Rz. 49

Der Bußgeldbescheid hemmt die Verjährung, sofern er innerhalb der Frist erlassen und binnen zwei Wochen zugestellt worden ist, ansonsten tritt die Hemmung mit der Zustellung gem. § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG ein.

 

Achtung!

Gemäß § 26 Abs. 3 StVG verlängert sich die Frist der Verfolgungsverjährung um weitere sechs Monate, wenn der Bußgeldbescheid ergangen ist.

Voraussetzung ist ein wirksamer Bußgeldbescheid – hierzu sogleich (siehe Rdn 91 ff.). Maßgeblich für den Erlass ist der Zeitpunkt der Unterzeichnung des Bescheides durch die Behörde. Sodann muss er innerhalb von zwei Wochen wirksam zugestellt werden. Mittlerweile werden Bußgeldbescheide im Wege der elektronischen Datenverarbeitung erstellt. Hier ist maßgeblich, wann der zuständige Sachbearbeiter die willentliche Verfügung an das Programm gibt, den Bescheid zu erlassen.[99] Dies muss nicht gesondert aktenkundig kenntlich gemacht werden, es genügt, wenn nachträglich im Freibeweisverfahren der Verfasser ermittelt werden kann.[100]

Taktische Möglichkeiten einer Beschränkung der Anwaltsvollmacht sind von der Rechtsprechung immer weiter zurückgedrängt worden. So wird bei fehlender Vollmacht zunehmend in der Mandatierung selbst eine rechtsgeschäftliche Empfangsvollmacht gesehen.[101] Die Zustellung an eine Kanzlei als solche wird ebenfalls ambivalent bewertet.[102]

Grundsätzlich gelten die allgemeinen Zustellungsregeln, konkretisiert durch § 51 OWiG. Dabei ist insbesondere auf die Heilungsmöglichkeit nach § 51 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 8 VwZG (bzw. den entsprechenden Landesgesetzen) hinzuweisen. Ob dem Betroffenen das originäre Dokument selbst zugestellt werden muss, oder aber der Zugang einer Kopie ausreicht, ist umstritten. Mit guten Argumenten wird auf die eindeutige Gesetzesbegründung abgestellt, wonach die Übersendung einer bloßen Kopie nicht ausreichen soll.[103] Ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung will dennoch auf den Normzweck abstellen, nämlich auf die Kenntnis des Inhalts und die Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung.[104] So hat etwa das OLG Celle eine Heilung bejaht, als ein Familienangehöriger den Bescheid geöffnet und dem Betroffenen via WhatsApp weitergeleitet hat.[105] Im konkreten Fall wird man jedoch zumindest den Zustellungswillen der Behörde aus den Gesamtumständen berücksichtigen müssen – nämlich wen die Behörde wann in welcher Form angeschrieben hat.[106] Dabei wird ein strenger Maßstab anzulegen sein; es ist nämlich kein Grund ersichtlich, weshalb gerade im formalistischen Bußgeldverfahren die klaren Normvorgaben aufgeweicht werden sollten.[107]

Häufig sind Firmenwagen involviert. Wird der Bußgeldbescheid an Dritte übergeben, ist zu prüfen, ob es sich beim Betroffenen um einen Arbeitgeber oder um einen Beschäftigten handelt. Eine Ersatzzustellung ist nur in den dem Betroffenen gehörenden Geschäftsräumen wirksam.[108] Auch der Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums genügt hierfür nicht.[109] Der melderechtliche Status ist nicht ausschlaggebend, sondern die Tatsache, dass der Betroffene dort tatsächlich wohnt.[110]

 

Rz. 50

Die Zustellungsregeln eröffnen hier Möglichkeiten für eine "Verjährungsfalle."[111] In diesen Fällen beantragt der Anwalt im Ermittlungsverfahren Akteneinsicht mit bloßer Anzeige der Verteidigung des Mandanten. Eine Zustellungsvollmacht wird weder vorgelegt, noch behauptet. Dabei wird spekuliert, dass die Bußgeldbehörde den originären Bescheid lediglich an den Anwalt, nicht aber an den Betroffenen zustellt. Nach Ablauf der Frist des § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG wird sich dann auf Verfolgungsverjährung berufen.

 

Verjährungsfalle

Diese Taktik kann aufgehen, jedoch auch in mehrfacher Hinsicht zur "Verteidigerfalle" werden:

Die Verteidigung sollte immer die Vorfragen stellen, ob der Betroffene in der Lage ist, sich um die Beachtung der Einspruchsfrist selbst zu kümmern und ob er dies auch wünscht. Regelmäßig wird der Betroffene das Verfahren komplett in die Hände der Verteidigung legen wollen.
Es sollte in diesem Verfahrensstadium überhaupt keine schriftliche Vollmacht zur Akte gegeben werden – auch keine modifizierte ohne Zustellungsformel.[112] § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG fingiert dann nämlich die Zustellungsvollmacht.[113] Diese Vollmacht muss sich aber auch tatsächlich zum Zeitpunkt der Zustellung bei den Akten befunden haben.
Die höchstgerichtliche Rechtsprechung ist dazu übergegangen, die Möglichkeiten einer Verjährungsfalle zurückzudrängen. So soll das erkennbare Errichten einer Verjährungsfalle rechtsmissbräuchlich und die Zustellung an den Anwalt wirksam sein.[114] Zumindest sei § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG nicht abschließend, weshalb stets im Einzelfall zu prüfen sei, ob eine Zustellungsvollmacht rechtsgeschäftlich erteilt worden ist.[115] Hierbei ist das Empfangsbekenntnis ein wesentliches Kriterium.[116]
Es gilt auch die Mandantschaft zu informieren, dass diese sich nach Erhalt von Behördenpost fristwahrend beim Anwalt melden soll. Somit wird rechtzeitig geklärt, ob der originäre Bescheid beim Betroffenen eingeht und das...

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