Rz. 62

§ 60 Abs. 1 S. 2 RVG regelt, dass § 60 Abs. 1 S. 1 RVG auch für einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse gem. § 45 RVG auch i.V.m. § 59a RVG gilt. Damit kommen die oben genannten Kriterien (unbedingter Auftrag, gesamte Vergütung in derselben Angelegenheit) auch für die im Wege der VKH beigeordneten Anwälte und Anwältinnen zum Tragen. Sofern dem Anwalt oder der Anwältin ein Vergütungsanspruch jedoch zusteht, ohne dass zum Zeitpunkt der Beiordnung oder Bestellung ein unbedingter Auftrag desjenigen erteilt worden ist, dem ein Anwalt oder eine Anwältin beigeordnet oder für den er/sie bestellt wurde, ist für diese Vergütung in derselben Angelegenheit bisheriges Recht anzuwenden, wenn die Beiordnung oder Bestellung des Rechtsanwalts vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung wirksam geworden ist, § 60 Abs. 1 S. 3 RVG. Sofern die Beiordnung oder Bestellung auch eine Angelegenheit umfasst, in der ein Anwalt bzw. eine Anwältin erst nach dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erstmalig beauftragt oder tätig wird, so ist insoweit für die Vergütung neues Recht anzuwenden, § 60 Abs. 1 S. 4 RVG; wobei die Regelungen des § 60 Abs. 1 S. 2 bis 4 gem. Satz 5 auch auf Ansprüche Anwendung findet, die sich nicht gegen die Staatskasse richten. § 60 Abs. 1 S. 1 bis 5 RVG gelten auch, wenn Vorschriften geändert werden, auf die dieses Gesetz verweist, siehe dazu § 60 Abs. 1 S. 6 RVG. Zu diesen besonderen Konstellationen finden sich in den einschlägigen Kommentaren zum RVG zahlreiche Berechnungsbeispiele.[24]

 

Rz. 63

 

Beispiel: bedingter Verfahrensauftrag

Rechtsanwalt R erhält Ende Dezember 2020 den Auftrag, gegenüber dem Gegner S einen Antrag einzureichen, sofern das Gericht die begehrte Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Anfang Januar 2021 wird die begehrte VKH bewilligt und es wird sodann ein entsprechender gerichtlicher Hauptsache-Antrag gestellt. Die Abrechnung hat nach RVG in der Fassung vor dem 1.1.2020 zu erfolgen, da das Verfahren über die VKH und das Verfahren für das die VKH bewilligt wurde, gem. § 16 Nr. 2 RVG dieselbe Angelegenheit darstellen.

Über dieses Ergebnis kann man allerdings streiten. Denn dieselbe Angelegenheit bedeutet lediglich, dass die Gebühren nur einmal gefordert werden dürfen, siehe § 15 Abs. 1 RVG. Da aufgrund der Abrechnungssperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO die Vergütung aber nur von der Staatskasse gefordert werden kann, stellt sich die Frage, ob damit nicht vielmehr der "unbedingte" Auftrag zur Hauptsache erst im Zeitfenster des neuen Rechts erteilt wurde. Denn der Antrag für das gerichtliche Verfahren (und nur dies wird mit der Staatskasse abgerechnet), wurde im Dezember 2020 nicht als unbedingter Auftrag erteilt, sondern lediglich als bedingter.

 

Rz. 64

 

Beispiel: Unbedingter Verfahrensauftrag

Rechtsanwalt R erhält Ende Dezember 2020 den Auftrag, einen Antrag einzureichen und gleichzeitig Antrag auf VKH zu stellen. Die VKH wird im März 2021 bewilligt. Der Auftrag zur Durchführung des gerichtlichen Verfahrens war jedoch ohne die Bedingung einer Bewilligung von VKH bereits im Dezember 2020 erteilt worden. Der Rechtsanwalt hat somit nach dem "alten" Recht abzurechnen, da der Tatbestand "unbedingter Auftrag" auch gegenüber der Staatskasse gilt, § 60 Abs. 1 S. 2 RVG.

 

Rz. 65

 

Beispiel: Beiordnung ohne Auftrag

Wird ein Anwalt oder eine Anwältin z.B. ohne entsprechenden Auftrag des Mandanten gem. § 138 FamFG beigeordnet, gilt für ihn als Stichtag der Beiordnung, § 60 Abs. 1 S. 3 RVG.

[24] Siehe z.B. Jungbauer in Bischof/Jungbauer, RVG, 9. Aufl. 2021, § 60 Rn 26–85.

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