Rz. 22

Seit der Reform des AÜG sind nunmehr fünf Jahre vergangen. Eine Evaluierung durch die Bundesregierung wird derzeit durchgeführt (§ 20 AÜG). Für die Evaluierung ist eine Dauer von 26 Monaten geplant, sodass eine Veröffentlichung der Ergebnisse erst für 2022 geplant ist.[52]

[52] Antwort der Bundesregierung, BT-Drucks 19/11667, 7.

I. Wirkung der Höchstüberlassungsdauer und des Equal-Pay-Gebots

 

Rz. 23

Nach bisheriger Bewertung der beteiligten Akteure verfehlt die Reform ihr gewünschtes Ziel, die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern zu verbessern. So wurde bereits im Herbst 2018 eine Petition seitens des Betriebsrates eines großen deutschen Personaldienstleistungsunternehmens zur Abschaffung der Höchstüberlassungsdauer gestartet.[53] Gut nachvollziehbar wird in der sowohl von Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite unterstützen Petition darauf hingewiesen, dass die Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten sowie das Equal-Pay-Gebot nach neun Monaten nicht zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer beiträgt. Stattdessen werde der Druck auf die Leiharbeitskräfte erhöht, indem Leiharbeitnehmer ihre Einsatzbetriebe nach 18 Monaten verlassen müssen, obwohl sie gerne bleiben würden. Damit verbunden sind finanzielle Nachteile und die Notwendigkeit, sich bei einem neuen Kunden wieder einarbeiten zu müssen. Auch führe die Höchstüberlassungsdauer nicht zu einer dauerhaften Anschlussbeschäftigung, sondern zu einer deutlichen Zunahme von befristeten Arbeitsverhältnissen. So ergab eine Befragung von Leiharbeitnehmern, dass ⅔ der von Einsatzunternehmen übernommenen Leiharbeitnehmer lediglich einen befristeten Arbeitsvertrag erhielten.[54] Im Gegenzug müssen die Leiharbeitnehmer ihre i.d.R. unbefristeten Arbeitsverhältnisse[55] bei den Zeitarbeitsfirmen aufgeben sowie ggfs. für sie ungünstigere tarifvertragliche Ansprüche hinnehmen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht davon aus, dass die Regelung zur Höchstüberlassungsdauer kaum Wirkung entfaltet, da nur ein sehr geringer Teil der Leiharbeitnehmer die Überlassungsdauer von 18 Monaten oder länger überhaupt erreicht. Schon die Einführung des Equal-Pay-Gebots nach neun Monaten setze Anreize, Leiharbeitnehmer nach Ablauf dieser Frist durch neue Leiharbeitnehmer zu ersetzen.[56]

[53] Petition 83888 v. 11.9.2018, abrufbar unter https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2018/_09/_11/Petition_83888.nc.html.
[54] Befragung im Auftrag eines IGZ-Mitgliedsunternehmens nach Wirkung des Equal Pay Grundsatzes im Februar 2018, s. https://ig-zeitarbeit.de/presse/artikel/aueg-reform-verunsichert-zeitarbeitnehmer.
[55] In der Zeitarbeitsbranche sind nach Angaben des IGZ rund 90 Prozent aller Arbeitsverträge unbefristet.
[56] Bauer/Buch/u.a., IAB Stellungnahme 13/2018, S. 11.

II. Negative Auswirkungen auf wissensintensive Projektarbeit

 

Rz. 24

Eine jüngste Studie des Instituts für Management und Innovation[57] stellt sogar noch verheerendere Auswirkungen der Reform fest. So kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass durch die Gesetzesnovelle der administrative Aufwand bei der Abwicklung von wissensintensiven Dienstleistungen im überwiegenden Teil der Unternehmen gestiegen und ein Nachfragerückgang bzgl. der Beauftragung von Fremdpersonal für wissensintensive Projekte zu verzeichnen ist. Zugleich werden Projekte zunehmend erzwungenermaßen in Form der Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt. Die über Zeitarbeit abgewickelten wissensintensiven Projekte wiesen jedoch bei der Mehrheit der Befragten eine schlechtere Projektqualität, Verzögerungen im Ablauf und auch eine schlechtere Zielerreichung auf. Insgesamt kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die AÜG-Reform, die insbesondere den Arbeitnehmerschutz im Niedriglohnsektor verbessern wollte, gravierende Auswirkungen auf hochqualifizierte Tätigkeiten hat. So wirke sich die Reform negativ sowohl auf Quantität als auch auf Qualität des Wissenstransfers zwischen externen Experten und Auftraggebern aus.

[57] Sellinger/Tachkov/Völker, Studie zu den Auswirkungen der aktuellen Gesetzgebungen zur Arbeitnehmerüberlassung sowie zur Scheinselbstständigkeit auf die Quantität und Qualität des Wissenstransfers zwischen Auftraggebern und externen Experten, 2019.

III. Evaluierung und fortgesetzter Handlungsbedarf

 

Rz. 25

Es erscheint nach aktuellem Stand äußerst zweifelhaft, ob die für das Jahr 2022 erwartete Evaluierung eine positivere Bewertung bringen wird. Vielmehr wurde die in der 1. Auflage dieses Werks bereits geäußerte Sorge, dass Unternehmen durch die Reform zu Scheinarbeitnehmerüberlassungsverträgen gezwungen werden, bestätigt. Die Risikoverlagerung zu Lasten der Unternehmen bei fortbestehenden ungelösten Abgrenzungsproblemen erschwert insbesondere innovative agile Arbeitsformen.[58]

 

Rz. 26

Der Koalitionsvertrag 2021 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP erwähnt das Recht der Arbeitnehmerüberlassung sowie die Evaluierung nur am Rande.[59] Im Wesentlichen beschränkt die Koalition sich auf das Bekenntnis, es handele sich bei Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträgen um notwendige Instrumente. Strukturelle und systematische Rechtsverstöße seien durch eine bessere Rechtsdurchsetzung zu verhin...

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