Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen eines „Härtefalles”, unter denen einkommensabhängig gezahltes Erziehungsgeld nachträglich zu erhöhen ist.

2. Die nachträgliche Erhöhung des Erziehungsgeldes wegen eines Härtefalles ist rückwirkend nur für höchstens sechs Monate vor dem Härteantrag möglich.

3. Wegen der unverschuldeten Versäumung des rechtzeitigen Antrages auf Erhöhung des Erziehungsgeldes kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

Stand: 15. Mai 2000

 

Beteiligte

Land Nordrhein-Westfalen

Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Februar 1998 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 7. März 1997 sowie der Bescheid des Beklagten vom 4. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1996 geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 5. Mai 1995 bis zum 4. November 1995 weiteres Erziehungsgeld in Höhe von insgesamt 1.248 DM zu zahlen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in allen Rechtszügen zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin begehrt von dem beklagten Land auch für den 13. bis 18. Lebensmonat (5. Mai 1995 bis 4. November 1995) ihres am 5. Mai 1994 geborenen zweiten Kindes die Gewährung ungekürzten Erziehungsgeldes (Erzg) von monatlich 600 DM statt der bewilligten 392 DM. Für den 19. bis 24. Lebensmonat hat der Beklagte nachträglich das ungekürzte Erzg gezahlt. Für das erste Lebensjahr hatte die Klägerin ebenfalls ungekürztes Erzg bekommen.

Die Klägerin war nach der Geburt des Kindes nicht mehr erwerbstätig und ohne eigenes Einkommen. Ihr Ehemann war im Jahre 1995 Rechtsreferendar. Sein Bruttoeinkommen aus dieser Tätigkeit betrug in den Monaten Januar bis April 1995 jeweils 2.610 DM. Er übte außerdem zeitweise eine Nebentätigkeit bei einem Rechtsanwalt aus, die in den Monaten Januar und Februar 1995 mit jeweils 2.400 DM und in den Monaten März und April 1995 mit jeweils 1.200 DM vergütet wurde. In seiner Lohnsteuerkarte war ein jährlicher Steuerfreibetrag von 4.883 DM eingetragen.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin auf Antrag vom 7. April 1995 Erzg für das zweite Lebensjahr des Kindes (5. Mai 1995 bis 4. Mai 1996) in Höhe von 392 DM monatlich. Dabei berücksichtigte er voraussichtliche Einkünfte des Ehemanns für 1995 in Höhe von 55.966 DM und Werbungskosten in Höhe von 4.883 DM (bindender Bescheid vom 26. April 1995).

Am 22. Mai 1996 beantragte die Klägerin nach § 6 Abs 7 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) die nachträgliche Bewilligung ungekürzten Erzg für das zweite Lebensjahr ihrer Tochter. Sie gab an, im Jahre 1995 habe ihr Ehemann mit nur 42.463 DM deutlich geringere Einkünfte erzielt als der Bewilligung zugrunde gelegt worden seien. Ihr Ehemann habe von Mai bis Dezember 1995 aufgrund einer Erkrankung die Nebentätigkeit bei dem Rechtsanwalt nicht mehr ausüben können. Nach den Lohnsteuerbescheinigungen für 1995 betrugen das Bruttoentgelt aus der Beschäftigung als Rechtsreferendar für das gesamte Jahr 35.263 DM und das Bruttogehalt aus der Nebentätigkeit, die bis Ende April 1995 ausgeübt worden war, 7.200 DM. Der Beklagte erkannte einen „Härtefall” iS des § 6 Abs 7 BErzGG an und bewilligte unter teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom 26. April 1995 für die Zeit vom 5. November 1995 bis zum 4. Dezember 1995 Erzg in Höhe von 482 DM (Erhöhung ab 22. November 1995 auf täglich 20 DM) und für die Zeit vom 5. Dezember 1995 bis zum 4. Mai 1996 in Höhe von 600 DM monatlich. Den weitergehenden Antrag lehnte er hingegen ab, weil die Klägerin den Antrag nach § 6 Abs 7 BErzGG erst am 22. Mai 1996 gestellt habe. Die hier entsprechend anwendbare Rückwirkungsfrist des § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG schließe eine nachträgliche Änderung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung über den sechsten Monat vor der Antragstellung hinaus aus (Bescheid vom 4. Juli 1996, Widerspruchsbescheid vom 15. August 1996). Später hat der Beklagte ungekürztes Erzg auch für die Zeit vom 5. November bis zum 4. Dezember 1995 bewilligt (Änderungsbescheid vom 6. Mai 1998 aufgrund des gerichtlichen Teilvergleichs vom 27. Februar 1998).

In ihrer Klage hat die Klägerin die Ansicht vertreten, der für Erstanträge maßgebliche § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG sei im Rahmen der Härtefallregelung des § 6 Abs 7 BErzGG nicht anzuwenden. Es handele sich systematisch um eine Sonderregelung zu § 48 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), so daß allenfalls die dortige Vierjahresfrist für die Neuberechnung und Nachzahlung laufender Leistungen (§ 48 Abs 4 iVm § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X) einschlägig sei.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. März 1997). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 27. Februar 1998). Es hat ausgeführt, Grundlage für die begehrte Neufeststellung des Erzg-Anspruchs sei allein § 6 Abs 7 BErzGG. Weder § 44 noch § 48 SGB X seien anwendbar, weil § 6 Abs 7 BErzGG als lex spezialis vorrangig sei. Es liege zwar aufgrund der erheblichen krankheitsbedingten Einkommenseinbußen des Ehemanns ein Härtefall vor, weil das Gesamteinkommen des Jahres 1995 von 42.463 DM (Prognose: 55.966 DM) zu einem berücksichtigungsfähigen Einkommen von nur 29.312,40 DM (42.463 DM abzüglich Werbungskosten von 4.883 DM; 22 % Pauschalabzug) führe, das unter dem Freibetrag von 33.600 DM (29.400 DM plus 4.200 DM für das erste Kind) liege; eine Minderung des Erzg von monatlich 600 DM sei somit ausgeschlossen. Jedoch sei die Rückwirkungsfrist von sechs Monaten nach § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG zu beachten. Komme schon Erzg dem Grunde nach bei Überschreiten dieser Frist nicht mehr in Betracht, müsse dies erst recht für die Entscheidung über die Höhe der Leistung gelten. Die Regelung des § 6 Abs 7 BErzGG schließe auch die Anwendung der Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verspäteter Antragstellung nach § 27 SGB X aus, weil es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist handele. Zudem sei die verspätete Antragstellung von der Klägerin zu vertreten.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 6 Abs 7 BErzGG. Sie hält die entsprechende Anwendung des § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG für rechtswidrig.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27. Februar 1998 und des SG Düsseldorf vom 7. März 1997 zu ändern, den Bescheid des Beklagten vom 4. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1996 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ungekürztes Erzg auch für die Zeit vom 5. Mai 1995 bis zum 4. November 1995 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Der Klägerin steht auch für die Zeit vom 5. Mai 1995 bis zum 4. November 1995 ein Anspruch auf ungekürztes Erzg von monatlich 600 DM zu.

1. Anzuwenden ist das BErzGG in der ab dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl I, 181). Nach § 5 Abs 1 BErzGG beträgt das Erzg monatlich 600 DM. Es wird nach § 5 Abs 2 Satz 2 BErzGG vom Beginn des siebten Lebensmonats an gemindert, wenn das Einkommen iS von § 6 BErzGG bei Verheirateten, die von ihrem Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, 29.400 DM übersteigt. Diese Einkommensgrenze erhöht sich um 4.200 DM für jedes weitere Kind des Berechtigten oder seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten, für das ihm oder seinem Ehegatten Kindergeld gewährt wird oder ohne die Anwendung des § 8 Abs 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Fassung (ab 1. Januar 1996: § 65 Abs 1 Einkommensteuergesetz ≪EStG≫ bzw § 4 Abs 1 BKGG in der ab dem 1. Januar 1996 geltenden Fassung) gewährt werden würde. Nach § 6 Abs 2 Satz 1 BErzGG ist für die Minderung bis zum zwölften Lebensmonat des Kindes das voraussichtliche Einkommen im Kalenderjahr der Geburt und für die Minderung im 13. bis zum 24. Lebensmonat des Kindes das voraussichtliche Einkommen des der Geburt folgenden Kalenderjahres (hier: 1995) maßgebend. Voraussetzung ist, daß die für das jeweilige Kalenderjahr bekannten Einkommensdaten eine verläßliche Prognose des Jahreseinkommens zulassen (BSG SozR 3-7833 § 4 Nr 1 und BSG SozR 3-7833 § 6 Nr 15). Wenn im Einzelfall ein ausreichender Nachweis der voraussichtlichen Einkünfte in dem maßgeblichen Kalenderjahr nicht möglich ist, werden der Ermittlung die – in aller Regel bereits endgültig feststehenden – Einkünfte in dem vorhergehenden Kalenderjahr zugrunde gelegt, wobei ergänzend auch noch die Einkünfte des vorletzten Jahres berücksichtigt werden können (§ 6 Abs 4 BErzGG). Nachträgliche Korrekturen auf Einkommensprognosen beruhender Leistungsbewilligungen wegen einer von der Prognose nach oben oder unten abweichenden tatsächlichen Einkommensentwicklung sieht das Gesetz grundsätzlich nicht vor. Hiervon gibt es nur eine Ausnahme: „Sind die voraussichtlichen Einkünfte auf Grund eines Härtefalles geringer als in der Bewilligung zugrunde gelegt, werden sie auf Antrag berücksichtigt” (§ 6 Abs 7 BErzGG).

2. Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin, die auf einer Einkommensprognose nach § 6 Abs 2 Satz 1 BErzGG beruhende Erzg-Berechnung, die zu einem Erzg-Anspruch im zweiten Lebensjahr des Kindes von nur 392 DM geführt hatte (bindender Bescheid vom 26. April 1995), zu überprüfen und einen ungekürzten Erzg-Anspruch von 600 DM zuzuerkennen, ist die vorgenannte Regelung des § 6 Abs 7 BErzGG. Der Beklagte und das LSG haben im Ergebnis zu Recht angenommen, daß diese Regelung hier anwendbar ist und die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Härtefalles iS dieser Vorschrift erfüllt sind.

a) Die Vorschrift des § 6 Abs 7 BErzGG ist im Zuge der Neuregelung des Erzg-Rechts zum 1. Juli 1993 durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl I, 944, 947) eingeführt worden. Nach der bis zum 30. Juni 1993 geltenden alten Regelung (§ 6 BErzGG idF des Gesetzes vom 25. Juli 1989, BGBl I, 1550) war für die Einkommensermittlung nicht das jeweilige aktuelle Kalenderjahr, sondern grundsätzlich „das vorletzte Kalenderjahr vor der Geburt” maßgeblich gewesen. Dabei waren die positiven Einkünfte „so, wie sie der Besteuerung zugrunde gelegt worden sind” (§ 6 Abs 1 Satz 1 BErzGG 1989) heranzuziehen. Soweit der Steuerbescheid noch nicht vorlag, war das Erzg aufgrund einer vorläufigen Ermittlung unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu gewähren (§ 6 Abs 1 Satz 1 und 3, § 6 Abs 4 Satz 3 BErzGG 1989). Die endgültige Bewilligung wurde dann nach Vorlage des Steuerbescheides vorgenommen, was jeweils zu einer Doppelbelastung der Verwaltung führte. Einer Härtefallregelung wie der des § 6 Abs 7 BErzGG bedurfte es nach diesem System nicht, weil bei einer nur vorläufigen, unter dem Vorbehalt der Rückforderung stehenden Ermittlung des Erzg-Anspruchs ohnehin eine Neuberechnung anhand der endgültigen Einkommensdaten vorzunehmen war.

Mit der Reform des § 6 BErzGG durch das FKPG, das nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Entlastung der öffentlichen Haushalte dienen sollte (BT-Drucks 12/4401, S 4, 46, 64), hat der Gesetzgeber zwar weiterhin an der Einkommensermittlung nach den Vorschriften des Einkommensteuerrechts festgehalten. Zur Verwaltungsvereinfachung, daneben aber auch zur Ausgabenersparnis wegen des in aller Regel höheren Einkommens im „aktuellen Jahr” (BT-Drucks 12/4401, S 46), hat der Gesetzgeber jedoch nunmehr an dieses angeknüpft. Weil aber das endgültige Einkommen häufig erst am Ende oder sogar Wochen und Monate nach Ablauf des betreffenden Jahres feststeht (bei Selbständigen erst mit Erlaß des Einkommensteuerbescheides), hat der Gesetzgeber, um gleichwohl eine schnelle und dennoch endgültige Entscheidung über das Erzg zu ermöglichen, der Verwaltung aufgegeben, das Einkommen im laufenden Jahr zu prognostizieren, pauschale Abzüge für Werbungskosten, Vorsorgeaufwendungen etc vorzunehmen (§ 6 Abs 1 BErzGG) und auf dieser Grundlage das Erzg zu berechnen (§ 6 Abs 2 BErzGG). Zur Vermeidung eines doppelten Verwaltungsaufwands hat der Gesetzgeber bewußt nicht allgemein (Ausnahme: § 4 Abs 2 Satz 4 BErzGG) die Lösung gewählt, das Erzg zunächst nur vorläufig und erst nach Vorliegen des Steuerbescheides endgültig festzusetzen. Er hat damit in Kauf genommen, daß die wahren Zahlen von den geschätzten in geringem Umfang abweichen. Die Erzg-Berechnung auf der Grundlage der Einkommensprognose sollte grundsätzlich endgültig und verbindlich sein.

b) Aus dieser Regelung folgt, daß das tatsächliche Jahreseinkommen einmal dann zu berücksichtigen ist, wenn es der Erzg-Behörde bei der Bewilligungsentscheidung bereits bekannt ist oder wenn der Berechtigte die auf einer Einkommensprognose beruhende Bewilligungsentscheidung angefochten und im Rahmen des Widerspruchsverfahrens das inzwischen feststehende tatsächliche Einkommen mitgeteilt und belegt hat. Denn alle bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides vorgelegten Daten hat die Erzg-Behörde zu berücksichtigen (BSG SozR 3-7833 § 6 Nr 15). So wird zB dann, wenn das Kind am Ende eines Jahres geboren wurde, die Berechnung des Erzg-Anspruchs für das erste Lebensjahr am Anfang des folgendes Jahres vorgenommen, wenn die endgültigen Einkommensdaten für das maßgebliche Jahr der Geburt (§ 6 Abs 2 Satz 1, 1. Halbsatz BErzGG) häufig bereits vorliegen. Bei der Berechnung des Erzg-Anspruchs für das zweite Lebensjahr des Kindes kann eine vergleichbare Situation (§ 6 Abs 1 Satz 1, 2. Halbsatz BErzGG) auftreten. Auch bei Ausschöpfung der Sechsmonatsfrist für die erstmalige Beantragung von Erzg (§ 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG) wird es vielfach zur Anspruchsberechnung anhand der endgültigen Einkommensdaten kommen.

In derartigen Konstellationen stellt sich das Problem der nachträglichen Berücksichtigung einer veränderten – negativen – Einkommensentwicklung nicht. Es wird nur in Fällen wie dem vorliegenden relevant, in denen – entsprechend dem gesetzlichen Regelfall – das Erzg auf der Grundlage einer Einkommensprognose berechnet worden ist und der Verwaltungsakt schon Bestandskraft erlangt hat. Nach dem Willen des Gesetzgebers scheidet die Korrektur einer solchen bindenden Bewilligungsentscheidung wegen eines tatsächlich erzielten niedrigeren Jahreseinkommens grundsätzlich aus. § 44 SGB X gilt insoweit nicht, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat. Eine Neuberechnung ist nur unter den speziellen und insoweit abschließenden Voraussetzungen des § 6 Abs 7 BErzGG möglich.

c) Die Regelung des § 6 Abs 7 BErzGG ist auch auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar, in dem sich die Klägerin auf das deutlich geringere Einkommen ihres Ehemannes aus dem Jahre 1995 und nicht auf eine neue Einkommensprognose stützt. Nach § 6 Abs 7 BErzGG werden die „voraussichtlichen” Einkünfte auf Antrag berücksichtigt, wenn sie aufgrund eines Härtefalles geringer sind als in der Bewilligung zugrunde gelegt. Die Regelung des § 6 Abs 7 BErzGG greift danach – wörtlich genommen – nur ein, wenn sich die der Bewilligungsentscheidung zugrunde gelegte Einkommensprognose im Laufe des Kalenderjahres aufgrund eines Härtefalles als zu hoch erweist und deshalb die Einkommensprognose nach unten zu korrigieren ist, noch bevor die endgültigen Zahlen über das Einkommen des betreffenden Kalenderjahres vorliegen. Eine Neuberechnung des Erzg nach § 6 Abs 7 BErzGG wäre danach nur möglich, wenn die erste Einkommensprognose durch eine zweite – niedrigere – noch ersetzt werden könnte. Sie wäre trotz Vorliegens eines Härtefalles ausgeschlossen, wenn der Leistungsempfänger nur geltend macht, die Einkommensprognose habe sich aufgrund der vorliegenden endgültigen Daten über das Einkommen im betreffenden Kalenderjahr nachträglich als viel zu hoch erwiesen. Sie wäre bei wörtlichem Verständnis sogar dann ausgeschlossen, wenn der Leistungsempfänger seinen Überprüfungsantrag zwar auf eine neue Einkommensprognose stützte, im Zeitpunkt der Entscheidung der Erzg-Behörde über diesen Antrag aber bereits die endgültigen Einkommensdaten für das maßgebende Kalenderjahr vorliegen. In beiden Fällen wäre die ursprüngliche Einkommensprognose nicht mehr durch eine neue Prognose, sondern nur durch die endgültigen Einkommensdaten zu ersetzen. Da die Klägerin ihren Überprüfungsantrag vom 22. Mai 1996 auf die endgültigen Daten des Einkommens ihres Ehemannes aus dem Jahr 1995 stützt, wäre eine Neuberechnung ihres Erzg-Anspruchs nach dem reinen Wortlaut des § 6 Abs 7 BErzGG von vornherein ausgeschlossen, weil es sich nicht mehr um „voraussichtliches” Einkommen gehandelt hat.

Der Wortlaut der Vorschrift gibt den rechtlichen Anwendungsbereich der Härtefallregelung jedoch nur mißverständlich wieder. Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung über die Berücksichtigung der durch einen Härtefall niedriger als angenommen ausfallenden „voraussichtlichen” Einkünfte beruht ersichtlich auf der Anknüpfung an die Grundregel des § 6 Abs 2 BErzGG, wonach das Erzg anhand des „voraussichtlichen” Einkommens im laufenden Kalenderjahr zu berechnen ist. Es gibt keinen greifbaren Anhaltspunkt für die Annahme, der Gesetzgeber habe die Härtefallregelung auf jene Fälle beschränken wollen, in denen die ursprüngliche Einkommensprognose noch durch eine neue Prognose ersetzt werden kann. Eine Neufestsetzung des Erzg-Anspruchs ist daher nicht ausgeschlossen, wenn die Erzg-Behörde ihre ursprüngliche Prognose bereits anhand der endgültigen Einkommensdaten überprüfen kann. Entscheidend für die Neuberechnung des Erzg-Anspruchs nach § 6 Abs 7 BErzGG ist allein, ob ein Härtefall iS dieser Vorschrift gegeben ist. Diese Frage kann gerade dann mit besonderer Sicherheit beantwortet werden, wenn die tatsächliche Einkommensentwicklung bereits feststeht, ein Rückgriff auf eine neue – ebenfalls wieder mit Unwägbarkeiten behaftete – Prognose also nicht nötig ist.

d) Es liegt auch eine Einkommenseinbuße aufgrund eines Härtefalls iS dieser Vorschrift vor. Das Gesetz definiert den Begriff des Härtefalls nicht. Es handelt sich daher um einen ausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriff. Dieser ist in der Weise zu konkretisieren, daß ein Härtefall dann gegeben ist, wenn eine Entwicklung eingetreten ist, die den Betroffenen so stark belastet, daß ein Festhalten an den zugrunde gelegten Verhältnissen unbillig erschiene. Dies muß aber kein ungewöhnliches oder schlechthin unvorhersehbares Ereignis sein, weil derartige einschränkende Zusätze nicht vorgenommen worden sind (Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz und Bundeserziehungsgeldgesetz, 6. Aufl 1998, § 6 BErzGG RdNr 24). Insbesondere spricht das Gesetz an dieser Stelle auch nicht von einer „besonderen Härte”. Daher beschränkt sich der Härtefall iS des § 6 Abs 7 BErzGG nicht nur auf schicksalhafte persönliche Umstände wie zB den Tod, eine schwere Erkrankung oder eine schwere Behinderung eines Elternteils, die nach § 1 Abs 7 BErzGG als Ausdruck „besonderer Härten” von der Erfüllung der allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen des Erzg-Anspruchs nach § 1 Abs 1 Nrn 3 und 4 BErzGG (§ 1 Abs 7 Satz 1 BErzGG) bzw § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG (§ 1 Abs 7 Satz 2 BErzGG) befreien. Der Verzicht auf eine nähere Eingrenzung des Begriffs des Härtefalls in § 6 Abs 7 BErzGG und das Absehen von einer Verweisung auf § 1 Abs 7 BErzGG deutet vielmehr auf ein weites Verständnis der Härtefall-Klausel hin. Da hierdurch die mit einer Vorausschau verbundenen Unsicherheiten teilweise korrigiert werden sollen, genügt schon ein nicht unerhebliches Abweichen von der erwarteten Entwicklung des Einkommens (Buchner/Becker § 6 BErzGG RdNrn 23, 24). Dabei muß es sich nicht einmal um Abweichungen handeln, die erst nach dem Erlaß des bindend gewordenen Bescheides über den Erzg-Antrag eingetreten und nicht in die Prognose eingestellt worden sind. Es ist nicht entscheidend, ob die Erzg-Behörde zu Recht die Voraussetzungen für eine hinreichend sichere Einkommensprognose nach § 6 Abs 2 BErzGG angenommen hat. Die Regelung greift nicht nur ein, wenn die Behörde die Prognose sorgfältig und auf gesicherter Schätzungsgrundlage erstellt hat, unvorhersehbare Entwicklungen aber zu einem anderen Ergebnis geführt haben, sondern auch dann, wenn die vorhandenen Zahlen und erkennbaren Umstände eine Einkommensschätzung nur mit einer so erheblichen Unsicherheitszone zuließen, daß sie als leistungsbestimmender Faktor nicht endgültig hingenommen werden kann. Denn eine Abgrenzung wäre schwer zu treffen, weil die Übergänge fließend sind. Der Härtefall ist die erhebliche Abweichung des tatsächlichen vom geschätzten Einkommen. Deshalb kann die Frage offengelassen werden, ob der Beklagte wegen der deutlich schwankenden Einkünfte aus der Nebentätigkeit im Januar und Februar 1995 (jeweils 2.400 DM) einerseits sowie im März und April 1995 (jeweils nur 1.200 DM) andererseits ein durchschnittliches Einkommen aus der Nebentätigkeit von 7.200 DM für jeden Viermonatszeitraum des Jahres 1995 (entspricht 1.800 DM monatlich) zugrunde legen durfte oder ob hier weitere Ermittlungen notwendig gewesen wären (zu den Voraussetzungen von Prognoseentscheidungen vgl das Urteil des erkennenden Senats vom gleichen Tage – B 14 EG 1/99 R – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine nur geringfügige Minderung des Erzg infolge unzutreffender Schätzung des Einkommens kann aber unabhängig von den konkreten Einkommensverhältnissen noch nicht als „Härte” angesehen werden, weil der Gesetzgeber gewisse Ungenauigkeiten in Kauf genommen hat. In wirtschaftlicher Hinsicht liegt vielmehr ein Härtefall erst dann vor, wenn die Neuberechnung des Erzg anhand des im Vergleich zur Prognose niedrigeren tatsächlich erzielten bzw nunmehr noch erzielbaren Einkommens zu einem um mindestens 100 DM höheren Anspruch führt. Dies entspricht einer Abweichung um mindestens 3.000 DM des wahren vom geschätzten Jahreseinkommen. Bei Verheirateten ohne weiteres Kind entfällt der Erzg-Anspruch ab dem siebten Lebensmonat des Kindes wegen der relativ niedrigen Freibetragsgrenzen (§ 5 Abs 2 Satz 2, 3 BErzGG) und der Auszahlungsgrenze des Erzg von 40 DM (§ 5 Abs 4 Satz 3 BErzGG) bereits dann, wenn das iS des § 6 BErzGG berücksichtigungsfähige jährliche Einkommen der Eltern 46.215,30 DM (monatlich 3.851,28 DM) erreicht oder übersteigt (vgl die Berechnungsbeispiele bei Buchner/Becker § 5 BErzGG RdNr 16, 17). Schon ab einem Einkommen von 29.400 DM wird der Erzg-Anspruch von monatlich 600 DM gemindert. Es handelt sich somit angesichts der heutigen Lebenshaltungskosten um vergleichsweise geringe Einkommen von Personen, bei denen der Verlust eines (weiteren) Erzg-Anspruchs schon von 100 DM monatlich sich spürbar auswirkt, im Vergleich zur vollen Leistung von 600 DM immerhin eine Einbuße von einem Sechstel bedeutet und deshalb nicht mehr als unerheblich angesehen werden kann. Eine solche Einbuße allein durch eine unrichtige Prognose, selbst wenn sie die Verwaltung mit Sorgfalt getroffen haben sollte, wird auch subjektiv als hart und ungerecht empfunden.

e) Die Klägerin erfüllt vorstehende Voraussetzungen und kann deshalb die Härtefallregelung für sich in Anspruch nehmen. Der Ausfall der Einnahmen ihres Ehemannes aus der Nebentätigkeit bei dem Rechtsanwalt ab Mai 1995 hat zu einem gegenüber der Prognose um 13.505 DM geringeren Einkommen geführt, das somit nur in Höhe von 29.312,40 DM zu berücksichtigen ist. Da die Freibeträge für die Eltern (29.400 DM) und das erste Kind (4.200 DM) bereits darüber liegen (33.600 DM), ergibt sich ein ungekürzter Erzg-Anspruch von monatlich 600 DM, der um 208 DM höher ist als der bewilligte Anspruch von 392 DM. Der Klägerin kann nicht entgegengehalten werden, sie hätte die Beendigung der Nebentätigkeit ab 1. Mai 1995 und den damit einhergehenden Einkommensausfall bereits im Wege des (bis Ende Mai 1995 möglichen) Widerspruchs gegen den Bewilligungsbescheid geltend machen können. Ein Ereignis, das erst nach dem Erlaß der ersten Verwaltungsentscheidung, aber noch vor dem Ablauf der Widerspruchsfrist eintritt, kann noch nachträglich im Wege der Härtefallregelung des § 6 Abs 7 BErzGG geltend gemacht werden, auch wenn der Ausgangsbescheid noch angefochten werden konnte. Das Widerspruchsverfahren dient in erster Linie zur Überprüfung der Verwaltungsentscheidung auf seine Richtigkeit, nicht aber der Geltendmachung neuer Tatsachen. Dem Betroffenen steht deswegen ein Wahlrecht zwischen Widerspruchsverfahren und Härteantrag zu. Daher kann im vorliegenden Fall offenbleiben, ob es im Mai 1995 bereits absehbar war, daß der Ehemann der Klägerin seine zum 30. April 1995 beendete Nebentätigkeit im Laufe des Jahres nicht wieder aufnehmen konnte, es sich also nicht nur um einen vorübergehenden, kurzfristigen und damit iS des § 6 Abs 7 BErzGG unerheblichen Einkommensausfall handeln würde.

3. Das höhere Erzg wird allerdings im Rahmen der Härtefallregelung rückwirkend nur für höchstens sechs Monate vor der Antragsstellung bewilligt. Die für Erstanträge geltende sechsmonatige Rückwirkungsfrist des § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG gilt für Anträge auf Neuberechnung des Erzg nach § 6 Abs 7 BErzGG entsprechend. Zwar enthält diese Vorschrift keine ausdrückliche Verweisung auf die Regelung der Rückwirkungsfrist bei Erstanträgen. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß die Nachzahlung des Erzg stets rückwirkend zum Zeitpunkt des Eintritts der geänderten Verhältnisse (Buchner/Becker aaO § 6 BErzGG RdNr 24; abweichend – Beginn des auf das zugrundeliegende Ereignis folgenden Monats – Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz/Mutterschaftsleistungen/Bundeserziehungsgeldgesetz, 8. Aufl 1999, § 6 BErzGG RdNr 28), ansonsten aber unbefristet zu erfolgen hat. Die Gesetzesmaterialien geben allerdings keinen Hinweis darauf, aus welchen Gründen in die Härtefallregelung keine Fristbestimmung wie in § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG aufgenommen worden ist. Der Gesetzgeber hat die Frage anscheinend übersehen. Es muß im Hinblick auf die gesetzliche Konzeption des Erzg eine Regelungslücke angenommen werden, die nicht durch Anwendung der allgemeinen Verjährungsfrist von vier Jahren geschlossen werden kann. Die Regelungslücke ist vielmehr durch eine analoge Anwendung des § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG zu schließen. Diese Bestimmung enthält einen für Erstanträge wie für Neuberechnungsanträge gleichermaßen geltenden Rechtsgedanken. Die Geldleistung soll möglichst in Übereinstimmung, wenigstens aber zeitnah mit den jeweiligen Monaten, in denen die Erziehungs- und Betreuungsleistung unter Verzicht auf eine Vollerwerbstätigkeit erbracht wird, ausgezahlt werden. Die verhaltenssteuernde Wirkung des Erzg, sich dem Kind in dessen ersten vierundzwanzig Lebensmonaten unter Verzicht auf eine Vollerwerbstätigkeit zuzuwenden, setzt eine zeitliche Nähe der Zahlungen zu den entsprechenden Erziehungs- und Betreuungsmonaten voraus, die bei einer über sechs Monate hinausreichenden Nachzahlung in der Regel nicht gegeben wäre. Außerdem wäre es auch von der sachlichen und rechtlichen Bedeutung der Erstanträge für das erste und das zweite Lebensjahr des Kindes (§ 4 Abs 2 Satz 1 BErzGG) her nicht gerechtfertigt, daß die – wichtigere und bedeutsamere – Entscheidung, ob und in welcher Höhe ein Anspruch auf Erzg überhaupt besteht, rückwirkend nur für die Zeit von sechs Monaten ab Antragstellung getroffen werden kann, ein zeitlich davor liegender Anspruch aber entfällt, während der – im Vergleich dazu weniger bedeutsame – Antrag, die Leistung nachträglich zu erhöhen, noch nach Jahren gegenüber der Verwaltung durchgesetzt werden könnte.

Da die Klägerin den Neuberechnungsantrag erst am 22. Mai 1996 gestellt hat, führt die analoge Anwendung des § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG dazu, daß eine Neuberechnung des Erzg-Anspruchs rückwirkend nur ab dem 22. November 1995, dem Begin der Sechsmonatsfrist, zulässig war. Für die allein noch streitige Zeit vom 5. Mai 1995 bis zum 4. November 1995 schließt die Regelung des § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG die nachträgliche Erhöhung des Erzg aus.

4. Ungeachtet dessen steht der Klägerin jedoch auch für diesen Zeitraum ungekürztes Erzg von monatlich 600 DM nach § 6 Abs 7 BErzGG noch zu. Der Klägerin ist wegen Versäumung der fristwahrenden Stellung des Neuberechnungsantrages Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X zu gewähren.

a) Bei der Rückwirkungsfrist des § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist, die an die – nicht fristgebundene – Antragstellung nach § 4 Abs 2 Satz 1 BErzGG bzw nach § 6 Abs 7 BErzGG anknüpft. Auch Fristen des materiellen Sozialrechts sind „gesetzliche Fristen” iS des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB X (vgl BSGE 64, 153, 156 = SozR 1300 § 27 Nr 4 mwN), deren unverschuldete Versäumung grundsätzlich im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behoben werden kann. Es besteht kein Grund, sog gleitende Fristen des materiellen Sozialrechts davon auszunehmen (vgl BVerwG Buchholz 454.71 § 27 WoGG Nr 2 = NJW 1997, 2966 zum Wohngeldverfahren).

b) Der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht nicht die Regelung des § 27 Abs 5 SGB X entgegen (so aber Buchner/Becker aaO § 4 BErzGG RdNr 12; Zmarzlik/Zipperer/Viethen aaO § 4 BErzGG RdNr 12). Die Wiedereinsetzung ist nur unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, daß sie ausgeschlossen ist. Möglich ist ein solcher Ausschluß sowohl in Form einer ausdrücklichen Anordnung innerhalb der betroffenen Fristenregelung als auch dadurch, daß er sich aus dem Wesen der Frist durch Auslegung von Ziel und Zweck der jeweiligen Fristbestimmung und der ihr zugrundeliegenden Interessenabwägung ergibt (BSGE 64, 153, 156 = SozR 1300 § 27 Nr 4; BSG SozR 3-4100 § 81 Nr 4 zu § 81 Abs 3 Satz 2 AFG als absolut wirkender Ausschlußfrist; vgl auch BSG SozR 4100 § 66 Nr 2 zu § 66 Satz 1 und § 64 Abs 1 Nr 4 AFG sowie BSGE 65, 272, 276 = SozR 4100 § 78 Nr 8 zu § 238 AFG; Schroeder-Printzen/von Wulffen, SGB X, 3. Aufl 1996, § 27 RdNr 4). Das BErzGG enthält keine Regelung, nach der die Frist des § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG ausdrücklich als einer Wiedereinsetzung nicht zugänglich bezeichnet wird. Auch nach Sinn und Zweck der Fristenregelung ist eine Wiedereinsetzung nicht ausgeschlossen. Die vom Gesetz angestrebte Zeitnähe zwischen der Betreuung und Erziehung des Kindes in dessen ersten beiden Lebensjahren und der Honorierung dieser Hinwendung zum Kind durch das Erzg in den jeweiligen Lebensmonaten schließt eine ausnahmsweise erfolgende rückwirkende Gewährung des Erzg über den sechsten Monat vor der Antragstellung hinaus nicht aus. Es liegt kein Fall vor, in dem die gesetzliche Regelung „mit der Frist steht und fällt” (BSG SozR 3-5765 § 10 Nr 2). Auch die Gesetzesmaterialien liefern keinen Hinweis auf den Ausschluß einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Rückwirkungsfrist des § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG.

c) Die Klägerin war entgegen der Auffassung des LSG ohne Verschulden (§ 27 Abs 1 Satz 1 SGB X) daran gehindert, die Neuberechnung des Erzg-Anspruchs nach § 6 Abs 7 BErzGG spätestens bis zum 5. November 1995 zu beantragen, wodurch die Sechsmonatsfrist für die bis zum 5. Mai 1995 rückwirkende Erhöhung des Erzg (Beginn des zweiten Lebensjahres des Kindes) von monatlich 392 DM auf 600 DM gewahrt worden wäre. Ein Verschulden wäre der Klägerin nur dann anzulasten, wenn sie gewußt hätte oder es ihr infolge fahrlässigen Verhaltens unbekannt geblieben wäre, (1) daß eine Neuberechnung des geminderten Erzg-Anspruchs wegen eines Härtefalls nach § 6 Abs 7 BErzGG überhaupt möglich ist und (2) daß dies rückwirkend höchstens für sechs Monate vor der Antragstellung erfolgen kann. Dies war nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG nicht der Fall. Es gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Klägerin habe schon vor dem 5. Mai 1996 von der fristgebundenen Härtefallregelung des § 6 Abs 7 BErzGG erfahren oder erfahren können. Für eine solche unverschuldete Unkenntnis spricht schon, daß die Frist im Gesetz nicht genannt wird, sondern aus einer analogen Anwendung von § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG hergeleitet wird. Es gibt dazu auch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Auch der Beklagte hat die Klägerin bei der Stellung des Erstantrages nicht durch eine mündliche Beratung oder, wie bei anderen Vorgängen der Massenverwaltung üblich (zB Kindergeldrecht, Arbeitsförderungsrecht), durch Aushändigung eines Merkblatts zumindest in genereller Form auf die Härtefallregelung des § 6 Abs 7 BErzGG einschließlich der dort analog anzuwendenden Sechsmonatsfrist des § 4 Abs 2 Satz 3 BErzGG hingewiesen. Im Leistungsbescheid vom 26. April 1995 finden sich ebenfalls keine entsprechenden Hinweise. Vor diesem Hintergrund könnte nicht einmal einem Rechtskundigen die erst am 22. Mai 1996 erfolgte Antragstellung als iS des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB X schuldhaft verspätet angelastet werden. Bei einem entsprechenden Hinweis ist zu unterstellen, daß der Antrag rechtzeitig bis spätestens zum 5. November 1995 gestellt worden wäre.

Die Klägerin hat den Antrag nach § 6 Abs 7 BErzGG auch innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses, hier sogar schon nach Kenntniserlangung von der Härtefallregelung als solcher ohne die damit verbundenen Fristen, gestellt. Ihr ist deshalb gemäß § 27 Abs 2 Satz 4 SGB X auch ohne gesonderten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 543156

BSGE, 231

SozSi 2001, 65

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