Entscheidungsstichwort (Thema)

Waisenrente. Ausbildungs (-zwangs)pause. Beendigung des Wehr-/Zivildienstes. Höchstdauer der Rente

 

Leitsatz (amtlich)

Bei unvermeidbarer wehr-/zivildienstbedingter Zwangspause in der Berufsausbildung besteht ein Anspruch auf Waisenrente für die Dauer von vier Monaten.

 

Normenkette

AVG § 44 Abs. 1 (= RVO § 1267 Abs. 1); BKGG § 2 Abs. 2 S. 5 (= S. 4 aF)

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 10.07.1992; Aktenzeichen L 1 An 33/91)

SG Berlin (Urteil vom 17.01.1991; Aktenzeichen S 11 An 767/90)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. Juli 1992 aufgehoben. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Januar 1991 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20. Oktober 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 1990 verurteilt wird, dem Kläger Waisenrente nach A.… P.… auch für die Zeit vom 1. Juni 1989 bis 30. September 1989 zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist ein Anspruch auf Waisenrente für die Zeit zwischen Beendigung des Zivildienstes und Aufnahme des Hochschulstudiums.

Dem 1967 geborenen Kläger gewährte die Beklagte Waisenrente nach seinem Vater A.… P.…, zunächst bis zum Abitur (Juni/Juli 1987) und sodann bis zur Aufnahme des Zivildienstes am 1. Oktober 1987 (Bescheide vom 2. Dezember 1986, 15. Juli 1987).

Im Mai 1989 beantragte der Kläger die Wiedergewährung der Waisenrente ab 1. Juni 1989. Er gab an, der Zivildienst ende mit Ablauf des Monats Mai 1989; mit Beginn des Wintersemesters 1989/1990 werde er sein Studium aufnehmen. Mit Bescheid vom 20. Oktober 1989 bewilligte ihm die Beklagte Waisenrente ab 1. Oktober 1989. Seinen Widerspruch, mit dem er – erneut – Waisenrente auch für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September 1989 begehrt hatte, wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 2. März 1989) und führte aus: Waisenrente könne für die Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten bzw zwischen Beendigung des Zivildienstes und Aufnahme der weiteren Ausbildung – wie sich aus § 2 Abs 2 Satz 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG idF vom 21. Januar 1982, BGBl I S 13; seit dem 12. Änderungsgesetz zum BKGG vom 30. Juni 1989, BGBl I S 1294: Satz 5) ergebe – nur gewährt werden, wenn die Übergangszeit vier Monate nicht überschreite. Um in den Genuß der Waisenrente für den beanspruchten Zeitraum zu gelangen, hätte der Kläger infolgedessen spätestens am 30. September 1989 sein Studium aufgenommen haben müssen.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat unter Abänderung des Bescheides und Aufhebung des Widerspruchsbescheides die Beklagte verurteilt, dem Kläger Waisenrente auch für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September 1989 zu gewähren (Urteil vom 17. Januar 1991). Es hat die Auffassung vertreten, nicht die Aufnahme des Studiums innerhalb von vier Monaten nach Beendigung des Zivildienstes, sondern die erste objektive Möglichkeit zur Aufnahme der beabsichtigten Berufsausbildung sei maßgebend für den Anspruch. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG, in dem die Berufung zugelassen worden war, aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Juli 1992). Im wesentlichen hat es ausgeführt: Voraussetzung für den Anspruch auf Waisenrente während einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten sei eine generell unvermeidbare und durch die Organisation des Unterrichtswesens bedingte typische Zwischenzeit der Schul- oder Berufsausbildung. Diese generelle Unvermeidbarkeit müsse sich allerdings im zeitlichen Rahmen des § 2 Abs 2 Satz 4 (aF) BKGG halten. Die Vorschrift könne nicht erweiternd ausgelegt werden. Unerheblich sei, daß nach Inkrafttreten des § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG von Zivildienstleistenden das Hochschulstudium nicht innerhalb der Frist von vier Monaten habe aufgenommen werden können, weil sich die Dauer des Zivildienstes erhöht gehabt habe. Es sei angemessen und zumutbar, den Ausbildungswilligen auf eine zwischenzeitliche Erwerbstätigkeit oder auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu verweisen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 44 Abs 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) iVm § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG sowie von Art 3 Grundgesetz (GG) und trägt im wesentlichen vor:

Ihm stehe ein Anspruch auf Waisenrente für den streitigen Zeitraum zu. Durch die Regelung in § 44 Abs 1 Satz 3 AVG solle eine Benachteiligung von Wehr-/Zivildienstleistenden gegenüber den “Nichteinberufenen” ausgeglichen werden. Diese erhielten nämlich ohne Ableistung eines Wehr- oder Zivildienstes ununterbrochen eine Waisenrente. § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG stehe dem nicht entgegen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in SozR 3-2200 § 1267 Nr 1 klargestellt, daß das maßgebliche Kriterium für eine unvermeidbare Zwischenzeit im wesentlichen durch die Viermonatsfrist des § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG konkretisiert und vereinheitlicht worden sei. Diese auf die Übergangszeit zwischen Abitur und Studienbeginn zugeschnittene Regelung habe von einer Vielzahl von Zivildienstleistenden im Hinblick auf die nach Inkrafttreten der Vorschrift eingetretene Verlängerung des Dienstes nicht eingehalten werden können. Im Einklang mit der früheren Rechtsprechung des BSG sei daher auf das flexiblere Kriterium der unvermeidbaren Zwischenzeit abzustellen, also auf einen üblichen und überschaubaren Zeitraum. Die Übergangszeit zwischen Zivildienstende und Beginn des Studiums sei unvermeidbar in diesem Sinne. Wenn man die Vorschrift in anderer Weise auslege, so ergebe sich nicht nur eine Ungleichbehandlung gegenüber den Wehrdienstleistenden, die aufgrund ihrer- damals geltenden – 15monatigen Dienstzeit innerhalb von vier Monaten ihr Studium hätten aufnehmen können, sondern auch gegenüber den “Nichteinberufenen”. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 30. September 1992 verwiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. Juli 1992 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Januar 1991 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils und trägt ergänzend vor:

Zu entscheiden sei, ob die Gruppe derjenigen, die zwischen 1990 und 1993 Zivildienst geleistet und anschließend ihr Hochschulstudium aufgenommen hätten, in das soziale Versorgungsnetz miteinzubeziehen seien oder ob dieser Personenkreis auf seine Eigenverantwortlichkeit verwiesen werden solle. Die “Zumutung”, sich kurzfristig für einige Monate dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, weil die Frist des § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG überschritten sei, treffe nicht nur Zivildienstleistende, die sich für ein Hochschulstudium entschieden hätten, sondern auch zahlreiche weitere Fallgruppen, die je nach gesetzlicher Regelung und individueller Ausgestaltung ihres Dienstverhältnisses die Viermonatsfrist überschreiten könnten. Es sei nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft jede Variante der Lebensplanung mit Sozialleistungen abzufedern. Art 3 GG habe nicht das Ziel, egalitäre Verhältnisse zu schaffen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen mit der Maßgabe, daß der Widerspruchsbescheid nicht aufgehoben, sondern – entgegen der Auffassung des SG – nur abzuändern ist. Denn der Bescheid vom 20. Oktober 1989 enthielt zwei Verfügungssätze. Zum einen wurde dem Kläger eine Waisenrente in bestimmter Höhe ab 1. Oktober 1989 bewilligt. Zum anderen wurde ein Rentenanspruch vor diesem Zeitpunkt abgelehnt. Damit regelte der Bescheid den Anspruch auf Waisenrente für den gesamten Zeitraum; der Regelungsgehalt des Widerspruchsbescheides erstreckte sich demgemäß nicht nur auf den Anspruch auf Waisenrente für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September 1989, so daß er auch nur insoweit abzuändern ist.

Entgegen der Auffassung des LSG steht dem Kläger ein Anspruch auf Waisenrente zwischen Beendigung des Zivildienstes und Aufnahme des Hochschulstudiums für die Dauer von vier Monaten, nämlich vom 1. Juni bis 30. September 1989, gemäß § 44 Abs 1 Satz 2 AVG zu. § 48 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) findet im Hinblick auf § 300 Abs 2 SGB VI keine Anwendung, da der Kläger bereits im Mai 1989, also vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1992, den Antrag auf Waisenrente gestellt hatte.

Der Zeitraum von vier Monaten nach Beendigung des Zivildienstes ist eine der Ausbildung zuzurechnende unvermeidbare Zwangspause. Zwar erhält nach § 44 Abs 1 AVG eine Waise – längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres -Rente, ua dann, wenn sie sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet. Vom Wortlaut der Bestimmung werden infolgedessen nicht erfaßt sog Ausbildungspausen, dh Zeiträume zwischen Schulende und Beginn der Ausbildung bzw zwischen Schulende und Beginn des Wehr-/Zivildienstes und zwischen zwei Ausbildungsabschnitten sowie der Zeitraum zwischen Beendigung von Wehr-/Zivildienst und der weiteren Ausbildung.

Diese Lücke hat die Rechtsprechung im Wege der erweiternden Auslegung geschlossen. Dabei ist sie von folgenden Gesichtspunkten ausgegangen: Nach dem Normprogramm des § 44 AVG soll – erstens – durch die Rente der Waise die Entscheidung für eine möglichst qualifizierte Berufsausbildung, die auch im allgemeinen Interesse liegt, erleichtert und ihr notwendiger Unterhalt in dieser Zeit sichergestellt werden (BSG SozR Nr 16 zu § 1267 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫; BSGE 38, 149 = SozR 2200 § 1267 Nr 3). Infolge veränderter Lebensumstände ist – zweitens – zu berücksichtigen, daß die Schulausbildung heute nicht mehr nahtlos in die Berufsausbildung übergeht (vgl BSGE 32, 120 = SozR Nr 42 zu § 1267 RVO). Die durch den Wehr-/Zivildienst entstehenden Nachteile sollen – drittens – grundsätzlich ausgeglichen werden (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1290 Nr 15).

Unter Berücksichtigung des Normzwecks hat die Rechtsprechung jedoch nicht jede Ausbildungspause als noch zur Ausbildung gehörig gewertet, sondern nur diejenige, für die es der Versichertengemeinschaft noch zumutbar ist einzustehen (vgl entsprechend BSGE 32, 120, aaO). Dabei hat sie nicht sämtliche “unverschuldeten”, sondern nur die sog unvermeidbaren Zwangspausen als der Ausbildung zuzurechnende Zeiten berücksichtigt. Das sind ua solche, die der Ausbildung eigentümlich sind, die also nicht vom Auszubildenden zu vertreten sind und auf schul- bzw hochschulorganisatorischen Ursachen beruhen (vgl BSGE 32, 120, aaO; BSGE 56, 154 = SozR 2200 § 1267 Nr 31; § 1259 Nrn 39, 51). Diese die Ausbildung verzögernden, aber ihr zuzurechnenden Zeiten werden auch als Übergangszeiten bezeichnet. Ein Hauptanwendungsfall ist die Zeit zwischen Abitur und Aufnahme des Studiums. Bei dieser “Zwischenzeit” entfällt häufig und typisch die Möglichkeit der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und damit einer Beitragsleistung (vgl BSG SozR 2200 § 1262 Nr 26, 36; BSGE 56, 154, aaO; SozR 3-2200 § 1267 Nr 1).

In gleicher Weise wird darüber hinaus als unvermeidbare Zwangspause und damit als zur Ausbildung gehörig angesehen bzw diese fingiert auch die Zeit zwischen Abitur und Beginn des Wehr-/Zivildienstes, da dieser Dienst zwangsweise die Ausbildung unterbricht, sowie die Zeit zwischen Wehr-/Zivildienstende und Fortsetzung der Ausbildung (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1259 Nr 51). Diese mit den “echten” Ausbildungspausen nicht unmittelbar zusammenhängende Ausweitung des Anwendungsbereichs der zugrundeliegenden Norm ergibt sich aus § 44 Abs 1 Satz 3 AVG. Danach wird die Waisenrente für einen dem Wehr-/Zivildienst entsprechenden Zeitraum verlängert, wenn die Erfüllung der gesetzlichen Wehr-/Ersatzpflicht die Schul- oder Berufsausbildung verzögert oder unterbrochen hat. Der Gesetzgeber will also die Benachteiligung der Wehr-/Zivildienstleistenden, die dem Staat im Interesse der Allgemeinheit ua ihre Zeit geopfert haben, möglichst gering halten. Demgemäß erhalten Wehr-/Zivildienstleistende, deren Ausbildung sich durch die Dienstleistung verzögert hat, nach der og Vorschrift für diesen Zeitraum einen finanziellen Ausgleich in Form der Weitergewährung der Rente über den gesetzlich festgelegten Endzeitpunkt hinaus. Einen finanziellen Ausgleich müssen infolgedessen auch diejenigen Wehr-/Zivildienstleistenden erhalten, deren Ausbildung sich aufgrund der vom Staat festgelegten Einberufungstermine und der durch die Dauer des Wehr-/Zivildienstes bedingten Endtermine verzögert. Im Unterschied zu den Nichtdienstleistenden können sie einen doppelten Zeitverlust erleiden, nämlich dann, wenn Schule/Ausbildung und Wehr-/Zivildienstbeginn sowie Wehr-/Zivildienstende und die weitere Ausbildung nicht nahtlos ineinander übergehen. Hieraus folgt zugleich, daß eine unvermeidbare Zwangspause in diesen Fällen nur dann gegeben ist, wenn die Unterbrechung bzw Verzögerung wesentlich bedingt ist durch die von hoher Hand festgelegten Wehr-/Zivildienstzeiten, nicht jedoch bei Vorliegen anderer Ursachen, zB bei Fehlen eines Ausbildungs- oder Studienplatzes.

Mithin handelt es sich bei dem Zeitraum zwischen Zivildienstende und Beginn des Studiums um eine derartige unvermeidbare Zwangspause. Sie ist im Rahmen der Waisenrente längstens für die Dauer von vier Monaten als Ausbildungszeit zu berücksichtigen.

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest (vgl BSG SozR 3-2200 § 1267 Nr 1), wonach § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG im Rahmen der Waisenrente entsprechend anzuwenden ist. Nach Satz 4 aaO ist die Ausbildungszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten grundsätzlich nur zu berücksichtigen, wenn der nächste Ausbildungsabschnitt spätestens im vierten auf die Beendigung des vorherigen Ausbildungsabschnitts folgenden Monat beginnt. Der Senat (aaO) hat ausgeführt: Der Begriff der Berufsausbildung in § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG und § 44 Abs 1 AVG sei einheitlich anzuwenden, und zwar auch soweit es darum gehe, wie lange Zwischenzeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten sein dürften, um noch einen fortdauernden “Status” der Berufsausbildung annehmen zu können; § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG konkretisiere und vereinheitliche lediglich den – unschädlichen – üblichen und zeitlich überschaubaren Zeitraum.

Die in dieser Vorschrift gezogene Zeitgrenze von bis zu vier Monaten stellt bei generell unvermeidbarer Zwangspause eine zulässige Typisierung dar. Dabei hat der Gesetzgeber unterstellt, daß im Normalfall sich ein Ausbildungswilliger bei einer über vier Monate dauernden Pause selbst unterhalten, also einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen kann (vgl BT-Drucks 9/842 S 54). Eine darüber hinausgehende Bedeutung hat § 2 Abs 2 Satz 4 BKGG im Rahmen von § 44 Abs 1 AVG jedoch nicht. Selbst dann also, wenn die Waise bei Beendigung des Wehr-/Zivildienstes weiß, daß sie erst nach Ablauf von vier Monaten ihre Ausbildung fortführen kann, steht ihr im Gegensatz zu dem Anspruch des Kindergeldberechtigten bei unvermeidbarer Zwangspause ein Anspruch auf Waisenrente bis zur Dauer von vier Monaten zu. Dies ergibt sich aus der unterschiedlichen Funktion und Ausgestaltung von Waisenrente einerseits und Kindergeld andererseits. Zwar ist beiden sozialrechtlichen Leistungen die unterhaltsrechtliche Wurzel gemeinsam (vgl BSG SozR 3-2200 § 1267 Nr 1). Die Waisenrente hat jedoch im Gegensatz zum Kindergeld Unterhaltsfunktion (vgl BVerfGE 40, 121 = SozR 2400 § 44 Nr 1; BSG SozR Nr 16 zu § 1267 RVO). Sie hängt weder von der Unterhaltsbedürftigkeit der Waise ab noch von einer möglichen Unterhaltsfähigkeit des verstorbenen Versicherten (vgl BSGE 23, 166 = SozR Nr 17 zu § 1267 RVO; BSGE 38, 195 = SozR 2200 § 1267 Nr 5; BSGE 39, 213 = SozR 2200 § 1267 Nr 12). Typisierend wird vielmehr davon ausgegangen, daß die Waise während der Ausbildung gehindert ist, sich ihren Unterhalt zu verdienen (vgl BSG SozR Nr 16 zu § 1267 RVO; BVerfG, aaO). Mit Hilfe der Rente soll sie ohne Gefährdung des Lebensunterhaltes eine qualifizierte Berufs- und Schulausbildung abschließen können (vgl BSGE 38, 149 = SozR 2200 § 1267 Nr 3). Das aus Steuermitteln gezahlte Kindergeld hingegen dient dem Familienlastenausgleich: es soll den erhöhten Aufwand der Familie mit unterhaltsberechtigten Kindern teilweise ausgleichen (vgl hierzu § 6 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫, BSG SozR Nr 16 zu § 1267 RVO; BSGE 37, 240 = SozR 2200 § 1267 Nr 1; 5870 § 2 Nr 46).

Diese Unterschiede zwischen Kindergeld und Waisenrente rechtfertigen einen unterschiedlichen Umfang der Leistungen. Es ist davon auszugehen, daß das Kindergeld dem Berechtigten (regelmäßig einem Elternteil) eine wirtschaftliche Erleichterung verschaffen, die Waisenrente jedoch grundsätzlich den Unterhalt der Waise auch während der Ausbildung sichern soll. Von der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten, die der Waise im Hinblick auf die von dem unterhaltsverpflichteten Versicherten durch Beitragsleistung erworbene Rentenanwartschaften besonders verpflichtet ist, kann verlangt werden, bei einer unvermeidbaren wehr-/zivildienstbedingten Zwangspause Rente bis zur Dauer von vier Monaten zu gewähren. Der grundsätzlich unterhaltsberechtigten Waise kann es nicht zugemutet werden, jede innerhalb einer Ausbildungs-Zwangspause erreichbare Beschäftigung aufzunehmen oder sich nach erfolgloser Arbeitssuche für diese Zeitspanne auf Sozialhilfe verweisen zu lassen. Vielmehr erfordert der enge Zusammenhalt der Solidargemeinschaft mit der Waise, dieser eine Frist von vier Monaten zuzubilligen, innerhalb derer sie nicht genötigt ist, eine Erwerbstätigkeit zu suchen und aufzunehmen.

Dem Kläger steht infolgedessen ein Anspruch auf Waisenrente für die Zeit vom 1. Juni 1989 (Ende des Zivildienstes) bis 30. September 1989 zu. Denn er konnte nach Beendigung des Zivildienstes sein Studium erst zum Wintersemester, zum 1. Oktober 1989, aufnehmen, da das Sommersemester bereits am 31. Mai 1989 begonnen hatte. § 35 Abs 1 Zivildienstgesetz vom 31. Juli 1986 (BGBl I S 1205) iVm § 12 der Verordnung über den Urlaub der Soldaten vom 23. November 1972 (BGBl I S 2151), wonach einem Wehr-/Zivildienstleistenden Sonderurlaub aus wichtigem Grund gewährt werden kann, kann dem Kläger in diesem Zusammenhang nicht entgegengehalten werden. Denn er hatte keinen Rechtsanspruch auf Sonderurlaub nach den og Vorschriften. Der Urlaub hätte ihm jederzeit bei Entgagenstehen dienstlicher Gründe versagt werden können.

Die Revision des Klägers hat somit Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 913317

Breith. 1995, 47

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