Auswahlrichtlinien sind abstrakt-generelle Grundsätze, die festlegen, anhand welcher objektiver Kriterien die Entscheidung über eine beabsichtigte personelle Einzelmaßnahme erfolgen soll, für die mehrere Arbeitnehmer oder Bewerber infrage kommen.[1] Anhand von bestimmten Kriterien und deren Gewichtung zueinander werden somit für die in § 95 BetrVG genannten personellen Maßnahmen die Modalitäten zur Auswahl des Arbeitnehmers oder Bewerbers festgelegt. Dabei ist auch die ausschließliche Vereinbarung eines Negativkatalogs, also einer Zusammenfassung solcher Kriterien, die bei der Maßnahme nicht vorliegen dürfen oder außer Betracht zu bleiben haben, als Auswahlrichtlinie anzusehen.[2] Eine Auswahlrichtlinie liegt nicht nur dann vor, wenn sämtliche bei einer personellen Einzelmaßnahme zu bedenkenden Aspekte berücksichtigt werden. Es genügt schon die Festlegung einiger, besonders wesentlicher Gesichtspunkte. Nicht erforderlich ist eine besondere Gewichtung mithilfe eines Punktesystems.

Auswahlrichtlinien sind wie Tarifverträge auszulegen. Auszugehen ist dementsprechend zunächst vom Wortlaut. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang der Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt.[3]

§ 95 Abs. 1 BetrVG verlangt für Auswahlrichtlinien keine Schriftform. Deshalb kann eine Auswahlrichtlinie auch dann vorliegen, wenn der Arbeitgeber seine Personalentscheidungen nach einem generalisierten Auswahlsystem trifft, ohne sie schriftlich niederzulegen. Besondere Formerfordernisse sind von einer Auswahlrichtlinie, damit sie Gültigkeit entfaltet, also nicht einzuhalten. Vielmehr können Auswahlrichtlinien auch mündlich abgeschlossen werden.[4] In diesem Fall kommt ihnen der Charakter einer Regelungsabrede zu.[5]

Werden die Auswahlkriterien schriftlich von den Betriebsparteien oder durch Spruch der Einigungsstelle fixiert, handelt es sich um eine Betriebsvereinbarung. Erforderlich zur Annahme einer Auswahlrichtlinie ist jedoch stets ein Betriebsratsbeschluss nach § 33 BetrVG.[6] Daher liegt bei bloßer Duldung oder widerspruchsloser Hinnahme einseitig vom Arbeitgeber aufgestellter Auswahlrichtlinien und ihrer Anwendung keine wirksame Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 95 Abs. 1 oder 2 BetrVG durch den Betriebsrat vor.

In Betrieben mit weniger als 501 Arbeitnehmern sind Auswahlrichtlinien nicht vom Betriebsrat erzwingbar. Es steht nämlich dem Arbeitgeber frei, ob er überhaupt Auswahlrichtlinien schaffen will oder nicht. Nur soweit der Arbeitgeber in einem derartigen Betrieb Auswahlrichtlinien praktizieren will, bedarf er der Zustimmung des Betriebsrats (§ 95 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). In Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern kann der Betriebsrat die förmliche Aufstellung von Richtlinien und deren Inhalt durch das ihm eingeräumte Initiativrecht erzwingen (§ 95 Abs. 2 BetrVG).

In § 95 Abs. 2a BetrVG ist klargestellt, dass die Rechte des Betriebsrats gleichermaßen gelten, wenn bei der Aufstellung von Richtlinien Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommt. Schon vor dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz vom 18.6.2021 bedurften Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats. Inhalt des Mitbestimmungsrechts sind die Richtlinien oder deren Inhalt (§ 95 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Zum Inhalt der Richtlinie gehören die Festlegung der materiellen Merkmale für die Auswahl einer Person und die Regelung des Verfahrens, das für die Feststellung dieser Auswahlkriterien maßgebend sein soll. Nach dieser Definition hätte das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats schon nach der alten Rechtslage bestanden, wenn eine KI-Anwendung z. B. Merkmale für eine Richtlinie aufgestellt hätte. Der vom Gesetzgeber in der Begründung genannte Beispielsfall, dass eine KI-Anwendung eigenständig oder innerhalb eines von einem Dritten vorgegebenen Rahmens Auswahlrichtlinien aufstellt, wäre daher auch zuvor bereits mitbestimmungspflichtig gewesen.

1.1 Personalauswahlrichtlinien

Anforderungsprofile, in denen für einen bestimmten Arbeitsplatz die fachlichen, persönlichen und sonstigen Anforderungen, die ein Stelleninhaber erfüllen soll, abstrakt festgelegt werden, sind nach der Rechtspr...

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