Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsrechtlicher Status eines Weinverkaufsberaters

 

Orientierungssatz

1. Ein mittelbares Arbeitsverhältnis liegt dann vor, wenn ein Arbeitnehmer von einem Mittelsmann beschäftigt wird, der seinerseits selbst Arbeitnehmer eines Dritten ist und die Arbeit mit Wissen des Dritten unmittelbar für diesen geleistet wird. Allerdings ist auch in einem solchen Fall eine Kündigungsschutzklage gegen den Mittelsmann und nicht gegen den mittelbaren Arbeitgeber zu richten. Ebenso haftet der mittelbare Arbeitgeber nur subsidiär, wenn sich Ansprüche gegen den Mittelsmann (unmittelbaren Arbeitgeber) nicht durchsetzen lassen. Darüber hinaus kommt eine unmittelbare Inanspruchnahme des mittelbaren Arbeitgebers allein dann in Betracht, wenn die Begründung eines mittelbaren Arbeitsverhältnisses sich als Rechtsmißbrauch darstellt.

2. Unterliegt der Beschäftigte hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht, liegt ein Arbeitsverhältnis vor. Kann er im wesentlichen die Arbeitsbedingungen frei gestalten, ist er ein freier Mitarbeiter.

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 23.01.1989; Aktenzeichen 5 Sa 1028/88)

ArbG Bonn (Entscheidung vom 18.08.1988; Aktenzeichen 5 Ca 1080/88)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Zusammenhang mit einer Kündigungsschutzklage und mit Zahlungsansprüchen darüber, ob die Beklagte Arbeitgeberin des Klägers ist.

Die Beklagte vertreibt vor allem französische Weine über Läden, die sie als Wein-Depot Agenturen bezeichnet.

Der Kläger war früher vom 20. September 1982 bis zum 31. Mai 1985 als Weinverkaufsberater bei der Beklagten unmittelbar angestellt.

Er hat am 23. Juli 1987 mit dem Inhaber der " Wein-Depot Agentur B (Inhaber: T M)" einen Arbeitsvertrag als Weinverkaufsberater über eine Teilzeitbeschäftigung von 14 Stunden wöchentlich abgeschlossen.

Der Kläger wendet sich in diesem Rechtsstreit gegen eine vom Agenturinhaber M am 29. April 1988 ausgesprochene Kündigung zum 31. Mai 1988 und außerdem gegen eine mit Schreiben vom 19. Mai 1988 erklärte fristlose Kündigung. Außerdem verlangt er seine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen. Ferner hat er tarifliches Urlaubsgeld für 1987 und 1988 (230,16 DM brutto) und Abgeltung für einen Urlaubstag (48,-- DM) sowie Personalrabatt in Höhe von 124,04 DM beansprucht.

Der Kläger hat die Kündigungsschutzklage und seine Zahlungsansprüche nicht gegen den Agenturinhaber M, sondern gegen die Beklagte gerichtet, weil er sie als seine Arbeitgeberin ansieht. Nach seiner Auffassung ist der Agenturinhaber M nur als Arbeitnehmer der Beklagten zu betrachten, weil er für die Beklagte zeit- und weisungsgebundene Tätigkeit verrichte. Dazu verweist er auf folgende Vertragsgestaltung:

Die Beklagte hat dem Agenturinhaber einen fertig eingerichteten Laden zum Zwecke des Betriebes eines Wein-Einzelhandelsgeschäftes verpachtet. Außerdem hat sie mit ihm einen Agenturvertrag abgeschlossen, der ihn verpflichtete, im Namen und für Rechnung der Beklagten zu den von ihr festgelegten Preisen sowie Liefer- und Zahlungsbedingungen Wein aus ihrem Sortiment zu verkaufen. Er ist zur Einhaltung der jeweils gültigen Agenturrichtlinien der Beklagten verpflichtet. Er hat die Werbung der Beklagten zu übernehmen und ihre Verkaufsförderung zu unterstützen. Die Beklagte berät den Agenturinhaber "bei der Beschaffung von Mitarbeitern anhand von Qualifikationskriterien, soweit der Partner dies wünscht". Der Agenturinhaber erhält eine Provision, über die monatlich abgerechnet wird. Er hat den Beauftragten der Beklagten jederzeit Zutritt zu den Geschäftsräumen zu gestatten und ihnen Einsicht in alle Verkaufsunterlagen zu gewähren. Die Beklagte erwartet, daß der Agenturinhaber während der vereinbarten Öffnungszeiten im Depot anwesend ist. Er muß im Krankheitsfall für ausreichende Personalbesetzung sorgen. Dazu verpflichtet er sich auch während eines Jahresurlaubs von höchstens sechs Wochen innerhalb der Schulferien. Außerdem hat er die Möglichkeit, sich an einem Tag wöchentlich - außer Freitag und Samstag - vertreten zu lassen und muß sich während der mit der Beklagten vereinbarten Öffnungszeiten verkaufs- und betriebsbereit halten.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte umgehe mit dieser Vertragsgestaltung bewußt das Kündigungsschutzgesetz, denn sie habe den Agenturinhaber ausdrücklich angewiesen, nicht mehr als fünf Arbeitnehmer in seinem Depot zu beschäftigen. Außerdem schreibe die Beklagte ihm vor, welche Waren er in sein Angebot aufnehmen solle und wann er die Geschäftsräume für den Verkauf geöffnet halten müsse.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis

der Parteien weder durch die Kündigung

der Beklagten vom 29. April 1988, zugegan-

gen am 30. April 1988, zum 31. Mai 1988

noch durch die fristlose Kündigung der

Beklagten vom 19. Mai 1988 aufgelöst wor-

den ist, sondern ungekündigt darüber

hinaus fortbesteht;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger

bis zur rechtskräftigen Entscheidung über

den Antrag zu 1) zu unveränderten Arbeits-

bedingungen als Weinverkaufsberater weiter-

zubeschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger

42,-- DM brutto sowie 177,24 DM netto nebst

4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden

Nettodifferenzbetrag seit dem 3. Juni 1988

zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und dazu ausgeführt, der Agenturinhaber könne jederzeit die Ware in sein Angebot aufnehmen, die er aus dem Sortiment selbst auswähle. Er sei auch berechtigt, Ware zurückzugeben. Die Öffnungszeiten schreibe die Beklagte nicht vor, sondern sie empfehle sie nur, um zu verhindern, daß sich die Depots gegenseitig Konkurrenz machten. Ebensowenig schreibe sie dem Agenturinhaber vor, wen und wieviel Mitarbeiter er beschäftigen solle.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger verfolgt mit der Revision sein Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet, denn das Berufungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis besteht und darüber hinaus sich auch aus einem mittelbaren Arbeitsverhältnis gegen die Beklagte keine Ansprüche ergeben.

I. Die Beklagte ist nicht Vertragspartner des Klägers. Er hat nicht mit ihr, sondern mit dem Agenturinhaber M am 23. Juli 1987 einen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Der Agenturinhaber M hat ihn im eigenen Namen unterzeichnet. Der Wortlaut ist eindeutig und läßt keine andere Auslegung zu. Davon sind die Vorinstanzen zu Recht ausgegangen.

Die Revision räumt ebenfalls ein, daß der Kläger den Arbeitsvertrag mit dem Agenturinhaber und nicht mit der Beklagten abgeschlossen hat. Der Kläger meint jedoch, er könne die Beklagte in Anspruch nehmen, weil der Agenturinhaber selbst nur Angestellter sei. Daraus ergibt sich jedoch noch keine unmittelbare Vertragsbeziehung zu der Beklagten. Die angebliche Arbeitnehmereigenschaft des Agenturinhabers hat nur Bedeutung für ein mittelbares Arbeitsverhältnis.

II. Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang geprüft, ob zwischen dem Kläger und der Beklagten Rechtsbeziehungen aufgrund eines sog. mittelbaren Arbeitsverhältnisses bestehen. Das hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint.

1. Ein mittelbares Arbeitsverhältnis liegt dann vor, wenn ein Arbeitnehmer von einem Mittelsmann beschäftigt wird, der seinerseits selbst Arbeitnehmer eines Dritten ist und die Arbeit mit Wissen des Dritten unmittelbar für diesen geleistet wird (BAGE 4, 93, 98 = AP Nr. 2 zu § 611 BGB Mittelbares Arbeitsverhältnis, zu I der Gründe; BAGE 6, 232, 241 = AP Nr. 3 zu § 611 BGB Mittelbares Arbeitsverhältnis, zu III 1 der Gründe). Allerdings ist auch in einem solchen Fall eine Kündigungsschutzklage gegen den Mittelsmann und nicht gegen den mittelbaren Arbeitgeber zu richten. Ebenso haftet der mittelbare Arbeitgeber nur subsidiär, wenn sich Ansprüche gegen den Mittelsmann (unmittelbaren Arbeitgeber) nicht durchsetzen lassen (BAGE 4, 93, 99 = AP Nr. 2 zu § 611 BGB Mittelbares Arbeitsverhältnis, zu I der Gründe; KR-Friedrich, 3. Aufl., § 4 KSchG Rz 88, S. 668; Röhsler, "Das mittelbare Arbeitsverhältnis" in AR-Blattei, (D) Arbeitsvertrag - Arbeitsverhältnis III, zu IV 3 a). Darüber hinaus kommt eine unmittelbare Inanspruchnahme des mittelbaren Arbeitgebers allein dann in Betracht, wenn die Begründung eines mittelbaren Arbeitsverhältnisses sich als Rechtsmißbrauch darstellt (BAGE 39, 200 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Mittelbares Arbeitsverhältnis).

2. Vorliegend kommen die vorstehend dargelegten Rechtsbeziehungen bei Bestehen eines mittelbaren Arbeitsverhältnisses schon deshalb nicht zum Tragen, weil der Agenturinhaber M selbst kein Arbeitnehmer ist.

a) Das Berufungsgericht ist bei der Beurteilung der Rechtsstellung des Agenturinhabers im wesentlichen von den Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelt haben. Entscheidendes Merkmal der Arbeitnehmereigenschaft ist vor allem die persönliche Abhängigkeit des Mitarbeiters (vgl. u.a. BAGE 39, 329 = AP Nr. 32 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAGE 41, 247, 253 = AP Nr. 42 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu II 1 der Gründe). Danach ist Arbeitnehmer derjenige, der seine Dienstleistung im Rahmen einer vom Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und deshalb persönlich abhängig ist dagegen der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Zwar gilt diese Regelung unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbständigen Handelsvertreters vom abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten. Über diesen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus enthält die Vorschrift jedoch eine allgemeine gesetzgeberische Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrages vom Arbeitsvertrag zu beachten ist, zumal dies die einzige Norm ist, die hierfür Kriterien enthält. Unterliegt also der Beschäftigte hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht, liegt ein Arbeitsverhältnis vor. Kann er im wesentlichen die Arbeitsbedingungen frei gestalten, ist er ein freier Mitarbeiter.

b) Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze vorliegend richtig angewandt. Der Agenturinhaber M ist kein Arbeitnehmer der Beklagten. Zwar will die Revision das Gegenteil aus einzelnen Bestimmungen des Agenturvertrages herleiten. Dabei verkennt sie jedoch, daß nach Auffassung des Berufungsgerichts sich die rechtliche Einordnung abweichend vom Vertragstext aus der praktischen Handhabung ergibt, wie sie durch die Beweisaufnahme festgestellt worden ist. Für die rechtliche Einordnung eines Vertragsverhältnisses ist dann, wenn der Vertragstext und die praktische Handhabung nicht übereinstimmen, der wirkliche Gehalt der Tätigkeit maßgebend. Dafür ist die tatsächliche Ausgestaltung und die Durchführung des Vertrages entscheidend (BAG Urteil vom 23. April 1980 - 5 AZR 426/79 - AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu I 3 der Gründe, m.w.N.).

Dazu hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht angreifbarer Weise aufgrund der Beweisaufnahme festgestellt, daß dem Agenturinhaber nicht vorgeschrieben ist, wen und wieviel Arbeitnehmer er einstellt. Er müsse das Personal auf eigene Kosten beschäftigen. Er dürfe bauliche Veränderungen vornehmen und könne selbst über die Art der Reklame entscheiden. Er treffe die Auswahl unter den von der Beklagten angebotenen Weinen und entscheide darüber, welche er davon beziehen wolle. Ebensowenig sei ihm die Menge vorgeschrieben. Außerdem habe er die Entscheidung über Ladenöffnungszeiten und dürfe Zusatzartikel - wenn auch in geringem Umfang - von anderen Lieferanten beziehen.

Daraus hat das Berufungsgericht zu Recht entnommen, daß der Agenturinhaber M kein Arbeitnehmer ist, denn er hat das Recht, über die Ladenöffnungszeiten selbst zu entscheiden. Die fehlende persönliche Abhängigkeit ergibt sich darüber hinaus daraus, daß er selbst entscheiden kann, welche Waren er aus dem Sortiment der Beklagten in sein Angebot übernimmt und in welcher Menge er sie bezieht. Ebensowenig ist ihm vorgeschrieben, wieviel Mitarbeiter er einstellt und welche Verträge er mit ihnen abschließt. Unter diesen Umständen fehlt es dem Agenturinhaber an der für einen Arbeitnehmer typischen persönlichen Abhängigkeit mit der Folge, daß schon deswegen Rechtsbeziehungen über ein mittelbares Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten fehlen.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Polcyn Dr. Schönherr

 

Fundstellen

BB 1990, 1064

BB 1990, 1064-1065 (T)

AP § 611 BGB Abhängigkeit (ST1-2), Nr 57

EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff, Nr 32 (ST1-3)

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