Rz. 79

Gemäß § 111 S. 1 BetrVG hat der Unternehmer den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und diese mit ihm zu beraten. Adressat dieser Pflicht ist der Unternehmer, mithin die natürliche oder juristische Person, die Inhaber des Betriebes ist und zugleich Arbeitgeber der in diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer.[98]

1. Zeitpunkt der Unterrichtung

 

Rz. 80

In der Praxis bemängeln Betriebsratsgremien oft, dass die Unterrichtung über eine geplante Betriebsänderung zu spät erfolgt sei. Meist wird der Betriebsrat mit einer bereits fertiggestellten Planung konfrontiert, die nur schwer zu korrigieren ist. Hier wird das Dilemma des rechten Zeitpunktes der Unterrichtung deutlich. Der Unternehmer möchte die Unterrichtung mit einer möglichst in sich schlüssigen und abgeschlossenen Planung beginnen. Der Betriebsrat seinerseits möchte gerne in Vorüberlegungen über den gesamten Zeitraum der Planungsphase eingebunden werden, damit seine Sichtweise und die Argumente der Belegschaftsvertretung noch berücksichtigt werden können.

Es stellt sich also die Frage, ab welchem Zeitpunkt tatsächlich von "geplanten" Betriebsänderungen die Rede sein kann. Zum andern ist zu klären, wann, hiervon ausgehend, die Unterrichtung "rechtzeitig" erfolgt.

a) Geplante Betriebsänderung

 

Rz. 81

Schon durch die Begrifflichkeit wird deutlich, dass einerseits die Unterrichtungspflicht nicht erst dann einsetzt, wenn der Unternehmer eine endgültige Entscheidung getroffen hat. Andererseits wird die Unterrichtungspflicht erst durch konkrete Planungen über eine bevorstehende Betriebsänderung ausgelöst. Dies setzt zumindest eine hinreichend bestimmte und in Einzelheiten bereits absehbare Maßnahme voraus, deren Durchführung der Arbeitgeber konkret anstrebt.[99] Bloße Konzepte und Vorüberlegungen stellen noch keine Planung in diesem Sinne dar. Da der Unternehmer den Betriebsrat jedoch möglichst früh einschalten muss, ist von einem Planungsstadium bereits dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber nach dem Abschluss von Vorüberlegungen beginnt, verschiedene Lösungen mit ggf. für die Belegschaft durchaus unterschiedlichen Folgen zu betrachten und näher zu beleuchten, um eine Entscheidungsbasis für die endgültige Entscheidung für eine dieser Lösungen zu erreichen.[100] Die vielfältig anzutreffende Annahme, eine geplante Betriebsänderung liege erst dann vor, wenn der Arbeitgeber aufgrund abgeschlossener Prüfungen zu einer bestimmten Betriebsänderung entschlossen sei, geht daher fehl.[101] Wenn der Betriebsrat nach § 111 S. 1 BetrVG in die Lage versetzt werden soll, durch die Unterrichtung und die anschließende Beratung die "geplante" Betriebsänderung gezielt beeinflussen zu können,[102] dann ist von einer geplanten Betriebsänderung bereits auszugehen, wenn der Arbeitgeber beginnt, verschiedene Szenarien für eine mögliche Betriebsänderung konkret zu berechnen und damit das Stadium der Vorüberlegungen verlassen hat.

[99] BAG v. 20.11.2001 – 1 AZR 97/01, AP BetrVG 1972, § 13 Nr. 39.
[100] Vgl. BAG v. 18.7.1972 – 1 AZR 189/72, BAGE 24, 346.
[101] So etwa BAG 28.10.1992 – 1 ABR 95/91, AP BetrVG 1972, § 112 Nr. 63.
[102] BAG v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, AP InsO § 209 Nr. 5.

b) Rechtzeitige Unterrichtung

 

Rz. 82

Rechtzeitig ist die Unterrichtung über die geplante Betriebsänderung, wenn zum ­Zeitpunkt der Unterrichtung noch die Möglichkeit besteht, über das "Ob" und "Wie" der Betriebsänderung tatsächlich zu beraten mit der Möglichkeit noch auf die Durchführung Einfluss zu nehmen.[103] Somit kann von einer rechtzeitigen Information dann nicht mehr gesprochen werden, wenn sich die Unternehmensleitung bereits endgültig entschieden und eine konkrete Maßnahme mit allen Einzelheiten beschlossen hat. Nach anderer Auffassung sprächen Sinn und Zweck der §§ 111 ff. BetrVG ­dafür, den ­Beschluss über z.B. die Betriebs(teil-)Stilllegung als bloße Vorbereitungshandlung einzustufen. Das Ergebnis der Verhandlungen mit dem Betriebsrat werde durch ihn nicht vorweggenommen, sondern bestimme erst den Gegenstand der Verhandlungen.[104]

 

Rz. 83

Das BAG geht davon aus, dass der Betriebsrat nicht zwingend vor der Gesellschafterversammlung oder den sonstigen Aufsichtsratsgremien des Unternehmens über die geplanten Betriebsänderungen informiert werden muss. Es geht davon aus, dass etwa auch ein Stilllegungsbeschluss der Gesellschafterversammlung lediglich ein "Teil des Meinungsbildungsprozesses auf Arbeitgeberseite" sei und die Unterrichtung des Betriebsrates im Anschluss hieran keine Verletzung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates darstelle.[105] Dies überzeugt nicht. Mit der Zustimmung der gesellschaftsrechtlichen Gremien zu einer bestimmten Betriebsänderung ist bereits eine endgültige Entscheidung gefallen und ein Planungsstadium endgültig verlassen. Es leuchtet wenig ein, wenn davon ausgegangen wird, der Betriebsrat habe nach dieser zustimmenden Beschlussfassung tatsächlich noch die Möglichkeit, auf das "Ob" und "Wie" der geplanten Betriebsänderung Einfluss zu nehmen. Leicht nachvollziehbar i...

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