Rz. 1131

Wichtige Detailaspekte zu der Erforderlichkeit der Zustimmung der Arbeitsverwaltung zu einer Massenentlassung hatte das BAG – unter der Geltung seiner früheren Rechtsprechung zum Entlassungsbegriff – mit Urt. v. 13.4.2000 festgestellt:[1125]

1. Liegt bei einer nach §§ 17 ff. KSchG anzeigepflichtigen Massenentlassung im vorgesehenen Entlassungszeitpunkt nicht die erforderliche Zustimmung der Arbeitsverwaltung vor, so darf der Arbeitgeber trotz privatrechtlich wirksamer Kündigung den Arbeitnehmer solange nicht entlassen, bis die Zustimmung erteilt ist (Entlassungssperre). Die §§ 17 ff. KSchG bestimmen – vor allem im öffentlichen Interesse, nicht im Interesse des einzelnen Arbeitnehmers –, dass die Kündigungsfrist auch einer sonst privatrechtlich wirksamen Kündigung durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt der Arbeitsverwaltung festgelegt wird.
2. Ein rechtskräftiger Verwaltungsakt bindet die Arbeitsgerichte – von dem seltenen Fall der Nichtigkeit abgesehen – ebenso wie ein Negativattest der Arbeitsverwaltung. Die Nachprüfung dieses Verwaltungsakts geschieht auch nicht durch die Arbeitsgerichte, sondern durch die Sozialgerichte.
3. Steht aufgrund des Bescheides der Arbeitsverwaltung fest, dass die Entlassung des Arbeitnehmers nicht zu dem im Kündigungsschreiben ins Auge gefassten Entlassungstermins erfolgen darf, so ist die rechtliche Situation dieselbe, wie wenn der Arbeitgeber ansonsten wirksam gekündigt, aber die Kündigungsfrist nach dem Gesetz, Tarifvertrag etc. zu kurz bemessen hat. Die Entlassung kann dann nicht zu dem vorgesehenen Termin erfolgen, der Arbeitgeber gerät, wenn er den Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigt, in Annahmeverzug.
4. Nichts anderes gilt, wenn bis zu dem vorgesehenen Entlassungstermin nicht einmal eine Massenentlassungsanzeige erstattet worden ist; dann fehlt es überhaupt an einer für die Kündigung gültigen Kündigungsfrist. Dann ist, da § 17 Abs. 1 KSchG die Erstattung der Massenentlassungsanzeige vor der Entlassung fordert, von Ausnahmefällen abgesehen (rechtskräftiges Negativattest, nachträgliche Verringerung der Quote etc.) aufgrund der ausgesprochenen Kündigung eine Entlassung des Arbeitnehmers überhaupt nicht mehr möglich.
 

Rz. 1132

Ist die Kündigungsfrist länger als die Sperrfrist nach § 18 KSchG und wird die Anzeige nachgeholt oder die Genehmigung von der Arbeitsverwaltung rückwirkend erteilt, dann bleibt der Fehler ohne Auswirkung auf die Kündigung. Läuft dagegen die Kündigungsfrist ab, bevor die Anzeige wirksam erstattet ist, soll die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beenden können. Der Arbeitgeber soll auch nicht einen Teil der Entlassungen, die sich unterhalb der Grenzen des § 17 KSchG halten, durchführen können.[1126]

 

Rz. 1133

Das BAG[1127] hatte die Fragestellung vermeintlich abschließend entschieden: Bei fehlender oder fehlerhafter Massenentlassungsanzeige nach §§ 17, 18 KSchG sei nur die Entlassung des betreffenden Arbeitnehmers unzulässig. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus § 17 KSchG führe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Verstoßes des privaten Arbeitgebers gegen seine Unterrichtungspflicht nach § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 KSchG und seine Beratungspflicht nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG lasse sich auch nicht mit der im Hinblick auf die Richtlinie 98/59/EG erforderlichen gemeinschaftskonformen Auslegung der §§ 17, 18 KSchG begründen.[1128]

 

Rz. 1134

§ 18 Abs. 1 KSchG betreffe nach seinem klaren Wortlaut nur die Wirksamkeit der anzeigepflichtigen Entlassung, nicht die Wirksamkeit der Kündigung. Liege im vorgesehenen Entlassungszeitpunkt nicht die erforderliche Zustimmung der Arbeitsverwaltung vor, so trete unabhängig von der privatrechtlichen Wirksamkeit der Kündigung eine Entlassungssperre ein. Ob die Kündigung als privatrechtliches Rechtsgeschäft wirksam oder unwirksam ist, regele sich nach anderen Vorschriften, etwa § 1 KSchG. §§ 17 ff. KSchG bestimmten nur, dass die Kündigungsfrist auch einer sonst privatrechtlich wirksamen Kündigung durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt der Arbeitsverwaltung festgelegt wird.

 

Rz. 1135

Auch wegen der Frage, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist, wenn es um die Frage der Zahl der "i.d.R. beschäftigten Arbeitnehmer" geht, hat das BAG auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vollziehung der Entlassung abgestellt. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Senats sei für die Anzeigepflicht nicht die Beschäftigungszahl im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs, sondern in dem der tatsächlichen Vollziehung der Entlassung maßgebend.[1129] Die Regelung der §§ 17, 18 KSchG diene in erster Linie arbeitsmarktpolitischen Zwecken. Der Arbeitsverwaltung solle die Möglichkeit erhalten bleiben, rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung oder wenigstens zur Verzögerung von Belastungen des Arbeitsmarktes einzuleiten und für die anderweitige Beschäftigung der Entlassenen zu sorgen.[1130] Dieser arbeitsmarktpolitische Zweck sei bereits in der Gesetzesbegründung zu den §§ 15, 16 KSchG 1951 bet...

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