Rz. 147

Bislang war der Begriff des Beweisantrages weitestgehend durch die Rechtsprechung ausgestaltet worden. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.1.2019 wurden die bisherigen Kriterien in § 244 Abs. 3 StPO kodifiziert.[315] Über § 46 Abs. 1 OWiG findet die Norm auch Anwendung im Ordnungswidrigkeitenrecht. Nach der gesetzlichen Definition ist das Merkmal der Konnexität zwingend erforderlich und Ausforschungsbeweise bzw. Beweise ins Blaue hinein sind ausgeschlossen. Ein Beweis kann gem. § 244 Abs. 3 S. 2 abgelehnt werden, weil das Beweisthema oder das Beweismittel unzulässig sind. Hinsichtlich der Beweismittel ist auf Erhebungs- und Verwertungsverbote zu achten. Negativtatsachen sind unstatthaft. Wenn ein Beweismittel dafür benannt wird, dass der Betroffene nicht Fahrer gewesen ist, handelt es sich nicht um einen Beweisantrag.[316] Sofern keine konkrete Tatsache benannt wird, handelt es sich um einen bloßen Beweisermittlungsantrag.[317]

 

Rz. 148

Dieser kann im Bußgeldverfahren ebenso wie die Beweisanregung relevant werden. Gem. § 77 Abs. 1 OWiG hat das Gericht die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen. Geht das Gericht einer sich für das Bußgeldverfahren aufdrängenden Frage nicht nach, ob eine bestimmte Vermutung zutrifft, kann darin ein Verstoß gegen diese Aufklärungspflicht liegen. Der Verstoß kann wiederum mit der Rechtsbeschwerde gerügt werden und muss hierzu ins Protokoll aufgenommen werden.[318] Der Prüfmaßstab ist hier dann denknotwendig aber gerade nicht das Beweisantragsrecht, sondern vielmehr die gerichtliche Aufklärungspflicht.[319]

 

Rz. 149

 

Praxistipp

Faustformelmäßig wird mit einem Beweisantrag begehrt festzustellen, dass eine bestimmte Tatsache vorliegt. Bei einem Beweisermittlungsantrag wird hingegen begehrt zu ermitteln, ob eine vermutete entlastende Tatsache überhaupt besteht.

 

Rz. 150

Wenngleich gem. §§ 46, 71 OWiG i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, macht es für die Verteidigung durchaus Sinn, eigene Beweisanträge zu stellen. Wie auch im Strafverfahren ist der Beweisantrag ein förmlicher Antrag und kann daher nur durch förmlichen Beschluss gem. § 244 Abs. 6 S. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG zurückgewiesen werden. Die Begründung kann gem. § 77 Abs. 3 OWiG jedoch verkürzt erfolgen. Außerdem stehen dem Amtsgericht neben der nunmehr erweiterten Auflistung des § 244 Abs. 3 StPO hinaus im Ordnungswidrigkeitenverfahren zusätzliche Ablehnungsmöglichkeiten gem. § 77 Abs. 2 OWiG zur Verfügung. Damit kann das Gericht einen Beweisantrag noch leichter zurückweisen als im Strafprozess, weshalb der Verteidiger bei der Antragstellung besondere Vorsicht walten lassen muss. Insoweit empfiehlt sich zunächst ein Blick auf die erweiterten Ablehnungsgründe, welche es zu umschiffen gilt.

 

Rz. 151

Das Gericht darf seine Aufklärungspflicht nicht verletzten. Hält es jedoch die Beweiserhebung nach seinem pflichtgemäßen Ermessen nicht für erforderlich zur Erforschung der Wahrheit, kann es den Antrag ablehnen, § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG. Hierfür muss jedoch bereits eine Beweisaufnahme stattgefunden haben, die nach Ansicht des Gerichts den relevanten Sachverhalt zur Genüge aufgeklärt hat. Eine weitere Beweiserhebung darf sich ihm gerade nicht aufdrängen.[320] Anhaltspunkte für eine fortbestehende Aufklärungspflicht sind insbesondere konkrete Anhaltspunkte für technische Fehlfunktionen des Messgerätes.[321] Aber auch der Verteidigervortrag zur Fahrerfrage, dass der Bruder des Betroffenen ihm wie "wie ein Ei dem anderen ähnele" macht eine weitere Aufklärung erforderlich, ohne dass es auf die Vorlage eines aktuellen Lichtbildes ankäme.[322] Gleiches kann für den Fall der Benennung eines Entlastungszeugen gelten, selbst wenn bereits zwei belastende Zeugen angehört worden sind. Hier muss sich im konkreten Einzelfall die Beweisaufnahme jedoch aufdrängen oder zumindest nahe liegen.[323]

 

Rz. 152

Des Weiteren kann das Amtsgericht einen Beweisantrag gem. § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG als verspätet ablehnen, wenn nach dessen freier Würdigung das Beweismittel bzw. die zu beweisende Tatsache ohne verständigen Grund so spät vorgebracht worden ist, dass es zur Aussetzung der Verhandlung führen würde. Damit soll Prozessverschleppung verhindert werden.[324] Auch hier ist es zunächst erforderlich, dass das Gericht eine Beweisaufnahme durchgeführt hat und den Sachverhalt damit für eindeutig geklärt hält. Von der Aussetzung der Hauptverhandlung gem. § 228 StPO ist jedoch die Unterbrechung nach § 229 StPO zu unterscheiden, welche eine erneute Durchführung der kompletten Hauptverhandlung nicht erforderlich macht.[325] Sofern das Amtsgericht den Antrag ablehnt, weil es nicht innerhalb der Unterbrechungsfrist weiterverhandeln und den beantragten Beweis erheben kann, bedarf es einer ausführlichen Begründung im Einzelfall.[326] Der richterlichen Aufklärungspflicht wird im Zweifel gegenüber dem Willen des Gesetzgebers, Bußgeldverfahren in möglichst einer Hauptverhandlung zu erledigen, der Vorrang zu geben sein. Jedenfal...

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