Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Genehmigung. Versorgungsvertrag. Leistungserbringer. Vergütungsanspruch. Auftragserteilung. Bindung. Krankenkasse. vertragsärztliche Verordnung. Verpflichtung. ärztliche Weisung. Beachtung

 

Leitsatz (amtlich)

Erbringt ein Krankenpflegeunternehmen ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege abweichend von der Genehmigung der Krankenkasse, kann es seinen Vergütungsanspruch nicht darauf stützen, dass die ärztliche Verordnung bindend oder die Leistungsverweigerung rechtswidrig gewesen sei.

 

Normenkette

SGB V §§ 132a, 15 Abs. 2-3, § 37 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, §§ 69, 73 Abs. 2 Nr. 8; BMV-Ä § 27 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Urteil vom 22.03.2001; Aktenzeichen L 6 KR 13/00)

SG Bremen (Entscheidung vom 26.05.2000; Aktenzeichen S 7 KR 199/98)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 22. März 2001 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin ist ein Krankenpflegeunternehmen in Liquidation. Seit dem 26. Juni 1996 besteht zwischen ihr und der beklagten Krankenkasse ein Vertrag über die Durchführung häuslicher Krankenpflege. Ende Juli/Anfang August 1998 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Genehmigung für die einer Versicherten am 28. Juli 1998 vertragsärztlich für den 1. bis 17. August 1998, dh 17 Leistungstage, verordnete häusliche Krankenpflege nach § 37 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Form von Medikamentenverabreichungen sowie Blutzucker-, Blutdruck- und Pulsmessungen. Mit Antwortschreiben vom 4. August 1998 genehmigte die Beklagte die häusliche Krankenpflege mit Ausnahme der Pulsmessungen, wofür sie keine Begründung gab; die Versicherte sei über die Genehmigung bzw Streichung einzelner Leistungen informiert. Die Klägerin führte die verordneten Pulsmessungen gleichwohl durch. Die Beklagte übernahm die Kosten der häuslichen Krankenpflege mit Ausnahme derjenigen für die Pulsmessungen und kürzte von dem für die Blutdruck- und Pulsmessungen zusammen angesetzten Betrag von 90,61 DM einen Anteil von 15/17 (79,95 DM = 40,88 EUR).

Die wegen dieses Betrages nebst Zinsen erhobene Klage wurde vom Sozialgericht abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 26. Mai 2000), die Berufung der Klägerin wurde vom Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 22. März 2001). Das LSG hat auf § 27 Abs 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) verwiesen, wonach die Erbringung der häuslichen Krankenpflege der Zustimmung der Krankenkasse bedürfe; Streitigkeiten über den Umfang des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege seien zwischen dem Versicherten und der Krankenkasse zu klären.

Mit der – vom erkennenden Senat zugelassenen – Revision hat die Klägerin die Verletzung von § 275 Abs 5 SGB V sowie § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gerügt. Zwischen ihr und der Beklagten bestünden privatrechtliche Vertragsbeziehungen. Die Genehmigungsentscheidung müsse auch mit dem Sozialrecht übereinstimmen. Andernfalls habe sie wegen Vertragsverstoßes einen vertraglichen Schadensersatzanspruch in Höhe des Vergütungsanspruchs. Der Genehmigungsvorbehalt könne sich immer nur auf die formalen Anspruchsvoraussetzungen beziehen. Da die Beklagte die vertragsärztliche Verordnung nicht habe kürzen dürfen, könne sie sich nicht darauf berufen, dass die Versicherte die Kürzung hingenommen habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 22. März 2001 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 26. Mai 2000 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 40,88 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 1999 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision war zurückzuweisen. Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf weitere 40,88 EUR (79,95 DM) für häusliche Krankenpflege in Form von Pulsmessungen hat.

  • Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Die Zulassung der Leistungserbringer zur Versorgung von Versicherten mit häuslicher Krankenpflege erfolgt – abweichend von den §§ 124 Abs 1, 126 Abs 1 SGB V (in der hier maßgeblichen Fassung des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes vom 23. Juni 1997, BGBl I, 1520) – nicht durch Verwaltungsakt, sondern durch Vertrag nach § 132a Abs 2 Satz 1 SGB V, wie der Senat bereits entschieden hat. Hier ist maßgeblich der zwischen den Beteiligten am 26. Juni 1996 (damals noch nach dem im wesentlichen gleichlautenden § 132 Abs 1 Satz 2 SGB V idF des Masseur- und Physiotherapeutengesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl I, 1084) geschlossene Vertrag, der auch die Einzelheiten der Versorgung, die Preise und deren Abrechnung regelt Der Vertrag war bis zum 1. Januar 2000, dem Inkrafttreten der Änderung des § 69 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 2626), also auch im streitigen Zeitraum, als privatrechtlich einzustufen – und damit auch das Abrechnungsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagter insgesamt. Das gilt auch, soweit die Klägerin vertragliche Schadensersatzansprüche geltend macht. In allen Fällen wird die Verurteilung zu einer Leistung begehrt, auf die ein Rechtsanspruch bestehen würde, ohne dass ein Verwaltungsakt zu ergehen hätte; daher war weder ein Widerspruchsverfahren durchzuführen noch eine Klagefrist einzuhalten (vgl zum Ganzen BSG SozR 3-2500 § 132a Nr 1 und KassKomm/Hess, Band 1, Stand März 2001, SGB V, § 132a RdNr 7 sowie zur Zulassung zum Krankentransport BSG SozR 3-2500 § 60 Nr 5).
  • Die Klage ist jedoch unbegründet. Leistungen der häuslichen Krankenpflege bedürfen grundsätzlich der vorherigen Beantragung durch den Versicherten und der vorherigen Bewilligung gegenüber dem Versicherten durch die zuständige Krankenkasse. Dahinstehen kann, aus welchen Gründen im vorliegenden Fall die häusliche Krankenpflege in Form der Pulsmessungen als Sachleistung abgelehnt worden ist und ob die Ablehnung dementsprechend rechtmäßig oder rechtswidrig war. Denn die Klägerin hätte selbst bei einer rechtswidrigen Ablehnung kein eigenes Recht, dies im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geltend zu machen.

    Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht im Zusammenhang mit ärztlicher Behandlung, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist oder durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird (§ 37 Abs 1 Satz 1 SGB V) sowie wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (§ 37 Abs 2 Satz 1 SGB V). Im ersten Fall besteht der Anspruch bis zu vier Wochen je Krankheitsfall; in begründeten Ausnahmefällen kann die Krankenkasse die häusliche Krankenpflege für einen längeren Zeitraum bewilligen, wenn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) festgestellt hat, dass dies aus den genannten Gründen erforderlich ist (§ 37 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB V). In allen Fällen besteht der Anspruch nur, soweit keine im Haushalt des Versicherten lebende Person diesen in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen kann (§ 37 Abs 3 SGB V). Das LSG hat festgestellt, dass die häusliche Krankenpflege in Form von Pulsmessungen vom 1. bis 17. August 1998 ärztlich verordnet worden ist (vgl § 73 Abs 2 Nr 8 SGB V), die Beklagte die Pulsmessungen jedoch nicht genehmigt und die Bezahlung abgelehnt hat. Das LSG hat offengelassen, ob die Klägerin überhaupt ein eigenes Recht hat, im Rahmen ihrer Leistungsklage die von ihr behauptete Rechtswidrigkeit der Nichtgenehmigung der häuslichen Krankenpflege geltend zu machen. Das LSG hat den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch vielmehr allein unter Hinweis auf § 27 Abs 3 Satz 1, 2 BMV-Ä (vom 19. Dezember 1994 – abgedruckt in DÄBl 1995, 455) abgelehnt, wonach die Erbringung von häuslicher Krankenpflege der Zustimmung der Krankenkasse bedarf. Das ist im Ergebnis zutreffend.

    Die Frage, ob eine (Sach-)Leistung der vorherigen Beantragung und Bewilligung durch die zuständige gesetzliche Krankenkasse bedarf, ist im SGB V in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis geregelt. Zutreffend ist, dass – wie der Privatpatient – auch der Kassenpatient den Vertragsarzt und -zahnarzt aufsuchen und dessen Untersuchung wie Behandlung in Anspruch nehmen darf, ohne zuvor im Wege eines Antrags die Genehmigung seiner Krankenkasse einzuholen; vielmehr genügt die Vorlage der Krankenversichertenkarte bzw des Krankenscheines bei dem Arzt oder Zahnarzt (§ 15 Abs 2 SGB V). Die Tatsache, dass der häufigste Leistungsfall für die Kassen in dieser Weise geregelt ist, bedeutet jedoch nicht, dass es sich dabei auch um das Regelprinzip handelt. Vielmehr ist dem SGB V als Regelprinzip die vorherige Bewilligung aller Sachleistungen zu entnehmen (§ 2 Abs 2 SGB V). § 15 Abs 3 SGB V regelt ferner ausdrücklich, dass zum Nachweis der Bewilligung bei Inanspruchnahme “anderer Leistungen” (als der ärztlichen und -zahnärztlichen Behandlung) ein Berechtigungsschein ausgestellt werden kann, der vor Inanspruchnahme der Leistung dem Leistungserbringer auszuhändigen ist. Auch bei einer Krankenhausbehandlung hat der Versicherte grundsätzlich die Bewilligungsentscheidung der Kasse abzuwarten (BSGE 82, 158, 160 = BSG SozR 3-2500 § 39 Nr 5). Ausnahmen vom Regelprinzip der vorherigen Beantragung und Bewilligung von Krankenkassenleistungen bestehen da, wo Eilbedürftigkeit gegeben ist oder sein kann: Das gilt außer für die ärztliche und -zahnärztliche Behandlung auch für den häufigsten Fall der ärztlichen Therapie, nämlich die Verordnung eines Arzneimittels, das der Apotheker nach den abgeschlossenen Verträgen allein auf Grund der ärztlichen Verordnung, dh ohne Genehmigung durch die Kasse, zu liefern hat (BSGE 77, 194, 199f = SozR 3-2500 § 129 Nr 1). Weiterhin entfällt die vorherige Leistungsbewilligung aus der Natur der Sache bei einer Notaufnahme und Notfalleinweisung in ein Krankenhaus (BSGE 82, 158, 160 = BSG SozR 3-2500 § 39 Nr 5).

    Für die häusliche Krankenpflege gilt das Regelprinzip, dh sie ist im Normalfall vor ihrem Beginn durch den Versicherten zu beantragen und durch die Krankenkasse zu bewilligen. Auch § 27 Abs 3 BMV-Ä geht davon aus und begründet für den Fall einer Leistungsablehnung gegenüber dem behandelnden Arzt die Pflicht, diesen darauf hinzuweisen, um ihn in die Lage zu versetzen, etwaige Konsequenzen für seine Behandlung zu ziehen. Eine Bindung der Kasse an die Verordnung des Arztes haben die Vertragspartner des BMV-Ä nicht vereinbart, sondern nur eine Verpflichtung der Kassen, ihre Leistungserbringer vertraglich an die Weisungen des Arztes zu binden, die im Rahmen der von der Kasse bewilligten Leistung bei deren Durchführung zu beachten sind.

  • Auf die Frage, ob die Ablehnung der Pulsmessung als Leistung der häuslichen Krankenpflege durch die Beklagte rechtmäßig war – wozu das LSG keine Feststellungen getroffen hat – kommt es nicht an. Sie betrifft allein das Versicherungsverhältnis, aus dem der Leistungserbringer keine Rechte herleiten kann.

    Ein Anspruch der Klägerin auf Bezahlung der Pulsmessungen kann sich nur auf vertraglicher Grundlage ergeben (vgl BSG SozR 3-2500 § 60 Nr 5). Dazu reicht der von ihr mit der Beklagten geschlossene “Vertrag über die Durchführung häuslicher Krankenpflege” vom 26. Juni 1996 allein aber nicht aus, weil er nur einen Rahmen für die auf längere Dauer angelegte rechtliche Beziehung abgibt. Der Anspruch auf Vergütung der erbrachten Leistungen entsteht nur, wenn die Kasse sie “genehmigt” hat. Dabei handelt es sich nicht um eine Genehmigung iS von § 184 BGB, sondern um die Auftragserteilung im konkreten Leistungsfall, die den Umfang des Auftrages festlegt. Nicht anders ist § 3 Abs 5 des Vertrages zu verstehen, wenn er ausdrücklich die vorherige Genehmigungsbedürftigkeit jeglicher Leistungserbringung durch die Beklagte klarstellt. Weil die Krankenkasse bestimmt, in welchem Umfang sie Leistungserbringer zur Erfüllung ihrer Sachleistungsverpflichtung heranzieht, handelt derjenige, der außerhalb des erteilten Auftrags tätig wird, ohne rechtliche Grundlage und damit ohne Anspruch auf eine Vergütung. Die vertragsärztliche Verordnung ändert daran nichts; sie ist schon vom Geschehensablauf nicht mit einer Arzneimittelverordnung vergleichbar, bei der vor Aushändigung des Medikaments auf eine Bewilligung durch die Kasse verzichtet wird, so dass der Apotheker, der sich an die ärztliche Verordnung hält, in seinem Vertrauen auf Bezahlung durch die Kasse geschützt werden muss (BSGE 77, 194, 199f = SozR 3-2500 § 129 Nr 1). Diesem Vertrauensschutzgesichtspunkt haben die Vertragsparteien dadurch Rechnung getragen, dass für den Fall, dass die “Genehmigung” der Kasse nicht rechtzeitig eingeholt werden konnte, der Umfang der ärztlichen Verordnung maßgebend für die Leistungserbringung ist.

  • Die Klage ist auch insoweit unbegründet, als die Klägerin “Schadensersatz” geltend macht, weil ihr die Nichtgenehmigung der Beklagten unvertretbar spät zugegangen sei, vor allem unter Verstoß gegen vertragliche Abmachungen oder Üblichkeiten zwischen den Beteiligten. Dieser erstmalig in der Berufungsinstanz vorgetragene Gesichtspunkt betrifft ebenfalls den Erfüllungsanspruch – nicht “Schadensersatz” – aus dem Vertrag und stellt eine zulässige Ergänzung der bisherigen Ausführungen dar (§ 99 Abs 3 Nr 1 SGG). Für einen Anspruch auf Bezahlung weiterer – in Betracht kämen vielleicht zwei bis drei – Leistungstage fehlt es jedoch an einem substantiierten Vortrag der Klägerin bereits in der Berufungsinstanz, insbesondere zu dem Datum einer verspäteten Entscheidung der Beklagten, zumindest eines verspäteten Zugangs bei der Klägerin selbst, sowie zur Höhe der bis dahin erbrachten Leistung.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG aF, da das Verfahren vor dem 2. Januar 2002 rechtshängig geworden ist. § 197a SGG, der durch das 6. SGG-Änderungsgesetz (6. SGG-ÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl I, 2141) eingefügt worden ist und statt der Anwendung der §§ 184 bis 195 ff SGG nF die Kostenvorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung vorsieht, wenn – wie hier – keine Personen iS von § 183 SGG nF beteiligt sind, ist erst auf nach dem 1. Januar 2002 rechtshängig gewordene Verfahren anzuwenden, wie aus Art 17 Abs 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG abzuleiten ist. Diese Übergangsvorschrift betrifft zwar ausdrücklich nur die Frage der Gerichtsgebühren; sie muss aber sinngemäß auch für die außergerichtliche Kostenerstattung angewendet werden, um angesichts des mit der Neuregelung verbundenen Systemwechsels den erforderlichen Vertrauensschutz zu gewährleisten (so auch BSG vom 30. Januar 2002 – B 6 KA 12/01 R – zur Veröffentlichung vorgesehen –).

 

Fundstellen

SozR 3-2500 § 132a, Nr. 3

PflR 2003, 360

AuS 2002, 62

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