Rz. 68

Eine notwendige Streitgenossenschaft ist eine Streitgenossenschaft aus prozessualen bzw. aus materiellrechtlichen Gründen. Sie liegt immer dann vor, wenn das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann. Nicht ausreichend ist es, wenn lediglich aus logischen Gründen eine einheitliche Entscheidung zu erfolgen hätte.[101] Das Gesetz spricht in § 62 ZPO dann auch noch von einer Streitgenossenschaft, die aus einem sonstigen Grunde eine notwendige ist. Gemeint sind damit die Streitgenossenschaften aus materiellrechtlichem Grunde.

[101] Z.B.: Bei einer Klage gegen den Bürgen kann wegen seiner Anfechtung des Bürgschaftsvertrages die Klage mangels Bestehens einer Hauptschuld abgewiesen, der Hauptschuldner aber dennoch verurteilt werden.

aa) Notwendige Streitgenossenschaft aus prozessualem Grunde

 

Rz. 69

Typische Fälle für die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung sind die gesetzlich geregelten Fälle der Rechtskrafterstreckung der § 326 ZPO sowie § 327 ZPO. So wirkt ein Urteil, das zwischen einem Vorerben und einem Dritten über einen gegen den Vorerben als Erben gerichteten Anspruch oder über die Nacherbfolge unterliegenden Gegenstand ergeht, auch für den Nacherben, sofern es vor dem Eintritt der Nacherbfolge rechtskräftig wird.

Gleiches gilt für Urteile, welche zwischen einem Testamentsvollstrecker und einem Dritten über ein der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegendes Recht oder über ein gegen den Nachlass gerichteten Anspruch ergehen. Diese wirken für und gegen den Erben.

Die Entstehung einer notwendigen Streitgenossenschaft aus prozessualem Grunde ist nicht davon abhängig, ob die Rechtskrafterstreckung allseitig ist.[102]

Auch Gestaltungsklagen können aus prozessualen Gründen eine notwendige Streitgenossenschaft entstehen lassen. Dies gilt insbesondere bei Gestaltungsurteilen die zugunsten mehrerer Personen wirken, wie z.B. die Erbunwürdigkeitsklage nach § 2342 BGB.

 

Rz. 70

Bei Klagen gegen Gesamtschuldner muss nach h.M.[103] keine einheitliche Entscheidung ergehen. Dies gilt selbst dann, wenn sie zugleich Mitglied einer Gesamthandsgemeinschaft sind. Somit besteht keine notwendige Streitgenossenschaft z.B. bei einer Klage gegen Miterben bei der Gesamtschuldklage nach § 2058 BGB.

Etwas anderes kann gelten bei der sog. Gesamthandklage nach § 2059 Abs. 2 BGB, also dem Recht des Nachlassgläubigers die Befriedigung aus dem ungeteilten Nachlass von sämtlichen Miterben zu verlangen.

 

Rz. 71

Hier ist zu unterscheiden: Grundsätzlich ist bei einer Gesamthandklage nach § 2059 Abs. 2 BGB keine notwendige Streitgenossenschaft gegeben (zur Frage der Notwendigkeit einer Klage gegen alle Erben oder nur gegen den unwilligen Erben siehe Rdn 77).[104]

Im Einzelnen kommt es also entscheidend darauf an, ob nur alle Erben den Anspruch erfüllen können.

Wird z.B. die Übereignung eines Nachlassgrundstückes geschuldet, so führt nur die Gesamthandklage zum Ziel, weil nur alle Erben als gemeinsam Verfügungsberechtigte nach § 2040 Abs. 1 S. 1 BGB den Anspruch auch erfüllen können.[105] Bei der Frage, ob eine notwendige Streitgenossenschaft vorliegt, kommt es also auf die Gesamthandschuld an.

Nach der Rechtsprechung des BGH[106] kann die Notwendigkeit einer einheitlichen Feststellung bei einem Nebeneinander der Prozesse nur dann angenommen werden, wenn Sie auch bei einem Nacheinander der Prozesse gegeben wäre, weil sich die materielle Rechtskraft des ersten Urteils auf den zweiten Prozess erstreckt.[107]

Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Einzelfall problematisch zu bestimmen. Dies soll folgender Beispielsfall[108] verdeutlichen:

 

Rz. 72

 

Beispiel

A verklagt die vermeintlichen Testamentserben B und C auf Feststellung der Nichtigkeit des Testamentes. Einzelne Bestimmungen des Testamentes können ohne Weiteres materiellrechtlich in ihrer Wirksamkeit unterschiedlich zu beurteilen sein. Dementsprechend kann die eine testamentarische Erbeinsetzung wirksam, die andere weitere Erbeinsetzung hingegen unwirksam sein.

 

Rz. 73

Bei unterstellter notwendiger Streitgenossenschaft könnte daher gegen den im Termin säumigen B kein Versäumnisurteil ergehen, wenn C zur mündlichen Verhandlung erscheint und verhandelt. Es leuchtet ein, dass nicht einerseits gegen B ein Versäumnisurteil ergehen kann, welches die Nichtigkeit des Testamentes feststellt, weil beispielsweise der Kläger die Eigenhändigkeit des Testaments schlüssig gemäß § 2247 Abs. 1 BGB behauptet, andererseits gegenüber C, der das Vorbringen des Klägers bestreiten, nach Beweisaufnahme die Klage als unbegründet abgewiesen und hierdurch die Wirksamkeit des Testamentes festgestellt wird.[109]

Dennoch hat der BGH im Beispielsfall eine notwendige Streitgenossenschaft abgelehnt. Die restriktive Rechtsprechung des BGH wird damit begründet, dass die Notwendigkeit einer einheitlichen Feststellung bei einem Nebeneinander der Prozesse nicht anders beurteilt werden kann als bei einem Nacheinander. Logische Gründe reichen für eine notwendige Streitgenossenschaft nicht aus.[110] Allerdings kann im Beispie...

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