1. Allgemeines

 

Rz. 32

§ 111 BetrVG gibt dem Betriebsrat Beteiligungsrechte, wenn die vom Unternehmer geplante Maßnahme eine Betriebsänderung darstellt. § 111 BetrVG sieht in Satz 1 die Generalklausel vor, wonach das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates für geplante Betriebsänderungen eintritt, die wesentliche Nachteile für die ganze Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können. In einer beispielhaften und nicht ­abschließenden Aufzählung konkretisiert § 111 S. 3 BetrVG besondere Tatbestände, bei denen das Vorliegen einer Betriebsänderung unwiderleglich vermutet wird.[31] Die gegenteilige Auffassung, wonach es sich bei Satz 3 um eine erschöpfende und abschließende Aufzählung handeln solle, ist abzulehnen.[32] Letztlich gibt der Wortlaut für diese Interpretation nichts her. Wäre die Aufzählung in Satz 3 tatsächlich abschließend gemeint, hätte es der generalklauselartigen Beschreibung in § 111 S. 1 BetrVG nicht bedurft. Mithin kommen auch weitere Fälle über die in § 111 S. 3 BetrVG genannten beispielhaften Fälle als Betriebsänderung in Betracht. In der Praxis wird sich dieser Meinungsstreit jedoch wohl kaum auswirken.

 

Rz. 33

Als Betriebsänderung ist nach alledem jede Maßnahme zu verstehen, die nicht der laufenden Geschäftsführung zuzuordnen ist, sondern durch die die Funktionsweise des ­Betriebs in nicht alltäglicher Weise geändert wird.[33] Hierunter fallen Änderungen der betrieblichen Organisation, der Struktur des Betriebs, des Tätigkeitsbereichs, der ­Arbeitsweise, der Fertigungsverfahren, der Fertigungsabläufe, etc.

[31] Vgl. Fitting u.a. § 111 BetrVG Rn 40 m.w.N.
[32] Vgl. in Henssler/Hohenstatt/Willemsen, ArbR Kommentar, § 111 BetrVG Rn 20 m.w.N.
[33] Vgl. DKKW/Däubler u.a., § 111 BetrVG Rn 93.

2. Die Generalklausel i.S.v. § 111 S. 1 BetrVG

 

Rz. 34

Eine Betriebsänderung unterliegt dann der Mitbestimmung, wenn diese wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder für erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben könnte.

 

Rz. 35

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich § 111 S. 1 BetrVG hinsichtlich des Schwellenwertes ausschließlich auf die Anwendbarkeit der Norm bezieht. Alle weiteren Anknüpfungspunkte sind betriebsbezogen. Schließlich geht es um Betriebsänderungen. Ist also in der Generalklausel von der Belegschaft oder erheblichen Teilen der Belegschaft die Rede, ist dies auf den Betrieb, nicht auf das Unternehmen, zu be­ziehen.

a) Wesentliche Nachteile

 

Rz. 36

Die Beteiligungsrechte aus § 111 S. 1 BetrVG greifen nur dann, wenn wesentliche Nachteile die Folge der geplanten Betriebsänderung sein können. Lediglich geringfügige oder vorübergehende Nachteile sind nicht ausreichend.

 

Rz. 37

Zu beachten ist, dass der Eintritt dieser Nachteile infolge der geplanten Betriebsänderung nicht bereits im Vorfeld nachgewiesen werden muss. Vielmehr genügt es, dass sich bei objektiver Beurteilung einer Betriebsänderung solche Nachteile auch bei hypothetischer Betrachtung einstellen können.[34] Vor allem wird es sich um wirtschaftliche Nachteile handeln, die die Arbeitnehmer unmittelbar infolge der Betriebsänderung erleiden werden. Jedoch können auch alle anderen drohenden Beeinträchtigungen ausreichen. Je nach Ausgestaltung der unternehmerischen Maßnahme ist das Entstehen von Nachteilen vielfältig. Führt die Betriebsänderung etwa zum Arbeitsplatzverlust von Beschäftigten, dann besteht der Nachteil natürlich im Verlust des Arbeitsplatzes und den Folgewirkungen wie drohender Arbeitslosigkeit und damit verbundener Einkommensminderung. Selbst bei absehbarer Wiederaufnahme einer Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber würde der Nachteil ggf. in einer dann drohenden reduzierten Vergütung liegen oder im Neubeginn der Wartezeit nach dem Kündigungsschutzgesetz oder der Probezeit. Neben diesen relativ leicht greifbaren Nachteilen sind aber auch alle anderen Nachteile zu berücksichtigen, die infolge der Betriebsänderung entstehen können.

 

Rz. 38

Auch Mitarbeiter, die ihren Arbeitsplatz nicht verlieren, können Nachteile erleiden, wenn sie innerhalb des Betriebes oder Unternehmens auf andere Arbeitsplätze versetzt werden. Zu denken ist hier an eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen etwa durch eine veränderte Arbeitszeitgestaltung, eine erhöhte Belastung durch die Arbeitsumgebung (z.B. Lärm, Staub, Schadstoffe etc.), durch erhöhte Leistungsanforderungen oder neue Vergütungssysteme, die andere Anforderungen stellen. Ein möglicher Nachteil kann auch darin gesehen werden, dass am neuen Arbeitsplatz andere Qualifikationsanforderungen gestellt werden oder die weitere berufliche Fortentwicklung eingeschränkt ist. Ebenfalls als Nachteil kann angesehen werden, insbesondere bei räumlicher Versetzung, der Verlust von Sozialeinrichtungen, etwa einer Kantine oder sonstiger auf den Betrieb beschränkte Sozialeinrichtungen, wie ein Betriebskindergarten etc. Wird aufgrund der Betriebsänderung der Arbeitsplatz räumlich verlegt, entstehen Nachteile durch verlängerte Wegezeiten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz und dadurch erhöhte Wegekosten, ggf. erhöhte Kosten durch einen Mehraufwand aufgrund ein...

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