Rz. 220

Klagen Unfallbeteiligte ihre Ansprüche aus demselben Unfallgeschehen in jeweils eigenen Verfahren ein, so erfolgt in der Praxis in der Regel eine Prozessverbindung zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 147 ZPO. Eine der Klagen wird durch diese Verbindung zur (Dritt-)Widerklage. Die Verbindung hat auch Auswirkungen auf die Gebührenansprüche des Anwalts.

 

Rz. 221

Die bisher angefallenen Gebühren bleiben unberührt.[153] Denn nach § 15 Abs. 4 RVG können einmal entstandene Gebühren durch nachträglich eintretende Ereignisse nicht mehr entfallen. Bis zur Verbindung sind die Verfahren selbstständige Angelegenheiten.[154] Der Anwalt kann also die Verfahrensgebühren jeweils nach den Einzelstreitwerten berechnen. Sind die Gebührentatbestände sowohl vor als auch nach der Verbindung erfüllt worden, dann steht dem Anwalt ein Wahlrecht zu.[155] Er kann die Gebühren aus den Einzelwerten vor Verbindung oder aus dem Gesamtwert nach Verbindung berechnen.[156]

 

Rz. 222

 

Beispiel

F klagt gegen seinen Unfallgegner G auf Zahlung von Schadensersatz und Verdienstausfall in Höhe von 6.000 EUR (Az. 1/06). G erhebt gleichzeitig Klage gegen F auf Zahlung von Schadensersatz und Mietwagenkosten in Höhe von 7.000 EUR (Az. 2/06). Nachdem in beiden Verfahren mündlich verhandelt worden ist, wird die Klage des G als Widerklage zum Verfahren 1/06 verbunden. Anschließend erfolgt eine weitere mündliche Verhandlung.

In beiden Verfahren ist sowohl die Verfahrens- als auch die Terminsgebühr vor und nach der Verbindung angefallen. Die getrennte Abrechnung dieser Gebühren nach den Einzelwerten der Verfahren ist günstiger.

 
I. Gebühren des verbundenen Verfahrens (Wert: 13.000 EUR)
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   865,80 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   799,20 EUR
3. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
Zwischensumme 1.685,00 EUR  
4. Umsatzsteuer, VV 7008   320,15 EUR
Gesamt   2.005,15 EUR
II. Verfahren 1/06 vor Verbindung (Wert: 6.000 EUR)
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   507,00 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   468,00 EUR
3. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
Zwischensumme 995,00 EUR  
4. Umsatzsteuer, VV 7008   189,05 EUR
Gesamt   1.184,05 EUR
III. Verfahren 2/06 vor Verbindung (Wert: 7.000 EUR)
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   579,80 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   535,20 EUR
3. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
Zwischensumme 1.135,00 EUR  
4. Umsatzsteuer, VV 7008   215,65 EUR
Gesamt   1.350,65 EUR

Summe aus den beiden Einzelverfahren (II. und III.): 2.534,70 EUR.

 

Rz. 223

Ist die volle Gebühr nach dem zusammengerechneten Wert der verbundenen Prozesse höher als die Summe der nach den Einzelstreitwerten berechneten Verfahrensgebühren, kann der Anwalt auch diese verlangen.

 

Rz. 224

 

Beispiel

Eigentümer E klagt nach einem Unfall gegen Fahrer, Halter und Versicherer auf Schadensersatz in Höhe von 5.000 EUR (Az. 1/06). Das Verfahren wird mit der Klage des gegnerischen Halters auf Zahlung eines nach außergerichtlicher Regulierung verbliebenen Teilschadens von 250 EUR (Az. 2/06) verbunden, nachdem in beiden Verfahren verhandelt worden ist.

Auch hier sind Verfahrens- und Terminsgebühr sowohl vor als auch nach der Verbindung angefallen. Allerdings ist jetzt für den Anwalt des E die gemeinsame Abrechnung günstiger.

 
I. Gebühren des verbundenen Verfahrens (Wert: 5.250 EUR)
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   507,00 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   468,00 EUR
3. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
Zwischensumme 995,00 EUR  
4. Umsatzsteuer, VV 7008   189,05 EUR
Gesamt   1.184,05 EUR
II. Verfahren 1/06 vor Verbindung (Wert: 5.000 EUR)
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   434,20 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   400,80 EUR
3. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
Zwischensumme 855,00 EUR  
4. Umsatzsteuer, VV 7008   162,45 EUR
Gesamt   1.017,45 EUR
III. Verfahren 2/06 vor Verbindung (Wert: 250 EUR)
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100   63,70 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104   58,80 EUR
3. Auslagenpauschale, VV 7002   20,00 EUR
Zwischensumme 142,50 EUR  
4. Umsatzsteuer, VV 7008   27,08 EUR
Gesamt   169,58 EUR

Summe aus den beiden Einzelverfahren (II. und III.): 1.187,03 EUR

 

Rz. 225

Dieses Wahlrecht kann allerdings nicht dahingehend ausgeübt werden, dass der Anwalt die Gebühren aus den Verfahren vor der Verbindung und dazu die Gebühren aus dem (verbundenen) Verfahren verlangt. Denn das verbundene Verfahren bildet mit den vorhergehenden Einzelverfahren dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG.

[153] Gerold/Schmidt (Müller-Rabe), RVG, VV 3100 Rn 40 ff.; AnwK-RVG (Onderka/N. Schneider), VV Vorb. 3 Rn 62.
[154] OLG Koblenz JurBüro 1986, 1523.
[155] BGH, Beschl. v. 14.4.2010 – IV ZB 6/09, NSW RVG VV Nr. 3100; So auch Gerold/Schmidt (Müller-Rabe), RVG, VV 3100 Rn 41.
[156] BGH, Beschl. v. 14.4.2010 – IV ZB 6/09, NSW RVG VV Nr. 3100; VGH Kassel JurBüro 1987, 1360; Riedel/Sußbauer (Ahlmann), RVG, VV Vorb. 3 Rn 35.

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