Rz. 216

Wenn ein Arbeitnehmer, der vor Verfahrenseröffnung einen Arbeitsvertrag geschlossen hatte, die Tätigkeit noch nicht begonnen hat, soll – nach bestrittener Auffassung – der Insolvenzverwalter gem. § 103 InsO ein Erfüllungswahlrecht haben. Er könne die Erfüllung des Arbeitsvertrages wählen oder die Erfüllung ablehnen.[241] Lehne er die Erfüllung ab, stehe dem Arbeitnehmer als Insolvenzgläubiger ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu (§ 103 Abs. 2 S. 1 InsO).

 

Rz. 217

Nach herrschender Meinung wird aber die Vorschrift des § 103 InsO von der Regelung des § 113 InsO als lex specialis auch für noch nicht angetretene Dienstverhältnisse verdrängt.[242] Danach kann der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Arbeitsvertrages nicht ablehnen. Auch ein noch nicht angetretenes Arbeitsverhältnis muss der Insolvenzverwalter form- und fristgerecht kündigen.

 

Rz. 218

 

Hinweis

Ohnehin dürfte seit der Neufassung des § 623 BGB das Schriftformerfordernis für alle Beendigungstatbestände auch insoweit gelten. Eine etwaige Erfüllungsablehnung bedürfte also in jedem Fall der Schriftform und wäre insoweit auch nur ex nunc möglich.

 

Rz. 219

Diese Auffassung hat inzwischen auch das BAG bestätigt: Nach § 113 S. 1 InsO können Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden. Dies gilt nach § 279 S. 1 InsO auch bei Eigenverwaltung. Die Kündigungsfrist des § 113 S. 2 InsO beginnt mit dem Zugang der Kündigungserklärung. Es kommt nicht darauf an, ob den vor Insolvenzeröffnung getroffenen Vereinbarungen zu entnehmen ist, dass bei einer Kündigung vor Dienstantritt die Kündigungsfrist erst ab dem vereinbarten Dienstantritt zu laufen beginnen soll. Im sog. Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) getroffene Vereinbarungen, durch welche die Anwendung des § 113 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, sind nach § 119 InsO unwirksam. § 119 InsO bezieht sich auf alle Vereinbarungen, die "im voraus", d.h. vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, geschlossen wurden. Das Schutzschirmverfahren ist eine spezielle Variante des Eröffnungsverfahrens. Es ist auf den Zeitraum ab dem Eröffnungsantrag bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschränkt. § 113 InsO findet auf Kündigungen vor Dienstantritt Anwendung.[243]

[241] So Hess, § 113 Rn 151; a.A. Grunsky/Moll, Rn 343; Kölner Schrift zur InsO/Düwell, S. 1444; Heinze, S. 100; Caspers, Rn 91 ff.
[242] Siehe auch Kübler/Prütting/Moll, InsO, § 113 Rn 32 f.; Berscheid, ZInsO 1998, 115, 116.
[243] BAG v. 23.2.2017 – 6 AZR 665/15, NZA 2017, 995 = NZI 2017, 577 m. Anm. Lambrecht/Kraft; dazu EWiR 2017, 443 (Stütze); NJW-Spezial 2017, 466.

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