Wirkung der Körpersprache

Mit psychologischen Fakten und einer großen Portion bissigem Humor klärt Professor Uwe P. Kanning in seiner Kolumne über Mythen und Missstände im Bereich der Führung, Personalauswahl und Personalentwicklung auf. Heute nimmt er die verbreitete Ratgeberliteratur aufs Korn, in der stets die große Bedeutung der Körpersprache gepredigt wird.

Wenn sich die Ratgeberliteratur zur Kommunikation in einem Punkt einig ist, dann ist es der, dass die Körpersprache eine riesige Bedeutung für den Menschen haben soll. Ja, mehr noch: Sie soll sogar bedeutsamer sein als die gesprochene Sprache. Wer also seinem Gegenüber auf die Schliche kommen möchte und hinter die Fassade aus Schmeicheleien und wohlfeilen Lügen schauen will, der muss sich allein auf die Körpersprache konzentrieren.

Körpersprache als Erfolgsgarant Nummer 1 in der Kommunikation?

Freunde des gemeinen Tiertrainings gehen sogar noch einen Schritt weiter: Sie wissen zu berichten, dass die Körpersprache eines Pferdes, eines Hundes oder eines Schafes im Coaching einer naiven Führungskraft sehr viel mehr über ihre Persönlichkeit und ihren Führungsstil verrät als jeder Mitarbeitender es verbal auszudrücken vermag. Wer selbst als Führungskraft, im Verkauf oder als Serviceberater andere überzeugen möchte, der muss es den Schafen gleichtun und sich vor allem auf seine Körpersprache konzentrieren, denn das gesprochene Wort verpufft in den Köpfen der Rezipienten in wenigen Sekunden zu einem Nichts.

Die theoretische Basis für die Aussagen zur Körpersprache

Manch kritischer Zeitgenosse mag sich nun fragen, woher die Experten ihre Weisheiten beziehen. Die Ratgeberliteratur selbst hilft hier leider meist nicht weiter, weil man ungern Quellen zitiert. Allzu leicht würde sonst offenkundig, dass seit Generationen immer der eine vom anderen abschreibt. Primärliteratur wandelt sich so binnen kurzer Zeit in Sekundär- und Tertiärliteratur. Schon bald darauf halten wir die Oktärliteratur in der Hand und spätestens jetzt wissen auch die schlauen Autoren nicht mehr, wer sich das Ganze ausgedacht hat. Eigentlich interessiert es auch niemanden mehr, denn durch das ewige Wiederholen haben alle die Gewissheit gewonnen, es handele sich um Naturgesetze – edel, rein und unumstößlich.

Aktuelle Ratgeberliteratur basiert auf "Mehrabian's Rule" von 1971

Im Falle der vermeintlichen Dominanz der Körpersprache lässt sich die Ursprungsquelle noch benennen. Das Ganze geht zurück auf den US-amerikanischen Psychologen Albert Mehrabian, der vor 50 Jahren in einem Buch die "Mehrabian's Rule" aufgestellt hat. Dieser Regel zufolge sollten wir in unserer Kommunikation nur zu sieben Prozent über die Inhalte des gesprochenen Wortes auf unser Gegenüber einwirken. Weitere 38 Prozent gehen auf das Konto der paraverbalen Kommunikation, also etwa die Betonung der Wörter oder die Lautstärke, in der wir sprechen. Die restlichen 55 Prozent Einfluss entfallen auf die Körpersprache.

Medien und Ratgeberliteratur haben Mehrabian's Rule begierig aufgegriffen und die Mär lustig weitergesponnen. Aus der Scheingewissheit, dass wir durch die Körpersprache in dominanter Weise auf unsere Mitmenschen Einfluss nehmen, wurde irgendwann einmal die Scheingewissheit, dass die Körpersprache die wahren Absichten eines Menschen enthüllt. Das gesprochene Wort verkommt im Vergleich hierzu zu einem unbedeutenden Anhängsel der Kommunikation.

Grundlegende Studien sind mangelhaft

Werfen wir einen Blick in die beiden empirischen Studien aus denen Mehrabian seine Regel ableitet, so entpuppt sich beides als maßlose Überinterpretation. In Studie eins beziehen sich die relevanten Ergebnisse auf gerade einmal zehn Personen, in Studie zwei sind es nicht mehr als 20. In keiner der beiden Studien werden alle drei Facetten der Kommunikation (verbal, paraverbal, nonverbal) gleichzeitig untersucht, sondern immer nur zwei im Vergleich zueinander. Die Untersuchungsbedingungen sind extrem künstlich und haben nichts mit einer halbwegs realen Kommunikation zu tun. In einer Studie beschränkt sich die verbale Kommunikation beispielsweise auf neue Wörter, die ohne Kontext unterschiedlich betont wurden. Die Körpersprache wird reduziert auf ein Foto, das ein Gesicht mit positiver, neutraler oder negativer Stimmung zeigt.

Mehrabian selbst widerruft seine Grundregel zur Kommunikation

Wen all diese Kritik nicht überzeugt, der könnte sich vor Augen führen, dass Mehrabian selbst Jahrzehnte später die Aufstellung seiner Regel in Presseinterviews bedauert hat. Es gibt keine allgemeingültige Regel, der zufolge die Körpersprache immer dominanter wirkt als das gesprochene Wort. Aber da war es bereits zu spät. Wie Goethes Zauberlehrling wurde er die Geister, die er rief, nicht wieder los. Und so werden wohl auch noch in 50 Jahren die Menschen in Ratgeberbüchern und Kommunikationsseminaren lernen, dass es vor allem auf die Körpersprache ankommt. Die Illusion ist oft reizvoller als die Realität, vor allem wenn sie sich besser vermarkten lässt.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.

Schlagworte zum Thema:  Coaching, Weiterbildung, Leadership, Personalarbeit