Entscheidungsstichwort (Thema)

Interessenabwägung bei der Versorgung eines hörbehinderten Sozialhilfeberechtigten mit einem Hilfsmittel durch den Sozialhilfeträger

 

Orientierungssatz

1. Bei der Frage der Erforderlichkeit von Hilfsmitteln für einen Sozialhilfeberechtigten sind die Lebenswirklichkeit des behinderten Menschen und dessen berechtigte Wünsche nach Maßgabe der §§ 1 und 8 SGB 9 in die rechtliche Gesamtbetrachtung des konkreten Einzelfalls einzubeziehen.

2. Macht ein Gehörbehinderter gegenüber dem Sozialhilfeträger die Versorgung mit einem Signalhörhund als Behindertenbegleithund geltend, so ist die Hörbeeinträchtigung, solange es möglich erscheint, durch eine Versorgung mit Hörgeräten auszugleichen. Dies hat den Vorrang vor der Versorgung mit einem Begleithund.

3. Im Übrigen trägt ein Signalhund nur in geringem Umfang zur Teilhabe an der Gemeinschaft bei. In Anbetracht der Kosten für eine Hörgeräteversorgung ist die Anschaffung eines Behindertenbegleithundes nicht verhältnismäßig.

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. Oktober 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten oder von der Beigeladenen die Übernahme von Kosten für diverse Hilfsmittel beanspruchen kann, die sie aufgrund ihrer Hörbehinderung zu brauchen meint. Teilweise hat sich die Klägerin die begehrten Hilfsmittel bereits selbst beschafft. Im Einzelnen geht es um die Kosten für die Anschaffung und Ausbildung ihres Signalhörhundes sowie dessen laufende Unterhaltskosten, eine Lichtsignalanlage für ihre Wohnung, einen Kopfhörer mit Verstärker für Fernseher und Radio, eine Gleitsichtbrille sowie ein Notebook.

Die 1957 geborene Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer an Taubheit grenzenden Hörminderung. Sie ist als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie dem Merkzeichen RF anerkannt. Sie war zunächst in Teilzeit als Angestellte im öffentlichen Dienst der Freien und Hansestadt Hamburg tätig, ergänzend erhielt sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seit Mai 2010 erhält sie von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 5.1.2012) sowie ein Ruhegeld nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz von der Freien und Hansestadt Hamburg und besitzt nach ihren Angaben kein Vermögen. Sie ist bei der beigeladenen Krankenkasse pflichtversichert.

Die Klägerin, die nicht mit Hörgeräten versorgt ist, beantragte zunächst bei der Beigeladenen die Übernahme der Kosten für einen sog. Signalhörhund als Behindertenbegleithund. Dieser Hund könne ihr Geräusche vermitteln, z.B. das Martinshorn beim Autofahren, oder einen Feueralarm an der Arbeitsstätte. Die Beigeladene lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Februar 2005 ab. Ein Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wurde durch Bescheid vom 10. November 2005 ebenfalls abgelehnt; den Widerspruch der Klägerin wies die Beigeladene mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2006 zurück. Die hiergegen erhobene Klage zum Sozialgericht Hamburg (S 37 KR 222/06) blieb erfolglos: In der mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2007 wies das Gericht die Klägerin darauf hin, dass die Klage keine Erfolgsaussichten habe. Das Bundessozialgericht habe zuletzt am 19. April 2007 (B 3 KR 9/06 R) bekräftigt, dass es nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre, die Benutzung eines Pkw zu ermöglichen. Nach dem Bundessozialgericht sei zudem die Zuständigkeit der Krankenversicherung nur gegeben, wenn ein Hilfsmittel zum Ausgleich eines Funktionsdefizits geeignet und notwendig sei und wenn der Ausgleich die beeinträchtigte Körperfunktion in einem wesentlichen Umfang ersetze. Das sei für einen Blindenführhund der Fall, der die Orientierungsfähigkeit im Raum ersetze. Ein Signalhörhund ersetze jedoch lediglich einen geringen Anteil der beeinträchtigten Hörfunktion, nämlich das Bemerken bestimmter Signale, auf die er trainiert sei. Daher sei jedenfalls die gesetzliche Krankenversicherung nicht der zuständige Kostenträger für dieses Hilfsmittel. Daraufhin nahm die Klägerin die Klage zurück.

Bereits am 11. September 2006 beantragte die Klägerin bei der Arbeitsgemeinschaft SGB II, jetzt jobcenter team.arbeit.hamburg, bei der sie seinerzeit noch im Leistungsbezug stand, die Kostenübernahme von behinderungsbedingten Hilfsmitteln aufgrund ihrer an Taubheit grenzenden Hörschädigung. Konkret begehrte sie die Erstattung bzw. Übernahme der Kosten für die Anschaffung ihres Hundes im Juli 2005 sowie für dessen bisherigen und künftigen Unterhaltsaufwand (Hundefutter, Tierarzt, Leine und Geschirr, Korb und Kissen). Ferner machte sie geltend die Kosten für eine Aus...

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