Rz. 37

Das IPR zahlreicher Mitgliedstaaten enthielt vor dem Anwendungsstichtag für die EuErbVO Rechtswahlmöglichkeiten, die über die Rechtswahlmöglichkeiten der EuErbVO hinausgingen (Beispiele: Polen, wo bei gesetzlicher Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit das Wohnsitzrecht und das am gewöhnlichen Aufenthalt geltende Recht gewählt werden konnten; Wahl des deutschen Rechts für in Deutschland belegene Immobilien in Art. 25 Abs. 2 EGBGB; Wahl des aktuellen und künftigen Aufenthalts- und Heimatrechts in den Niederlanden und in Finnland).[31] Die Reduzierung der Rechtswahlmöglichkeiten auf das Heimatrecht in Art. 22 EuErbVO hätte in den Fällen, dass eine Verfügung von Todes wegen auf eine Rechtswahl gestützt wurde, die nach der EuErbVO weder wählbar war noch im Rahmen der objektiven Anknüpfung zum Zuge kommen könnte (auch nicht über Art. 21 Abs. 2 EuErbVO), zur Folge, dass die Verfügung bei Eintritt des Erbfalls nach dem Anwendungsstichtag ihre Effektivität verlieren würde. Auch hier hat man daher durch Einfügung einer Sonderklausel in Art. 82 Abs. 2 EuErbVO eine "Rettungsinsel" geschaffen, mit der die Rechtswahl quasi den Weg aus dem sinkenden Dampfer des nationalen Erbkollisionsrechts findet.

 

Rz. 38

Hatte der Erblasser das auf seine Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht vor dem 17.8.2015 gewählt, so ist diese Rechtswahl wirksam, wenn sie nach einer der folgenden Rechtsordnungen zulässig ist:

 

Rz. 39

1.

Die Rechtswahl erfüllt die Voraussetzungen des Kapitels III der EuErbVO. Der Erblasser konnte daher schon vor dem Anwendungsstichtag für die EuErbVO die in Art. 22 EuErbVO bereitgestellten Rechtswahlmöglichkeiten nutzen. Gerade in den Fällen, in denen die Verfügung noch vor der Verkündung der EuErbVO im Amtsblatt der Union erfolgte, werden solche Rechtswahlklauseln nur selten in das Testament aufgenommen worden sein, denn weder war die Rechtswahlmöglichkeit bekannt, noch ergab sich – aufgrund der Anknüpfung des Erbstatuts an die Staatsangehörigkeit – für die meisten EU-Bürger überhaupt eine Notwendigkeit, die Geltung des Heimatrechts ausdrücklich anzuordnen.

Art. 83 Abs. 4 EuErbVO weitet diesen Tatbestand dadurch aus, dass dort für den Fall einer Verfügung von Todes wegen, die vor dem 17.8.2015 nach dem Recht errichtet wurde, welches der Erblasser gem. Art. 22 EuErbVO hätte wählen können, angeordnet wird, dass dieses Recht als das auf die Rechtsfolge von Todes wegen anzuwendende gewählte Recht gilt. Hierbei handelt es sich nicht um eine widerlegliche Vermutung, sondern um eine Fiktion (fiktive Rechtswahl).[32] Verlangt wird kein Rechtswahlwille, sondern lediglich das bewusste Ausgehen von der Anwendbarkeit des Rechts eines bestimmten der Staaten, denen der Erblasser bei Errichtung der Verfügung angehörte.[33] Folge ist eine umfassende Rechtswahl i.S.v. Art. 22 EuErbVO hinsichtlich der gesamten Erbfolge, also nicht lediglich eine auf die Wirksamkeit der Verfügung beschränkte Teilrechtswahl i.S.v. Art. 24 Abs. 2 oder Art. 25 Abs. 3 EuErbVO.

2.

Die Rechtswahl ist auch wirksam, wenn sie nach den zum Zeitpunkt der Rechtswahl geltenden Vorschriften des Internationalen Privatrechts in dem Staat, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wirksam ist.

Beispiel 1: Hat ein in Deutschland lebender Serbe im Jahre 2003 mit seiner Ehefrau einen Erbvertrag abgeschlossen, in dem er für seine Beteiligung an dem in Heidelberg belegenen gemeinsamen Hausgrundstück das deutsche Recht wählte und die Verfügung auf diesen Vermögensteil beschränkte, so bleibt diese Rechtswahl – da er zum Zeitpunkt der Ausübung der Rechtswahl seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte – auch nach der Aufhebung des Art. 25 Abs. 2 EGBGB durch die EuErbVO weiterhin wirksam.

Beispiel 2: Behält der Erblasser im Beispiel 1 freilich seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland bei, so kommt es aber nach den Regeln der EuErbVO ohnehin zur Geltung deutschen Erbrechts, und zwar über das Grundstück hinaus auf das gesamte Vermögen des Erblassers. Das hat dann nicht nur zur Folge, dass die Rechtswahl "quasi ins Leere" geht. Es stellt sich dann auch die Frage, wie die auf die Nachlassspaltung ausgerichtete materielle Verfügung des Erblassers nunmehr vor dem Hintergrund der unerwarteten Nachlasseinheit auszulegen ist. Hier könnte man zum einen die Zuwendung des Grundstücks in eine Vermächtniszuwendung (Vorausvermächtnis bzw. "Hineinvermächtnis", also Teilungsanordnung) umdeuten. Denkbar wäre wegen der Erheblichkeit der Zuwendung im Verhältnis zum Gesamtnachlass auch eine Quoten verschiebende Vermächtniszuwendung oder gar eine Umdeutung in eine Alleinerbeinsetzung auf das gesamte Vermögen.

Praxishinweis: Die Aufzählung dieser Umdeutungsmöglichkeiten macht deutlich, welches Streitpotential in diesem Fall in Patchwork-Familien und anderen auf Interessenkonflikt ausgelegten Familienkonstellationen aufgebaut wird. Daher sollten derartige in der Vergangenheit auf Art. 25 Abs. 2 EGBGB gestützte Verfügungen aufgespürt werden und ggf. durch eine der neue...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge