Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmtheitsgebot bei Änderungsbescheid zu Leistungen des SGB 2 gegenüber den Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft

 

Orientierungssatz

1. Der Widerspruch gegen eine Absenkung der Regelleistung wegen unzureichender Bemühungen des erwerbsfähigen Arbeitsuchenden hat nach § 39 Nr. 1 SGB 2 keine aufschiebende Wirkung. Diese ist durch einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag anzuordnen, wenn der Kürzungsbescheid rechtswidrig erscheint.

2. Ein Änderungsbescheid ist rechtswidrig, wenn der Leistungsträger die bei bestehender Bedarfsgemeinschaft notwendige Individualisierung nicht vorgenommen hat. Aus dem Verfügungssatz des Bescheides muss hervorgehen, wie sich der geänderte Leistungssatz für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft berechnet. Bei Verletzung dieses Bestimmtheitsgebotes ist der Änderungsbescheid rechtswidrig ergangen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 23.07.2007 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 18. und 21.05.2007 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des ersten Rechtszuges zu 2/3 und des Beschwerdeverfahrens in vollem Umfang zu erstatten.

 

Gründe

Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Lebensgefährten und ihrem Kind Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter anderem mit Bescheid vom 18.04.2007, geändert durch Bescheid vom 10.05.2007, für die Zeit vom 01.05.2007 - 31.07.2007 in Höhe von 1.174,20 Euro bzw. 934,20 Euro. Nachdem die Antragstellerin aus Sicht der Antragsgegnerin das Zustandekommen eines ihr angebotenen Arbeitsverhältnisses vereitelt hatte, änderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 18.05.2007 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.06. - 31.07.2007 und stellte mit weiterem Bescheid vom 21.05.2007 eine Absenkung des Leistungsanspruchs der Antragstellerin für die Zeit vom 01.06. - 31.08.2007 um 100 v. H. der Regelleistung fest.

Die Antragstellerin hat vor dem Sozialgericht (SG) Münster beantragt, die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, ihr ungekürzte Leistungen zu bewilligen. Auf Hinweis des SG hat sie diesen Antrag dahin geändert, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 21.05.2007 anzuordnen.

Das SG hat mit Beschluss vom 23.07.2007 den Antrag abgelehnt, weil der Gesetzgeber bei unzureichenden Bemühungen oder kontraproduktivem Verhalten eines voll erwerbsfähigen Arbeitssuchenden eine Absenkung des Regelsatzes vorgesehen habe. Die höhere Kürzung der Leistungen bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, habe der Gesetzgeber mit der Menschenwürde für vereinbar angesehen, so dass das Vollzugsinteresse der Allgemeinheit höher wiege als die von der Antragstellerin vorgebrachten Aussetzungsgründe.

Die dagegen gerichtete Beschwerde, der das SG lediglich im Hinblick auf die zunächst abgelehnte Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgeholfen hat, ist zulässig.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs - dieser allerdings nicht beschränkt auf den Bescheid vom 21.05.2007, sondern auch auf denjenigen vom 18.05.2007, weil ohne dessen Einbeziehung der Bescheid vom 21.05.2007 allein eine Kürzung der bereits bewilligten Leistungen nicht zur Folge hätte und der Antrag insoweit auslegungsfähig ist -, da das SG nur hierüber entschieden hat. Eine Erweiterung des Antrages ist im Beschwerdeverfahren über den einstweiligen Rechtsschutz nicht zulässig, weil insoweit das Beschwerdegericht nicht das zuständige Prozessgericht der Hauptsache ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Aufl., § 86 b Rn. 37). Dies gilt auch hier, obwohl die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nur den Leistungszeitraum bis Juli 2007 mangels darüber hinausgehender Bewilligungs- und Eingriffsentscheidung der Antragsgegnerin erfassen kann. Auch wenn das SG dies - möglicherweise im Hinblick auf seinen Entscheidungszeitpunkt - verkannt und die Antragsbeschränkung - der ursprüngliche Antrag umfasste den gesamten Absenkungszeitraum einschließlich August 2007, über den jedoch eine Entscheidung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (Regelungsanordnung) zu ergehen gehabt hätte - veranlasst hat, hat der Senat aufgrund seiner Zuständigkeit allein über den Zeitraum Juni/Juli 2007 zu befinden, zumal auch der Beschwerdeantrag wiederum nur auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gerichtet ist.

Insoweit ist die Beschwerde auch begründet.

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Leistungskürzung hat gemäß § 39 Nr. 1 SGB ...

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