersetzend sei, nicht aus dem Insolvenzstatut beantwortet werden könne. Die Unterscheidung, ob in der Krise eingeschossenes Kapital Fremd- oder Eigenkapital sei, könne schon deswegen nur gesellschaftsrechtlich qualifiziert werden, weil die Finanzierung bereits vor dem Insolvenzfall erfolgt sei (und zu diesem Zeitpunkt noch kein Insolvenzstatut feststehe).[129] Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Niederlassung in einem anderen EU-Mitgliedstaat dadurch weniger attraktiv gestaltet sein kann, dass die Gesellschafter befürchten müssen, nunmehr für die Rückzahlung einer Darlehenstilgung in Anspruch genommen werden zu können, die nach dem seinerzeit anwendbaren Gesellschafts- und Insolvenzstatut korrekt war.[130]

[125] Vgl. BGH NJW 1991, 1414.
[126] BGHZ 148, 167 = NJW 2001, 3123 (zur Qualifikation des Rückzahlungsverbots aus §§ 30, 31 GmbHG); Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 4 Rn 12; GroßkommGmbHG/Behrens, 2005, Einl. B Rn 81; NK-BGB/Hoffmann, 2. Aufl. 2012, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rn 120; Leible, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, 3. Aufl. 2017, System. Darst. 2 Teil 1 Rn 138 ff.; Bayer, BB 2003, 2364; Fischer, ZIP 2004, 1479; Tersteegen, Kollisionsrechtliche Behandlung ausländischer Kapitalgesellschaften im Inland, 2002, S. 216. Abweichend aber z.B. Bitter, WM 2004, 2194; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1088; Ulmer, NJW 2004, 1209.
[127] Von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rn 238.
[128] Z.B. Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht, 2005, Rn 315. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts, also lex fori concursus, ergibt sich hier aus Art. 4 EuInsVO.
[129] GroßkommGmbHG/Behrens/Hoffmann, 2. Aufl. 2013, Einl. B Rn 110 gehen allerdings davon aus, dass durch das MoMiG nunmehr der insolvenzrechtliche Charakter überwiege.
[130] Zur Frage der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Novellenregeln ausführlich Kienle/Dölzer, § 3 Schnittstellen des internationalen Gesellschafts- und Insolvenzrechts (in diesem Werk).

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