"Zeiterfassung ist nicht der administrative Supergau"
Personalmagazin: Frau König, als CHRO kommt man ja nicht auf die Welt. Wie sind Sie beim Thema HR gelandet? War es Zufall oder Absicht?
Sina König: Tatsächlich war es Absicht. Ich habe zunächst als Juristin in einer Rechtsanwaltskanzlei gearbeitet und war dort spezialisiert auf Arbeits- und Sozialrecht. Da liegt HR nahe. Einerseits den rechtlichen Zugang zu den HR-Themen zu haben und andererseits die Gestaltungsmöglichkeiten einer HR-Managerin zu haben, ist eine sehr interessante Kombination.
Personalmagazin: TPA, wo Sie als Head of Human Resources fungieren, ist ein Steuerberatungsunternehmen mit rund 700 Beschäftigten in Österreich und etwa 1.700 Angestellten in zwölf europäischen Ländern. Welche Themen beschäftigen Sie gerade?
König: Zwei große Schwerpunkte bilden derzeit die Änderungen im Recruiting-Markt und das Thema Demografie. Wie schafft man es, den jungen Menschen da draußen zu vermitteln, was für ein spannendes Thema die Steuerberatung ist? Wie vermitteln wir das Berufsbild der Steuerberatung so, dass die Bewerber erkennen, welch ungemein interessanter und abwechslungsreicher Job hier auf sie wartet. Neben dem Thema Recruiting wird die Mitarbeiterentwicklung, also Learning und Development, bei uns großgeschrieben. Dabei geht es nicht nur darum, die Mitarbeitenden so zu spezialisieren und weiterzubilden, dass sie für uns langfristig interessant bleiben, sondern vor allem darum, sie bestmöglich zu fördern und wachsen zu lassen. Jeder Beschäftigte soll bei uns seine Potenziale zur Entfaltung bringen können.
Personalmagazin: Wie bewerten Sie die letzten zweieinhalb Jahre der Pandemie? Es hat sich einiges geändert, was man früher in der Geschwindigkeit gar nicht für möglich gehalten hätte. Was sind für Sie die Herausforderungen, die sich jetzt stellen?
König: Ich bin erst seit einem Jahr bei TPA und kann mit Blick auf mein Unternehmen nur diesen Zeitraum beurteilen. Für die Zeit davor kann ich nur aus meiner allgemeinen Erfahrung sprechen. Mit dem ersten Lockdown waren hunderttausende von Arbeitnehmern in Österreich von jetzt auf sofort im Homeoffice. Die Unternehmen haben unglaublich schnell auf hybride Arbeitsweisen umgesattelt und Arbeiten im Homeoffice oder Mobile Working ganz allgemein ermöglicht. Aber das hat auch dazu geführt, dass sich in Sachen Unternehmenskultur ein großer Wandel vollzogen hat. Homeoffice-Möglichkeiten sind zunehmend selbstverständlich geworden und werden auch unabhängig vom Pandemiegeschehen von den Mitarbeitenden eingefordert.
Homeoffice und Zeiterfassung in Österreich gesetzlich geregelt
Personalmagazin: Wie haben Sie das Thema Anwesenheit bei TPA geregelt?
König: Wir regeln das durch Einzelvereinbarungen, sogenannte Mobile-Working-Vereinbarungen, mit den Mitarbeitenden. Möchte ein Mitarbeiter gerne im Homeoffice oder anderswo mobil arbeiten, dann spricht er die Möglichkeiten dazu mit seinem Vorgesetzten ab und wir schließen eine entsprechende Einzelvereinbarung mit ihm ab. Es gibt in Österreich seit April 2021 auch das Homeoffice-Gesetz und somit geltende rechtliche Rahmenbedingungen, die Arbeitgebern und Arbeitnehmern mehr Flexibilität und Planbarkeit sowie steuerrechtliche Vorteile bringen sollen.
Personalmagazin: Da war Österreich schneller als Deutschland. Auch beim Thema Zeiterfassung ist Österreich uns weit voraus. Seit wann ist Zeiterfassung gesetzlich verpflichtend in Österreich?
König: Ich kann Ihnen gar nicht ganz genau sagen, seit wann es den Paragrafen 26 Arbeitszeitgesetz (AZG) in seiner jetzigen Form gibt. In Österreich gibt es mittlerweile seit Jahrzehnten die Verpflichtung zur Arbeitszeitaufzeichnung. Also bereits lange vor meiner aktiven beruflichen Zeit.
Personalmagazin: Das heißt, das EuGH-Urteil zur Zeiterfassung, das vor drei Jahren für viel Wirbel gesorgt hat und dessen Umsetzung jetzt durch das neue BAG-Urteil noch mal dringend angemahnt wurde, hat Österreich weitgehend kalt gelassen, weil die Aufzeichnungspflicht ohnehin schon lange besteht?
König: Genau. Hier in Österreich besteht de facto schon immer eine Aufzeichnungspflicht. Dem Gesetz zufolge hat in Österreich der Arbeitgeber die Pflicht, Aufzeichnungen über die Arbeitszeiten der Mitarbeitenden zu führen und sicherzustellen, dass diese den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes entsprechen. Pausen und Ruhezeiten müssen in der Dokumentation ersichtlich sein und die Pflicht entfällt beispielsweise nur dann – also gewisse Ausnahmen von der Aufzeichnungspflicht gibt es –, wenn eine schriftlich fixierte Arbeitszeiteinteilung existiert.
Personalmagazin: Also beispielsweise in Schichtbetrieben?
König: Ja, überall dort, wo nach festen Dienstplänen gearbeitet wird.
Aufzeichnungspflicht in der täglichen Praxis
Personalmagazin: Wir haben das Problem in Deutschland, dass von den 1,7 Milliarden Überstunden, die in Deutschland jährlich geleistet werden, nur knapp die Hälfte bezahlt wird. Wie steht es um unbezahlte Mehrarbeit in Österreich?
König: Das wäre hierzulande kaum möglich und auch hier bei der TPA ist das nicht vorstellbar. Wir haben fast keine All-in-Verträge, die bei entsprechender Bezahlung vorsehen, dass ein gewisses Kontingent an Überstunden inkludiert ist. Wir zahlen Mehrarbeit oder Überstunden gesondert aus, und dafür bilden die Arbeitszeitaufzeichnungen die Grundlage. Dort kann man am Ende des Monats genau auswerten, wie viel Plus- oder Minusstunden geleistet wurden. So weiß man genau, wie viel Zeitausgleich noch offensteht oder wie viele Stunden am Ende der Gleitzeitperiode noch zur Auszahlung kommen, wenn sie nicht durch Freizeit ausgeglichen werden konnten.
Personalmagazin: Studien belegen, dass bei Vertrauensarbeitszeit die Beschäftigten oft mehr arbeiten als sie arbeitsvertraglich müssten. Für etliche Unternehmen in Deutschland ist eine verpflichtende Zeiterfassung auch ein Kostenfaktor.
König: Nein, da haben wir eine ganz andere Sicht auf das Thema. Wir wollen ja niemanden um den Lohn für seine Arbeit prellen. Die Zeiterfassungsdaten gewährleisten, dass keine Arbeitszeiten unter den Tisch fallen können.
Personalmagazin: Wie gut klappt die Aufzeichnung in der täglichen Praxis? Muss man nicht ständig fehlenden Aufzeichnungen einzelner Beschäftigter hinterherlaufen?
König: Nein, das Aufzeichnen der Zeiten ist gang und gäbe. Bei uns zeichnet jeder Mitarbeitende seine Zeiten selbst auf. Grundsätzlich besteht diese Pflicht zwar auf Seiten des Arbeitgebers. Aber in der Praxis funktioniert es so, dass jeder Mitarbeitende seine Arbeitszeit täglich selbst erfasst.
Personalmagazin: Mitarbeitende erfassen ihre Zeiten auch im Homeoffice?
König: Ja, selbstverständlich. Dort ist die Regelung insofern ein bisschen anders, als dass dort die Verantwortung auf den Arbeitnehmer selbst delegiert wird. Es gilt grundsätzlich die gesetzliche Voraussetzung, dass bei Gleitzeit, bei Außendiensttätigkeit und bei Arbeit, die überwiegend in der Wohnung des Arbeitnehmers, also im Homeoffice, stattfindet oder erbracht wird, der Arbeitnehmer selbst seine Arbeitszeit aufzeichnen darf. In Österreich sind die Arbeitszeitaufzeichnungen Grundlage für die Entlohnung, das ist anders als in Deutschland, wo bei Vertrauensarbeitszeit nur nach vertraglicher Vereinbarung bezahlt wird. Deswegen sind die Arbeitszeitaufzeichnungen zwingend erforderlich, es ist sogar so, dass fehlende Arbeitsaufzeichnungen eine Strafbarkeit des Unternehmens nach sich ziehen können.
Personalmagazin: Wie läuft das technisch? Arbeiten Sie mit einer Zeiterfassungssoftware, von der es eine mobile Version für die Mitarbeitenden im Homeoffice gibt?
König: Genau. Grundsätzlich ist es so, dass der Gesetzgeber in Österreich keine bestimmte Form der Zeiterfassung vorschreibt. In der Arbeitswelt haben sich die unterschiedlichsten Methoden etabliert, wie Arbeitgeber die Arbeitszeiten erfassen. Traditionellerweise ist es so, dass bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende die Arbeitszeit von den Beschäftigten selbst festgehalten wird. Bei uns kommt ein elektronisches Tool zum Einsatz. Jeder Mitarbeitende kann dort seine Daten entsprechend erfassen.
Zeiterfassung als Teil der DNA
Personalmagazin: Viele Beschäftigte in Deutschland, die bisher weitgehend unkontrollierte Vertrauensarbeitszeit kennen, haben die Sorge, sie werden künftig kontrolliert und überwacht. Wird Zeiterfassung nicht auch als Kontrolle empfunden?
König: In Österreich ist Zeiterfassung schon Teil unserer DNA. Arbeitszeitaufzeichnungen werden nicht als Kontrolle erlebt, sondern bieten aus Arbeitnehmerperspektive die Sicherheit, zu wissen, wie viele Stunden an Arbeitsleistung erbracht worden sind. Die Mitarbeitenden wissen, was ihnen finanziell oder auch zeitausgleichstechnisch zusteht. Auf der anderen Seite bieten die Aufzeichnungen dem Arbeitgeber eine Sicherungsfunktion im Hinblick auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden.
Personalmagazin: Wie das?
König: Man kann sehr gut auf mögliche Überlastungen schauen. Ich kann mir mit den Daten der Zeiterfassung einen guten Überblick über die Auslastung der Mitarbeitenden verschaffen, sehe, wenn sie möglicherweise überlastet sind, kann erfragen, ob Unterstützung benötigt wird. Wir können auch aufgrund des gewählten Arbeitszeitmodells Rückschlüsse ziehen. Wir beschäftigen viele Studierende und auch viele Eltern, die Teilzeit arbeiten. Studium oder Familie erfordern ein unterschiedliches Maß an Flexibilität und wir können nach der besten Möglichkeit suchen, wie unsere Mitarbeitenden ihr Privatleben und ihren Job gut unter einen Hut bringen können. Wir sehen, welche Ressourcen das Unternehmen benötigt, um werthaltige Dienstleistungen erbringen zu können und können diesen Bedarf bestmöglich so abdecken, dass für die Mitarbeitenden eine größtmögliche Flexibilität in ihrer Zeiteinteilung vorhanden ist. So gesehen, sind die Arbeitszeitaufzeichnungen ein hervorragendes Steuerungstool.
Personalmagazin: Was ist mit den leitenden Angestellten? Gilt die Zeiterfassungspflicht auch für die Führungskräfte?
König: Leitende Angestellte sind von den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes (AZG) und des Arbeitsruhegesetzes (ARG) ausgenommen.
Personalmagazin: Eine Befürchtung in Deutschland ist, dass die Flexibilität, seinen Arbeitstag im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit selbst zu gestalten, verloren geht. Heute holt der Arbeitnehmer mittags seine Kinder aus dem Kindergarten, nimmt am Nachmittag noch einen Arzttermin wahr und arbeitet dann abends nochmal von 18 bis 22 Uhr. Gibt es in Österreich Arbeitszeitmodelle, die so etwas abbilden könnten?
König: Wir haben bei der TPA ein Gleitzeitmodell, das uns ermöglicht, unsere Arbeitsleistung in einem definierten Zeitfenster während des Tages zu erbringen. Zwischen 7 und 20 Uhr können die Mitarbeitenden ein- und ausgleiten wie es ihrem persönlichen Bedarf entspricht. Wir haben allerdings auch Kernzeiten, in denen die Mitarbeitenden erreichbar sein müssen.
Personalmagazin: Völlige Flexibilität gibt es also nicht?
König: Es gibt eine hohe Flexibilität, weil die Kernzeiten in unserem Gleitzeitmodell sehr gering sind. Es handelt sich nur um kurze Zeiträume während des Tages, in denen Mitarbeitende während unserer Hauptgeschäftszeit anwesend sein müssen. Die restliche Zeit ist als Gleitzeit flexibel gestaltbar. Zwischen 7 und 20 Uhr stehen somit dreizehn Stunden am Tag zur Verfügung, in dem die Beschäftigten ihrer Teilzeit- oder Vollzeitverpflichtung nachkommen können. Die übliche Wochenarbeitszeit beträgt in Österreich 40 Stunden. Manche Kollektivverträge sehen aber auch weniger vor.
Flexibilität trotz gesetzlichem Rahmen
Personalmagazin: Das ein oder andere flexible Arbeitszeitmodell wäre bei strikter Einhaltung von Ruhepausen und Ruhezeiten nicht mehr möglich. Fühlen Sie sich in dieser Hinsicht nicht bisweilen eingeschränkt durch die verpflichtende Zeiterfassung?
König: Natürlich ist es so, dass das Arbeitszeitgesetz nur einen gewissen Spielraum zulässt. Ich persönlich würde es manchmal angenehmer finden, wenn wir etwas mehr Flexibilität in Österreich hätten und unseren Mitarbeitenden diese Flexibilität auch weitergeben könnten. Trotzdem muss ich sagen, dass es durchaus möglich ist, im Rahmen der bestehenden Gesetze sehr flexibel zu arbeiten. Es gibt unterschiedlichste Arbeitszeitmodelle in Österreich, die innerhalb der bestehenden Regelungen eine große Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen.
Personalmagazin: Nach Ihren Erfahrungen braucht man also keine Angst zu haben vor einer verpflichtenden Arbeitszeiterfassung?
König: Nein, es gibt keinen Grund, sich vor Arbeitszeiterfassung zu fürchten. Das macht nicht immer Spaß, schließlich ist es eine administrative Tätigkeit, der man nachkommen muss. Aber dafür gibt es elektronische Tools, welche dafür sorgen, dass die Zeiterfassung nicht in einen administrativen Supergau ausartet.
Personalmagazin: Sie laufen nicht am Monatsende den Mitarbeitenden hinterher, die vergessen haben, ihre Zeiten zu erfassen?
König: Wir sind in der Steuerberatung tätig. Wir erbringen eine Dienstleistung für den Kunden, die wir abrechnen. Schon deswegen ist es bei uns selbstverständlich, dass wir die Zeiten, die wir für einzelne Projekte erbringen, tagesaktuell erfassen. Hier im Unternehmen ist es daher kein Thema, säumigen Mitarbeitenden hinterherrennen zu müssen.
Dieses Interview ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 1/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
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