A. Vorbemerkung

I. Es geht nicht nur um Abfindungen

 

Rz. 1

Auf der Ebene betrieblicher Umstrukturierungen kommt den Beteiligungsrechten des ­Betriebsrates ein erhebliches Gewicht zu. Dabei wäre es zu kurz gesprungen, die Ausübung der Beteiligungsrechte lediglich auf die Frage zu begrenzen, wer am Ende bei Durchführung der Umstrukturierung wieviel Abfindung erhält. Zwar steht häufig der finanzielle Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer, die unmittelbar betroffen sind, im Mittelpunkt. Bei der Beratung von Betriebsräten geht es auf Arbeitnehmerseite ­jedoch vor allem darum, die unternehmerische Zielsetzung zu hinterfragen, ggf. Alternativkonzepte zu entwickeln und in einem echten Interessenausgleich sich mit dem Unternehmen auf die Maßnahmen zu verständigen, die das mildeste Mittel sind, um das nötige betriebliche Ziel zu verwirklichen. Erst wenn all diese Möglichkeiten im Rahmen der ­Verhandlungen ausgeschöpft sind, geht es darum, festzulegen, welcher wirtschaftliche Ausgleich den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu gewähren ist. Bei der Beratung von Arbeitnehmern, die von Umstrukturierungen betroffen sind, spielen der zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erzielte Interessenausgleich und der abgeschlossene Sozialplan eine erhebliche Rolle. Sie geben den Rahmen vor, innerhalb dessen auf ­betrieblicher Ebene eine Maßnahme umgesetzt werden darf. Auch bei der Beratung von ­Arbeitnehmern im Individualmandat im Rahmen der Umstrukturierung ist es deshalb unerlässlich, sich mit den Beteiligungsrechten des Betriebsrates in diesem Zusammenhang auseinanderzusetzen. Werden diese nämlich nicht eingehalten, so kann es hilfreich sein, sich in der Vertretung eines individuell betroffenen Arbeitnehmers auf den Nachteilsausgleich gem. § 113 BetrVG berufen zu können. Dies gilt insbesondere, wenn bei schleichenden und schwer erkennbaren Betriebsänderungen der Abschluss eines Interessenausgleichs gänzlich unterbleibt.

II. Interessenausgleich und Sozialplan – zwei Seiten derselben Medaille

 

Rz. 2

Gem. § 111 BetrVG hat der Unternehmer in Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat über die geplanten Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten. Als Betriebsänderungen in diesem Sinne gelten:

1. Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen,
2. Verlegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen,
3. Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben,
4. Grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen,
5. Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren.
 

Rz. 3

Liegen diese Voraussetzungen vor, so hat der Unternehmer mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung zu verhandeln. Kommt dieser zustande, so ist er schriftlich niederzulegen und zu unterzeichnen (§ 112 BetrVG). Gleiches gilt für den Sozialplan, der den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen, regelt. Kommt ein Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung oder eine Einigung über den Sozialplan nicht zustande, so entscheidet letztendlich nach Durchführung des Verfahrens gem. § 112 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle. Können sich die Parteien auch in der Einigungsstelle nicht einigen, so entscheidet die Einigungsstelle nur über die Aufstellung des Sozialplans, § 112 Abs. 4 BetrVG. Eine Entscheidung über den Interessenausgleich kann sie jedoch nicht treffen.

 

Rz. 4

Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Beteiligung des Betriebsrates nicht in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingreifen möchte und der Unternehmer letzten Endes frei über die Durchführung von Betriebsänderungen entscheiden kann. Der Unternehmer ist mithin nur verpflichtet, das Verfahren zur Herbeiführung eines Interessenausgleiches durchzuführen. Er muss einen Interessenausgleich lediglich "versuchen", wie der Wortlaut von § 113 Abs. 3 BetrVG nahelegt.

 

Rz. 5

Lediglich hinsichtlich der finanziellen Nachteile, die den Beschäftigten entstehen, steht der Einigungsstelle das Recht zu, die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu ersetzen. Ist der Unternehmer also in seiner unternehmerischen Freiheit durch die ­Beteiligungsrechte des Betriebsrates nur insoweit eingeschränkt, dass er die verfahrensmäßigen Vorgaben einhalten muss, so ist er hinsichtlich der Auswirkungen auf die Arbeitnehmer verpflichtet, finanzielle Verpflichtungen einzugehen, da ihm diese die Einigungsstelle verbindlich auferlegen kann. Diese gesetzliche Konstruktion, wonach lediglich der Sozialplan erzwingbar ist, folgt der gesamten Logik des Betriebsverfassungsgesetzes, wonach immer dort starke Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bestehen, wo soziale Belange der Arbeitnehmer berührt sind. Je mehr in die unternehmerische Freihei...

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