Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 06.03.1973)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 6. März 1973 aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der am 10. Mai 1903 geborene Kläger, der seit 1968 Altersruhegeld bezieht, war im Jahre 1970 als Stadtvertreter bei der Firma B. in … beschäftigt. Außerdem stand er schon seit November 1965 in einem weiteren Beschäftigungsverhältnis als Wachmann bei der Firma W. B.. Hier meldete er sich am 26. Januar 1970 telefonisch wegen einer Unpäßlichkeit krank und blieb dem Dienst fern. Am 6. Februar 1970 erlitt er in Ausübung seiner Vertretertätigkeit bei der Firma B. durch einen Sturz einen Arbeitsunfall. Nach zunehmenden Schmerzen suchte er am 10. Februar 1970 den Arzt Dr. N. auf, worauf röntgenologisch am 13. Februar 1970 eine Kompressionsfraktur des 1. Lendenwirbelkörpers festgestellt wurde. Vom 1O. Februar 1970 bis 31. Mai 1970 war er arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Firma W. zahlte dem Kläger nur den Lohn bis zum 31. Januar 1970 und lehnte eine Weiterzahlung bis zum Eingang der Krankmeldung am 11. Februar 1970 mit der Begründung ab, daß der Kläger durch sein Fernbleiben vom Dienst am 26. Januar 1970 ohne Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über seine Arbeitsunfähigkeit innerhalb dreier Tage nach § 12 Abs. 2 des Manteltarif Vertrags und § 3 Abs. 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes keinen weiteren Lohnanspruch habe. Mit Schreiben vom 8. Mai 1970 kündigte sie dem Kläger das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 1970. Vom 24. März 1970 an, dem Tage nach dem Ende der Lohnfortzahlung durch die Firma B., bis zum 31. Mai 1970 erhielt der Kläger im Auftrage der Beklagten durch die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) B. Verletztengeld, das nach seinem Regellohn bei der Firma B. berechnet worden war. Der Antrag des Klägers, bei der Berechnung des Verletztengeldes auch seinen Lohn aus dem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma W. zu berücksichtigen, wurde durch Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 1970 abgelehnt; der Kläger habe bei dieser Firma seit dem 26. Januar 1970 unentschuldigt gefehlt und auch kein Arbeitsentgelt erhalten.

Im Klageverfahren trug der Kläger ua vor, daß er wegen eines bei einem Kontrollgang am 26. Januar 1970 erlittenen Unfalls bei der Firma W. gefehlt habe. Er sei, wie er schon im Verwaltungsverfahren erklärte, auf einer schneeverwehten Treppe ausgerutscht und habe sich eine Hodenprellung zugezogen. Darauf habe er die Gelegenheit wahrgenommen, dienstlich zu pausieren, ohne sich krankschreiben zu lassen. Bei seiner telefonischen Krankmeldung habe er mitgeteilt, indisponiert zu sein und durchblicken lassen, die ausgefallenen Kontrollnächte als unbezahlten Urlaub betrachten zu wollen. Er habe beabsichtigt, am 6. Februar 1970 seine Tätigkeit als Wachmann bei der Firma W. wieder aufzunehmen und sei lediglich durch den Unfall vom gleichen Tage hieran gehindert gewesen.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 18. November 1971 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18. Dezember 1970 verurteilt, an den Kläger für die Zeit vom 11. Februar bis zum 31. Mai 1970 Verletztengeld auch unter Berücksichtigung seines Verdienstes bei der Firma W. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 6. März 1973 – im wesentlichen mit folgender Begründung – zurückgewiesen: Dem Kläger sei erst zum 31. Mai 1970 gekündigt worden. Anhaltspunkte dafür, daß er von sich aus – ohne den Unfall – zumindest ab 11. Februar 1970 seine Tätigkeit für den Wachschutz aufgegeben hätte, bestünden nicht. Unerheblich sei, daß der Kläger bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit dort tatsächlich nicht gegen Entgelt tätig gewesen sei und – aus welchem Grunde auch immer – keinen Lohn erhalten habe.

Mit der zugelassenen Revision betont die Beklagte die Lohnersatzfunktion des Verletztengeldes nach § 560 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nF. Hiernach könne nur ein solches Arbeitsverhältnis berücksichtigt werden, aus dem sich auch ein Lohn- oder Entgeltanspruch ergebe, der durch den Arbeitsunfall entfallen sei. Selbst wenn es zuträfe, daß der Kläger am 6. Februar 1970 seine Tätigkeit bei der Firma W. wieder habe aufnehmen wollen, bestehe kein Anspruch auf ein höheres Verletztengeld. Das LSG habe aber aus diesem Vorbringen des Klägers unter Verstoß gegen § 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne Ausschöpfung des gesamten Akteninhalts geschlossen, es bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger diese Tätigkeit habe aufgeben wollen. Für das Gegenteil sprächen nicht nur das damalige Alter des Klägers von 67 Jahren, der Bezug von Altersruhegeld und einer Unfallrente bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft, sondern auch sein Verdienst von monatlich 700, – DM bei der Firma B. und der Umstand, daß der Wachdienst für ihn recht strapaziös gewesen sei, wie sich aus seinem Schreiben vom 18. Oktober 1970 (Bl. 46 der Unfallakten) ergebe. Demgemäß habe er auch die Kündigung zum 31. Mai 1970 hingenommen und sich zum 1. Juni 1970 dort nicht mehr um eine Wiederbeschäftigung bemüht.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der Urteile die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

den Haupt- und den Hilfsantrag der Revision zurück zu weisen.

Er ist der Auffassung, der Gedanke der Lohnersatzfunktion dürfe nicht übersteigert werden. Es sei nichts Ungewöhnliches, daß ein Versicherter sein Einkommen aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen beziehe. Die Verhältnismäßigkeit von entgangenem Arbeitsentgelt und Verletztengeld müsse gemäß BSG 27, 188, 191 beachtet werden. Werde vom Arbeitgeber tatsächlich kein Entgelt gezahlt – gleich aus welchem Grunde –, so müsse doch Verletztengeld gewährt werden. Das Vorbringen der Revision zur angeblichen Aufgabe seiner Wachtätigkeit sei unhaltbar und voreingenommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung statthafte und auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist im Sinne einer Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.

Gegen die Zulässigkeit der Berufung (vgl. § 145 Nr. 2 SGG) bestehen keine Bedenken (insoweit wird auf BSG in SozR Nr. 17 zu § 145 SGG Bezug genommen), zumal es um wiederkehrende Leistungen für mehr als drei Monate geht (§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG).

Nach § 560 Abs. 1 RVO erhält der Verletzte, solange er infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist und soweit er Arbeitseinkommen nicht erhält, Verletztengeld. Daß der Kläger in der fraglichen Zeit arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung gewesen ist, ist unter den Beteiligten nicht streitig. Dem Begehren des Klägers steht auch nicht entgegen, daß er im Unfallzeitpunkt bereits Altersruhegeld bezogen und somit, für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf zwei Leistungen mit Lohnersatzfunktion hat. Denn es gibt, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 14. Februar 1973 – 8/2 RU 138/69 – (So 7/8) entschieden hat, keinen allgemeinen Grundsatz, daß beim Zusammentreffen von Sozialleistungen, denen Lohnersatzfunktion zukommt, stets nur ein Anspruch auf eine dieser Leistungen besteht. Vielmehr hat der Gesetzgeber in solchen Fällen jeweils eine besondere, den Umständen angemessene Regelung getroffen (vgl. beispielsweise § 183 Abs. 3, 4 RVO und dazu BSG 19, 28, 29 ff; SozR Nr. 17 zu § 183 RVO). Für das Verletztengeld gilt insoweit, anders als beim Anspruch auf Krankengeld im ähnlichen Fall des § 183 Abs. 4 RVO, keine einschränkende Regelung.

Schließlich bestehen auch keine grundsätzlichen Bedenken, bei der Berechnung des Verletztengeldes unter Umständen auch das durch den Arbeitsunfall entfallene Arbeitsentgelt aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen zu berücksichtigen. Denn dem Gesetz kann nicht entnommen werden, daß sich das Verletztengeld etwa nur nach dem Arbeitsentgelt derjenigen Tätigkeit bemessen soll, bei der sich der Arbeitsunfall ereignet hat. Vielmehr ist der in § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO verwendete Begriff „Arbeitsentgelt” weit auszulegen (vgl. BSG in SozR Nr. 4 zu § 560 RVO Aa 8); es ist insbesondere für die Berechnung des Verletztengeldes ohne Bedeutung, in welchen von mehreren Beschäftigungs- oder Tätigkeitsverhältnissen sich der Arbeitsunfall ereignet hat (vgl. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3, Aufl., Stand Dezember 1973 Anm. 2 zu § 561 RVO, S. 376). Daß unter Arbeitsentgelt i. S. des § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO grundsätzlich auch das Entgelt aus mehreren zur Unfallzeit ausgeübten Beschäftigungen zu verstehen ist, ergibt sich auch aus einer Würdigung der für die Berechnung des Verletztengeldes geltenden Vorschriften. Nach den §§ 560 Abs. 2, 561 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 RVO gelten hierfür die für die Berechnung des Krankengeldes maßgebenden Vorschriften des § 182 Abs. 4 bzw. des § 182 Abs. 5 und 6 RVO grundsätzlich entsprechend. Die Berechnung des Verletztengeldes schließt sich somit an die für das Krankengeld aus der Krankenversicherung bestehenden Regelungen an und trägt im wesentlichen lediglich der in der Unfallversicherung für den Jahresarbeitsverdienst geltenden Höchstgrenze (§ 561 Abs. 1 RVO) Rechnung (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, 1. bis 7. Aufl. 1973, S. 564 c). Für den Bereich der Krankenversicherung ist aber anerkannt, daß ein Arbeitnehmer, der im Laufe eines Monats regelmäßig bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt ist, sofern keine nur geringfügige Nebenbeschäftigung vorliegt, in der Krankenversicherung grundsätzlich der Versicherungspflicht wegen aller dieser Beschäftigungsverhältnisse unterliegt (vgl. Brackmann aaO S. 316 b), und daß in einem solchen Fall regelmäßig die Krankenkasse zuständig ist, die für die Beschäftigung in Betracht kommt, welche die für den Versicherten wirtschaftlich bedeutsamere ist (§ 309 RVO; Brackmann aaO So 328 b). Mehrere Beschäftigungen werden auf diese Weise krankenversicherungsrechtlich in der Weise zusammengefaßt, daß bei mehrfach beschäftigten Arbeitnehmern grundsätzlich die Löhne aus allen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu berücksichtigen sind (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung Teil II/1, Stand Nov. 1973, Anm. 16 b zu § 182 RVO, S. 17/321). Ähnliches gilt für den Jahresarbeitsverdienst, der nicht nur nach Abs. 1 Nrn. 1 und 2 und Abs. 3 des § 561 RVO in unmittelbarer Beziehung zum Verletztengeld steht, sondern der auch für die in grundsätzlicher Hinsicht gegebene enge Verzahnung von Verletztengeld und Rente (vgl. § 562 Abs. 1, §§ 571 ff RVO) kennzeichnend ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 23. August 1973 – 8/2 RU 238/72 – in SozR Nr. 5 zu § 560 RVO). Denn danach ist es unerheblich, ob die Tätigkeit im Hauptberuf oder als Nebentätigkeit ausgeübt wird und ob eine etwaige Nebentätigkeit dauernd oder vorübergehend verrichtet wird. Von Bedeutung ist allein, daß das erzielte Arbeitseinkommen der wirtschaftliche Gegenwert für die vom Verletzten ausgeübte Tätigkeit und damit der Gegenwert für seine Arbeitsleistung ist (so zutreffend: Lauterbach aaO Anm. 2 zu § 571 SVO So 417/418). Als Arbeitseinkommen ist sonach das gesamte Einkommen anzusehen, das durch eine berufliche Tätigkeit – gleich welcher Art – erzielt wird (vgl. Lauterbach aaO S. 417 und Brackmann aaO So 572 b, der sich allerdings an dieser Stelle zu der nicht mehr geltenden Sondervorschrift des § 564 RVO aF geäußert hat; ihm ist jedoch – nachdem im Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz –UVNG– vom 30. April 1963 – BGBl I 241 – für alle grundsätzlich das Arbeitseinkommen im Jahr vor dem Unfall als maßgeblich bestimmt worden ist – vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 11. Oktober 1973 – 8/2 RU 42/69 –, wie auch Brackmann aaO, S. 570 b zutreffend betont, insoweit auch für § 571 RVO nF zuzustimmen – vgl. dazu auch Urteil des erkennenden Senats vom 26. Juli 1973 in SozR Nr. 4 zu § 560 RVO).

Sonach ist das Verletztengeld, wenn im Unfallzeitpunkt mehrere Beschäftigungsverhältnisse ausgeübt worden sind, grundsätzlich nach dem aus den mehreren Tätigkeiten erzielten Entgelt zu berechnen, solange infolge des Arbeitsunfalls in allen Beschäftigungsverhältnissen eine Arbeitsunfähigkeit besteht und kein Arbeitsentgelt gewährt wird. Davon ist im vorliegenden Fall im Grunde auch die Beklagte ausgegangen; denn sie hat die Berücksichtigung des aus dem zweiten Beschäftigungsverhältnis bei der Firma W. erzielten Arbeitsentgelts nur deshalb abgelehnt, weil der Kläger unmittelbar vor Eintritt der durch den Arbeitsunfall bedingten Arbeitsunfähigkeit bei der Firma W. nicht mehr gegen Entgelt tätig gewesen sei, weshalb insoweit durch den Unfall auch kein Entgelt fortgefallen sei.

Wie der Kläger mit Recht geltend macht, besteht kein derart enger Zusammenhang zwischen Arbeitsentgelt und Verletztengeld, daß letzteres immer schon dann entfiele, wenn die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit zu keinem nachweisbaren Entgeltfortfall geführt hat. Wie der 2. Senat in BSG 27, 188, 191 ausgesprochen hat, ist beim Verletztengeld zwar auch der Gesichtspunkt der Lohnersatzfunktion zu beachten, doch darf das nicht dazu führen, den Gedanken der Verhältnismäßigkeit von entgangenem Arbeitsentgelt und Verletztengeld zu übersteigern. Der 2. Senat hat deshalb in dieser Entscheidung einer nicht berufstätigen Hausfrau und Mutter von fünf Kindern, die vorübergehend bei einem Bauern aushalf, Verletztengeld zugesprochen, weil sie den Arbeitsunfall nicht völlig außerhalb jeglicher Erwerbstätigkeit erlitten habe. Auch der erkennende Senat hat mit Urteil vom 29. November 1972 in SozR Nr. 3 zu § 560 RVO bei einem Arbeitslosen den Anspruch auf Verletztengeld bejaht. Für den vorliegenden Fall müssen jedoch andere Maßstäbe gelten. Dazu ist zunächst zu betonen, daß ein etwaiger Arbeitsunfall des Klägers beim Wachdienst (Kontrollgang) bisher nicht festgestellt ist und folglich ein solcher bei den rechtlichen Überlegungen außer Betracht bleiben muß. Hier geht es sonach nicht darum, ob einem arbeitsunfähigen Versicherten wegen der durch einen Unfall in seinem Beschäftigungsbetrieb erlittenen Beeinträchtigungen Verletztengeld zusteht, sondern nur darum, ob das dem Kläger bereits zugebilligte Verletztengeld wegen einer anderen (zweiten) Beschäftigung, bei der sich kein Unfall ereignet hat, auch dann zu erhöhen ist, wenn er diese zusätzliche Tätigkeit weder im Unfallzeitpunkt ausgeübt noch nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit fortgesetzt hat. In einem solchen Fall geht es nicht an, die Gründe, weshalb die Zweitbeschäftigung schon vor dem Unfall nicht mehr ausgeübt bzw. entlohnt worden ist, ungeprüft zu lassen, wie es das LSG mit den Worten angedeutet hat, es komme nicht darauf an, „aus welchem Grunde auch immer” der Kläger zur Unfallzeit dafür keinen Lohn erhalten habe. Denn trotz in grundsätzlicher Hinsicht bestehender Gemeinsamkeiten ist für die Berechnung des Verletztengeldes in der Regel nicht – wie für die Rentenberechnung – das Arbeitseinkommen des Verletzten im Jahre vor dem Arbeitsunfall maßgebend (§ 571 Abs. 1 RVO), vielmehr richtet sie sich – von dem hier nicht bedeutsamen, vor allem für Unternehmer in Betracht kommenden Fall des § 561 Abs. 3 RVO abgesehen –, wie bereits erwähnt, nach den für die Krankenversicherung geltenden Vorschriften, und zwar nach dem Kegellohn (§ 182 Abs. 4 und 5 RVO) bzw. nach dem Grundlohn (§ 182 Abs. 6 RVO). Dabei hat der Gesetzgeber bewußt davon abgesehen, das Verletztengeld im Regelfall nach dem Jahresarbeitsverdienst zu berechnen, weil sich sonst ein unangemessen hohes Verletztengeld ergeben hätte (vgl. BT-Drucks. IV/938 – neu S. 9 zu § 561 und Lauterbach aaO Anm. 1 zu § 561 RVO). Es braucht hier nicht im einzelnen auf die zum Teil komplizierte Berechnung des Regel- bzw. Grundlohns eingegangen zu werden (vgl. dazu Lauterbach aaO Anm. 2 bis 7 zu § 561 RVO). Für den vorliegenden Fall ist jedoch § 182 Abs. 4 RVO zu beachten, den die für das Verletztengeld maßgebende Grundvorschrift des § 560 RVO in Abs. 2 für entsprechend anwendbar erklärt. Nach § 182 Abs. 4 RVO beträgt bei Berechtigten, deren Entgelt nach Monaten bemessen ist, das Krankengeld 65 v.H. „des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Arbeitsentgelts (Regellohn)”. Dazu kommen gegebenenfalls Zuschläge (vgl. auch Abs. 4a). Das Wort „regelmäßig” bedeutet zwar, daß wegen außergewöhnlicher Umstände anfallende oder ausfallende Bezüge außer Betracht bleiben (BSG in SozR Nr. 12 zu § 182 RVO); es ist aber, jedenfalls bei dem hier gegebenen Fall einer Zweitbeschäftigung, bei der auch nur das hier zu erörternde Problem in aller Regel auftreten kann, auf das wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangene Arbeitsentgelt abzustellen. Deshalb ginge es nicht an, dabei das Erwerbseinkommen aus einer Zweitbeschäftigung zu berücksichtigten, die bereits vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bzw. des Arbeitsunfalls aus anderen Gründen aufgegeben worden ist. Dies widerspräche auch dem für das Krankengeld geltenden Grundsatz, daß der Kranke keinesfalls besser gestellt werden darf als arbeitende Versicherte (BSG aaO zu § 182 RVO). Demgemäß vertritt auch Peters aaO die Auffassung, daß das aus einem Beschäftigungsverhältnis erzielte Einkommen beim Regellohn nicht zu berücksichtigen ist, wenn das Beschäftigungsverhältnis vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit endet.

Es verstieße daher gegen den Sinn und Zweck der §§ 560, 561 RVO, einem Versicherten eine Erhöhung seines Verletztengeldes für eine Zweitbeschäftigung zuzubilligen, die er bereits vor dem Unfall aus unfallunabhängigen Gründen aufgegeben hat, etwa weil ihm sein Einkommen aus der Hauptbeschäftigung ausreichend erschien. Insbesondere ginge es nicht an, einem Empfänger von Altersruhegeld, der aus dem normalen Erwerbsleben ausgeschieden ist, deshalb ein höheres Verletztengeld zuzusprechen, weil er es für zweckmäßig hält, eine vor dem Unfall bereits aufgegebene Zweitbeschäftigung nach Eintritt des Unfalls als fortbestehend erscheinen zu lassen. Deshalb bedarf es insoweit, wie die Revision mit Recht beanstandet, näherer Feststellungen, ob hier etwa ein derartiger Fall gegeben bzw. ob die Zweitbeschäftigung nicht tatsächlich schon vor dem Unfall – endgültig oder bis auf weiteres d. h. für einen Zeitraum, für den vom SG erhöhtes Verletztengeld zugesprochen wurde, – aufgegeben worden ist. Zutreffend hat die Revision insoweit auf hier gegebene bzw, noch näherer Prüfung bedürftige Umstände (das vorgerückte Alter des 1903 geborenen Klägers, den Bezug von Altersruhegeld, den monatlichen Verdienst bei der Firma B. von 700,– DM, der Eindruck des Klägers, der eingestellte Wachdienst sei eine körperliche Strapaze, die Hinnahme der Kündigung und die unterbliebene Wiederaufnahme des Wachdienstes nach Ende der Arbeitsunfähigkeit) hingewiesen, die im Zusammenhang mit dem Fehlen eines ärztlichen Attestes für die „Unpäßlichkeit” und die trotzdem weiter ausgeübte Vertretertätigkeit für die Annahme sprechen könnten, daß der Kläger schon vor dem Unfall die Wachtätigkeit, für die er auch nicht mehr entlohnt worden ist, aufgegeben hat. Sollte dies der Fall sein, so könnte eine etwa erst nach dem Unfall auf getretene Meinungsänderung oder eine von der Firma W. etwa gefälligkeitshalber ausgesprochene und sie zu nichts verpflichtende spätere Kündigung den geltend gemachten Anspruch nicht begründen. Auch wenn der Kläger nur die Absicht gehabt haben sollte, während der Wintermonate bis auf weiteres den Wachdienst einzustellen, weil er ihm in dieser Zeit zu strapaziös erschien, könnte eine Erhöhung des Verletztengeldes im vorliegenden Fall aus den obigen Gründen grundsätzlich nicht in Betracht kommen.

Zwar dürfte in dem Fehlen der angedeuteten Feststellungen wohl kein wesentlicher Verfahrensmangel (§ 128 SGG) liegen, weil es nach der Rechtsauffassung des LSG hierauf möglicherweise nicht ankam. Der erkennende Senat kann aber ohne vorherige Klärung dieses für die Entscheidung wesentlichen Punktes in der Sache nicht selbst entscheiden. Deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen – evtl. nach vorheriger weiterer Sachaufklärung – an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 189

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