Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlende Erfolgsaussichten einer Klage auf angemessene Vergütung eines schwerbehinderten Menschen bei Beschäftigung in einer Behindertenwerkstatt

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Klage auf angemessene Vergütung im Sinne des § 612 Abs. 1 BGB bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn der Kläger mit einem Grad der Behinderung von 70 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht, auf der Grundlage eines Werkstattvertrages in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) im Sinne des § 136 SGB IX tätig ist und seine Vergütung den gesetzlichen Vorgaben des § 138 Abs. 2 SGB IX entspricht; weder die Aufgaben einer Werkstatt für behinderte Menschen noch die des dort beschäftigten Behinderten entsprechen den Rechten und Pflichten eines Arbeitnehmers in einem Arbeitsverhältnis.

2. Soweit das Beschäftigungsverhältnis des behinderten Menschen im Werkstattvertrag im Hinblick auf Arbeitszeit, Entgeltfortzahlung oder Urlaub einem Arbeitsverhältnis angenähert ist, macht dieser Umstand das Beschäftigungsverhältnis lediglich zu einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis.

3. Ein in einer Werkstatt für behinderte Menschen gemäß § 138 Abs. 1 SGB IX beschäftigter behinderter Mensch erlangt den Status eines Arbeitnehmers, wenn ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis und damit Weisungsgebundenheit besteht, er in den Betrieb eingegliedert ist und Arbeit im wirtschaftlichen Sinne leistet; der Umstand, dass der behinderte Mensch ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringt, ist kein Kennzeichen für ein Arbeitsverhältnis sondern Aufnahmevoraussetzung nach § 136 SGB IX.

4. Ein Arbeitsverhältnis liegt erst dann vor, wenn der Hauptzweck der Beschäftigung des behinderten Menschen das Erbringen der wirtschaftlich verwertbaren Leistung ist und nicht der gesetzliche Zweck der Ermöglichung einer angemessene Beschäftigung (§ 138 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) im Vordergrund des Aufenthalts in der Werkstatt steht; das kann in Betracht zu ziehen sein, wenn der einzelne behinderte Mensch durch seine Förderung vor allem im Arbeitsbereich der Werkstatt der spezifischen Leistungen nach § 41 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX nicht mehr bedarf und er durch die Leistungen der Rehabilitationsträger und der Werkstatt die Fähigkeit zur Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erlangt hat.

5. Dass die Maßnahmen der Werkstattleitung zur Entwicklung der Fähigkeiten und Persönlichkeit des Werkstattbeschäftigten Erfolg zeigen und dieser zunehmend selbstständig wird, belegt nicht, dass er Arbeitnehmer ist, wenn nicht durch Tatsachen begründet deutlich wird, wann, auf welche Art und aufgrund welcher Begebenheiten die Parteien zumindest stillschweigend vereinbart haben, dass der behinderte Mensch mehr schuldet als das im Werkstattvertrag Vereinbarte.

6. Das Mindestlohngesetz gilt gemäß § 22 Abs. 1 MiLoG für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und damit nicht für arbeitnehmerähnliche Personen; dem stehen weder Art. 3 und Art. 5 der UN-Behindertenrechtskonvention vom 13.12.2006 noch Art. 5 der Richtlinie 78/2000/EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf entgegen, die jeweils den Schutz behinderter Menschen vor Diskriminierungen regeln, da der in einer Werkstatt für behinderte Menschen Beschäftigte nicht wegen seiner Behinderung gegenüber vollbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ungleich behandelt wird sondern er zur Werkstattleitung in einem arbeitnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnis steht und damit die Ungleichbehandlung auf der Unterscheidung zwischen abhängig Beschäftigten und arbeitnehmerähnlich beschäftigten Berufsgruppen besteht.

 

Normenkette

ZPO § 114 Abs. 1 S. 1; BGB § 616 Abs. 1; SGB IX § 41 Abs. 2 Nr. 2, §§ 136, 138 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; MiLoG § 22 Abs. 1; UN-Behindertenrechtskonvention Art. 3 Fassung: 2006-12-13; UN-Behindertenrechtskonvention Art. 5 Fassung: 2006-12-13; EGRL 78/2000 Art. 5 Fassung: 2000-11-27

 

Verfahrensgang

ArbG Kiel (Entscheidung vom 19.06.2015; Aktenzeichen 2 Ca 165 a/15)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A.

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Berufungsverfahrens, nachdem das Arbeitsgericht seine Klage auf Zahlung angemessener Vergütung abgewiesen hat.

Der 1975 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 70 und bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Für ihn sind ein Betreuer und eine Ergänzungsbetreuerin bestellt. Seit dem 15.08.1994 ist er in der Werkstatt M. des Beklagten tätig, zuletzt auf Grundlage des Werkstattvertrags vom 10.12.2013/17.01.2014 (Anlagen K2 und K3, Bl. 7 - 16 d. A.). Beim M. handelt es sich um eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) im Sinne des § 136 SGB IX. Der Kläger, der zunächst auch im M. wohnte, lebt seit August 2013 allein und erhält unterstützend ambulante Betreuung. Die Kosten de...

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