Rz. 178

Scheitert der Sozialplan in freien Verhandlungen, kann jede der Parteien gemäß § 112 Abs. 2 S. 2 BetrVG die Einigungsstelle anrufen. Kommt eine Einigung über den Sozialplan nicht zustande, so entscheidet diese verbindlich gemäß § 112 Abs. 4 über die Aufstellung eines Sozialplans. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt dann die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

 

Rz. 179

Anders als die Betriebsparteien in freien Verhandlungen, hat die Einigungsstelle keinen weiten Beurteilungsspielraum mehr. Dieser steht lediglich den Betriebsparteien selbst zu. Somit können natürlich in der Einigungsstelle, sofern eine Einigung zwischen den Parteien zustande kommt, Regelungen gefunden werden, wie sie auch außerhalb der Einigungsstelle möglich wären. Hat die Einigungsstelle jedoch durch Spruch zu entscheiden, so ist sie zum einen ausschließlich auf Regelungen begrenzt, die wirtschaftliche Nachteile ausgleichen oder mildern sollen, die den Arbeitnehmern durch die beabsichtigte oder ggf. bereits durchgeführte Betriebsänderung entstehen.[217] Sie darf insbesondere keine Regelungen treffen, die die Durchführung der Betriebsänderung selbst betreffen. Dies wäre nur mit erzwingbarem Interessenausgleich möglich.[218] Darüber hinaus ist die Einigungsstelle auch aus § 112 Abs. 5 BetrVG in ihrem Ermessensspielraum gebunden. Sie hat sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen, als auch die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung, für das Unternehmen zu achten. Hierbei hat sich die Einigungsstelle im Rahmen des billigen Ermessens insbesondere von den Absatz 5 Nrn. 1 bis 3 vorgegebenen Grundsätzen leiten zu lassen. Die Grundsätze in § 112 Abs. 5 Nr. 1 bis 3 BetrVG haben die Funktion von Richtlinien für die Ausübung des Ermessens durch die ­Einigungsstelle, indem sie die Grenzen des ­Ermessens abstecken.[219]

[217] Fitting u.a. §§ 112, 112a BetrVG Rn 253.
[218] Röder/Gebert, NZA 2017, 1289.

1. Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalls

 

Rz. 180

Gemäß § 112 Abs. 5 Nr. 1 BetrVG soll die Einigungsstelle beim Ausgleich oder bei der Milderung wirtschaftlicher Nachteile, insbesondere durch Einkommensminderung, Wegfall von Sonderleistungen oder Verlust von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung, Umzugskosten oder erhöhte Fahrtkosten Leistungen vorsehen, die in der Regel den Gegebenheiten des Einzelfalls Rechnung tragen. Somit muss sich die Einigungsstelle um den Ausgleich feststellbarer oder zu erwartender materieller Einbußen des Arbeitnehmers im Einzelfall bemühen und soll weniger generell pauschale Abfindungssummen festsetzen.[220] Mithin muss die Einigungsstelle zumindest versuchen, möglichst konkrete Ansatzpunkte zu finden, um die Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer typischen individuellen Situation, wie z.B. Lebensalter, familiären Belastungen, Schwerbehinderteneigenschaften und Ähnliches auch differenziert zu behandeln.[221] Um diesem Gedanken gerecht zu werden, orientiert man sich in der Praxis bei der Festlegung derartiger Ausgleichszahlungen, insbesondere der Bemessung von Abfindungen, an den typischerweise zu erwartenden wirtschaftlichen Nachteilen und differenziert diese nach Lebensalter und unterschiedlichen Gruppen von Beschäftigten. Hierbei ist es durchaus zulässig, pauschalierte Annahmen zu treffen.[222]

[220] BT-Drucks 10/2102.
[222] Fitting u.a. §§ 112, 112a BetrVG, 263.

2. Berücksichtigung der Aussichten des betroffenen Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt

 

Rz. 181

Gem. § 112 Abs. 5 Nr. 2 BetrVG hat die Einigungsstelle zudem die Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Diese Vorgabe hinsichtlich der Ausgestaltung des Ermessensspielraums wirkt sich vor allem in der Differenzierung von Abfindungsleistungen nach Betriebszugehörigkeit und Lebensalter aus. Letztlich ist § 112 Abs. 5 Nr. 2 BetrVG an dieser Stelle nur eine Verstärkung des Grundsatzes der Einzelfallbezogenheit der Nr. 1.

3. Ausschluss von Beschäftigten, die eine zumutbare Weiterbeschäftigung ablehnen

 

Rz. 182

§ 112 Abs. 5 Nr. 2 S. 2 BetrVG gibt der Einigungsstelle auf, Arbeitnehmer von Leistungen auszuschließen, die eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung in einem zumutbaren Arbeitsverhältnis im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens oder Konzerns ablehnen. Bei dieser Einschränkung des Ermessens ist zu beachten, dass der Ausschluss von Leistungen sich nach dem Wortlaut nur auf solche beziehen kann, die Nachteile infolge des Verlusts des Arbeitsplatzes ausgleichen oder mildern ­sollen.[223]

 

Rz. 183

Ferner ist der Ausschluss nur vorzusehen für die Ablehnung von zumutbaren Arbeitsverhältnissen innerhalb des Unternehmens oder eines konzernangehörigen anderen Unternehmens. Die Beschäftigung bei Dritten darf keine Berücksichtigung finden.

 

Rz. 184

Dabei steht es der Einigungsstelle auch offen, die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitsplatz für einen betroffenen Arbeitnehmer zumutbar ist, näher auszugestalten. Sie kann insofern auch festlegen, dass ein Arbeitnehmer, der einen zumutbaren Arbeitsplatz ablehnt, gleichwohl noch die Hälfte des Betrages erhält, der ihm zust...

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