Zusammenfassung

 
Überblick

Der Kaufmann hat kein Wahlrecht, ob er Abschreibungen vornehmen will oder nicht. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut[1] besteht sowohl handels- als auch steuerrechtlich eine Pflicht zur Vornahme der abschnittsbezogenen linearen Normal-AfA (BFH, Urteil v. 8.4.2008, VIII R 64/06, BFH/NV 2008 S. 1660; BFH, Urteil v. 22.6.2010, VIII R 3/08, BStBl 2010 II S. 1035 Rn. 18, 19). Wird es entgegen dieser zwingenden Anordnung unterlassen, Abschreibungen überhaupt oder in der gebotenen Höhe vorzunehmen, stellt sich die Frage, ob eine Nachholung der in den Vorjahren unterlassenen Abschreibungen in späteren Veranlagungszeiträumen zulässig ist, wenn die Steuerbescheide der vergangenen Jahre nicht mehr geändert werden können. Der BFH hat sich in seiner Rechtsprechung mehrfach mit dieser Problematik beschäftigt.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung

Steuergesetzlich geregelt ist die Nachholung unterlassener AfA in § 4 Abs. 2 und § 7 EStG. Verwaltungsseitige Erläuterungen finden sich u. a. in H 7.4 und 7.5 EStH 2022.

1 Steuerrechtliche Problemstellung

Bei Vermögensgegenständen des Anlagevermögens, deren Nutzung zeitlich begrenzt ist, "sind" die Anschaffungs- oder die Herstellungskosten um planmäßige Abschreibungen zu vermindern.[1] Beträgt die voraussichtliche Nutzungsdauer eines abnutzbaren Wirtschaftsguts mehr als ein Jahr, "ist" bzw. bei Gebäuden sind AfA vorzunehmen.[2] Dies stellt eine zwingende Regelung dar, welche die Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Vornahme der AfA begründet.[3] Da eine Pflicht zur Vornahme der AfA besteht, steht es nicht im Belieben des Steuerpflichtigen, die AfA im jeweiligen Wirtschaftsjahr bzw. Veranlagungszeitraum vorzunehmen oder zu unterlassen. Daher muss eine unterlassene AfA grundsätzlich nachgeholt werden.

In der Praxis kommt es vor, dass bei einem Wirtschaftsgut zeitweise die AfA falsch oder überhaupt nicht angesetzt wurde. Die Steuerbescheide sind dann oft bestandskräftig. In diesem Fall wird – meist bei Außenprüfungen – überprüft, ob die Voraussetzungen für eine Änderung des betreffenden Steuerbescheids vorliegen, z. B. Änderung aufgrund offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 AO oder wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 AO. Kommt eine Änderung der Bescheide nach den Änderungsvorschriften der AO nicht in Betracht, stellt sich die Frage, ob eine AfA-Korrektur für die Zukunft erfolgen kann. Problematisch ist dies, weil eine Verpflichtung besteht, mindestens die lineare AfA anzusetzen.[4]

Steuerrechtlich ist für die Frage der Nachholung von AfA zu unterscheiden,

  • ob die AfA pflichtwidrig bewusst – willkürlich – unterlassen wurde, um infolge der Verlagerung in spätere Veranlagungszeiträume zu einer unberechtigten Steuerersparnis zu kommen, oder
  • ob die gebotene AfA versehentlich unterlassen wurde, z. B. wegen einer unbeabsichtigten fehlerhaften Bewertung der Nutzungsdauer.

Einer besonderen Betrachtung ist der Fall zu unterziehen, in dem ein Wirtschaftsgut des notwendigen Betriebsvermögens bislang nicht bilanziert war.

2 Willkürlich unterlassene AfA zur Erlangung steuerlicher Vorteile

2.1 Steuerlich grundsätzlich nicht nachholbar

Willentlich und willkürlich unterlassene Absetzung für Abnutzung (Normal-AfA) darf nach den Grundsätzen von Treu und Glauben steuerlich nicht in späteren Gewinnermittlungszeiträumen nachgeholt werden.[1], [2] Das gilt auch für die Absetzung für Substanzverringerung (AfS).[3]

Willkür liegt vor, wenn der Steuerpflichtige bewusst eine nach wirtschaftlichen Grundsätzen gebotene Abschreibung auf spätere Jahre verlagert, um dadurch für die Gesamtheit der Steuerabschnitte unberechtigt zu einer beachtlichen Steuerersparnis zu kommen.[4] Das kann z. B. der Fall sein, wenn in Jahren mit niedrigem Gewinn ohnehin keine Steuer anfällt, während die Abschreibung in Folgejahren mit höheren Gewinnen eine Steuerersparnis bringt.

Sofern eine Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht möglich ist und daher die Steuerbescheide der Vorjahre im Hinblick auf die zu niedrige AfA nicht mehr geändert werden können, muss sich der Steuerpflichtige so behandeln lassen, als ob er die AfA in den Vorjahren zutreffend vorgenommen hätte. In einem solchen Fall muss der Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs zurücktreten. Die bewusst unterlassene AfA fällt damit endgültig aus, die nicht in Anspruch genommene AfA geht dem Steuerpflichtigen endgültig verloren.[5]

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