I. Ausgangslage

 

Rz. 1

Wohl jeder Mensch, der am Wirtschaftsleben teilnimmt, wird irgendwann einmal eine Vollmacht erteilt haben. Vollmachten vereinfachen die Abwicklung von kleinen und großen Rechtsgeschäften, außerdem ermöglichen sie im Unterschied zu einer gesetzlichen Betreuung individuelle Regelungen, falls man handlungsunfähig wird. So wollen vor allem ältere Menschen durch eine Vorsorgevollmacht, die meist als Generalvollmacht erteilt wird, eine reibungslose Vermögensverwaltung und Versorgung für "den Fall der Fälle" sichern. Überdies spielen Bankvollmachten eine wichtige Rolle, insbesondere zur Bargeldversorgung älterer Menschen.

 

Rz. 2

Vollmachten erleichtern den Alltag ungemein, allerdings sind sie für den Vollmachtgeber – und damit auch für seine Erben – nicht ungefährlich, weil sie vom Bevollmächtigten im Außenverhältnis grundsätzlich ohne dessen Wissen und Wollen verwendet werden können und so erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstehen kann.

Dieses Risiko ist den wenigsten Vollmachtgebern bewusst. Selbst, wenn der Bevollmächtigte schon in größerem Umfang Verfügungen ohne das Wissen des Vollmachtgebers vorgenommen hat, ergreifen viele Betroffene keine Maßnahmen, weil sie aus Bequemlichkeit oder einer verständlichen Verdrängungshaltung auf Kontrollen verzichten. Auch gibt es die weit verbreitete Tendenz, trotz massiver Selbstbedienung des Bevollmächtigten unbedingt den Familienfrieden wahren zu wollen, um unter den Kindern keinen Streit aufkommen zu lassen, zumindest keinen Streit, den man noch selbst erlebt. Die Erfahrung zeigt, dass in solchen Konstellationen der "Familienfriede" nur ein Waffenstillstand ist und der Krieg später nur umso härter geführt wird.

 

Hinweis

Der Anwalt, der mit der Überprüfung des Verhaltens eines Bevollmächtigten beauftragt ist, ist Rechtsanwalt, nicht Staatsanwalt. Das Interesse des Auftraggebers (also regelmäßig des Vollmachtgebers) hat oberste Priorität. Selbst wenn ein Missbrauch der Vollmacht offenkundig erscheint, ist es nicht automatisch geboten, sofort Rückforderungsansprüche geltend zu machen, wenn bspw. die/der Bevollmächtigte zugleich die einzige Person ist, die sich um die Pflege des betagten Vollmachtgebers kümmert. Hier ist abzuwägen der (wohl vorrangige) Wunsch des Vollmachtgebers nach Sicherstellung der häuslichen Versorgung gegenüber dem Ziel des Vermögensschutzes.

 

Rz. 3

Viele Vollmachtgeber haben ein unerschütterliches Vertrauen in die ordnungsgemäße Tätigkeit des Bevollmächtigten, oft notgedrungen: nicht selten sind Bevollmächtigte nahe Familienangehörige, denen sich die Vollmachtgeber hilflos ausgeliefert sehen. Selbst wenn ein Vollmachtgeber den Verdacht hat, dass nicht alles so läuft wie ursprünglich vorgesehen, hüllt er sich lieber in Schweigen.

 

Rz. 4

Aus diesen Gründen sind in der anwaltlichen Praxis die Fälle, in denen der Vollmachtgeber selbst den Bevollmächtigten zur Rechenschaft zieht, relativ selten.[1] Der weitaus häufigste Fall ist das "böse Erwachen" nach dem Erbfall, wenn die Erben leer geräumte Konten vorfinden und sich vor (scheinbar) vollendete Tatsachen gestellt sehen. Manchmal schöpfen Angehörige schon zu Lebzeiten des Vollmachtgebers Verdacht und möchten wissen, was zum Schutz des Erblasservermögens unternommen werden kann.

 

Hinweis

Ein häufiges Problem, das mit den Mitteln des Rechts kaum zu lösen ist, ist der "ferngesteuerte" Vollmachtgeber. Die Methode ist einfach und wirksam:

Der Bevollmächtigte ist zwar mit umfänglichen Vollmachten versehen, macht aber hiervon kaum Gebrauch. Stattdessen wird der schon reichlich hinfällige Vollmachtgeber zum Banktresen geleitet, um sämtliche Unterschriften selbst zu leisten, insbesondere den Empfang des Bargeldes[2] zu quittieren. Serviceorientierte Banken haben einen Außendienst, der die Kunden auch im häuslichen Umfeld besucht, was dem unerkannten Missbrauch teilweise Vorschub leistet.

Nicht zuletzt die Möglichkeiten des Onlinebanking, von dem inzwischen auch viele Senioren begeistert Gebrauch machen, eröffnen die Möglichkeit, dass der Vollmachtgeber in quasi eigenem Namen Überweisungen absegnet, in Wahrheit aber der Bevollmächtigte mit Zugangsdaten am PC und mobiler TAN auf dem Handy des Vollmachtgebers Geld transferiert.

Gerade wenn Angehörige beim Vollmachtgeber ein- und ausgehen, können sie am Schreitisch oder durch Abfangen der Post geheime Zugangsdaten abgreifen und ohne Bevollmächtigung unerkannt verfügen.

[1] In diesen Fällen bedarf es i.d.R. auch keiner größeren Suche nach dem Bevollmächtigten und der Vollmachtsurkunde.
[2] Natürlich findet sich vom dem Bargeld nichts mehr im Nachlass, so dass hier der alte Satz gilt, dass Bargeld ein scheues Reh ist.

II. Mandatsannahme/Vergütung

 

Rz. 5

Der Rechtsanwalt, dem ein Mandat im Zusammenhang eines möglichen Vollmachtsmissbrauchs angetragen wird, muss sich zur Ermittlung des Anspruchsgegners zunächst einen Überblick über den Bestand und die Reichweite der erteilten Vollmachten verschaffen.

Zuvor ist aber unbedingt die Vergütungsfrage zu klären. Die gesetzliche Vergütung nach dem RVG, die sich im We...

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