Rz. 149

Nicht immer greift bei Vorliegen der zeitlichen Voraussetzungen die Einrede der Verjährung. In diesem Zusammenhang ist auch gem. § 242 BGB Treu und Glauben zu berücksichtigen. Treuwidrig und damit unbeachtlich ist nach Ansicht des OLG Koblenz[199] die Verjährungseinrede der Erben, wenn sie den Pflichtteilsberechtigten durch eine schuldhafte Täuschung innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist davon abgehalten haben, rechtzeitig Leistungsklage zu erheben. Differenzierter ist ein weiterer Fall des OLG Düsseldorf.[200]

 

Rz. 150

Zum Sachverhalt:

Die Eltern der Parteien hatten ein gemeinschaftliches Testament mit gegenseitiger Alleinerbeneinsetzung errichtet. Ferner enthielt das Testament eine Pflichtteilsklausel, in der bestimmt wurde, dass derjenige Abkömmling, der nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils seinen Pflichtteilsanspruch geltend macht, im Schlusserbfall enterbt ist. Eine Schlusserbfolge wurde nicht in diesem, sondern in einem späteren separaten Testament bestimmt.

Nach dem Tode des Vaters wurde zunächst durch das Nachlassgericht nur das erste Testament eröffnet. Das zweite Testament behielt die überlebende Ehefrau bei sich. Auf Antrag des Klägers wurde das zweite Testament erst kurz vor dem Tod der überlebenden Ehefrau durch das Nachlassgericht eröffnet. Der Kläger hat daraufhin seine Pflichtteilsansprüche auf Ableben des bereits im Jahre 1982 verstorbenen Erblassers geltend gemacht. Die Beklagte ist seitdem als Alleinerbin der zwischenzeitlich verstorbenen Ehefrau mit dem Verjährungseinwand entgegengetreten.

Der Kläger vertrat die Auffassung, dass sich seine Mutter und demzufolge seine Schwester, die Beklagte und Rechtsnachfolgerin der Mutter, auf den Verjährungseinwand nach § 242 BGB nicht berufen könne, da durch die Art und Weise der Errichtung der beiden Testamente und durch die Nichteröffnung des zweiten Testaments, welches von der Mutter zurückgehalten wurde, eine Täuschung seiner Person vorgelegen habe.

Gegen diese Argumentation wurde eingebracht, für die Entscheidung, den Pflichtteilsanspruch nach dem Ableben des Vaters geltend zu machen, sei einzig und allein das erste enterbende Testament, maßgebend ist. Insofern würde es an der Kausalität fehlen.

Das OLG Düsseldorf ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Verjährungseinrede zunächst der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstand. Unzulässig sei die Verjährungseinrede, wenn der Schuldner den Gläubiger durch sein Verhalten von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten hat. Ein besonders arglistiges Verhalten braucht dem nicht zugrunde zu liegen. Ein ausreichender Verstoß gegen Treu und Glauben kann auch aus einer unabsichtlichen Hinderung des Klägers an einer fristgerechten Geltendmachung eines ihm zustehenden Anspruchs folgen.[201]

 

Rz. 151

Nach Auffassung des Gerichts schaffte das erste gemeinschaftliche Testament der Eltern zwar nicht den Vertrauenstatbestand, den der Kläger aus ihm herleitet. Aus der Strafklausel ging lediglich hervor, dass derjenige, der einen Pflichtteil nach dem erstversterbenden Elternteil geltend macht, auch nach dem Längstlebenden nur einen Pflichtteil erhalten soll. Dies galt sowohl für den Kläger als auch für seine Schwester. Wenn die Beklagte den Pflichtteil geltend gemacht hätte, hätte sie auch nicht Erbin der längstlebenden Mutter werden können.

Aus dem ersten gemeinschaftlichen Testament ging aber gerade nicht hervor, wer Erbe des letztlebenden Elternteils werden sollte. Der Kläger konnte daher nicht darauf vertrauen, dass nach dem Tod des letztlebenden Elternteils die gesetzliche Erbfolge eintreten würde.

Allerdings war die Erblasserin gemäß § 2259 BGB verpflichtet gewesen, das zweite gemeinschaftliche (Ergänzungs-)Testament zum Amtsgericht als Nachlassgericht zu bringen, denn es handelte sich jedenfalls auch um ein Testament des Erblassers, auch wenn die Erbeinsetzung, die er für den Fall seines Letztversterbens angeordnet hat, durch seinen vorzeitigen Tod hinfällig geworden war.[202]

Das Gericht ging ferner davon aus, dass bei unterstellter Eröffnung des zweiten Testamentes der Kläger sofort seine Pflichtteilsansprüche nach seinem Vater geltend gemacht hätte. Bei Kenntnis des Inhalts dieses Testaments seiner Eltern stand für ihn fest, dass er auch nach dem letztversterbenden Elternteil nur einen Pflichtteil erhalten würde.

Somit konnte davon ausgegangen werden, dass die Mutter der Parteien durch ihre Verhaltensweise den Kläger von der fristgerechten Geltendmachung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen nach seinem Vater abgehalten hat. Durch die Vorenthaltung des zweiten Testaments hätte mithin die Mutter sich gegenüber dem Kläger nicht auf die Einrede der Verjährung berufen dürfen, hätte es sich insoweit um eine unzulässige Rechtsausübung gehandelt. In die Rechtsposition der Mutter ist die Beklagte als deren Erbin eingerückt.

Nun konnte man denken, dass der Fall so sein Ende gefunden hat. Doch leider kam es hier zu einer Haftungsfalle für den Prozessvertreter des Klägers!

 

Rz. ...

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