Urteile beim Schubladendenken verbessern

Es ist völlig menschlich, dass unser Gehirn permanent andere Menschen, Geschehnisse oder Dinge in Schubladen sortiert - nur so verlieren wir ob der zahllosen Reize nicht die Orientierung. Doch es lohnt sich, zu hinterfragen, wie gut uns das gelingt - welche Qualität unsere Urteile haben. Managementtrainer Boris Grundl zeigt, wie sich dies trainieren lässt.

"Man soll Menschen nicht in Schubladen stecken!" Welch gut gemeinte Aufforderung, welch wünschenswerter Zustand. Und gleichzeitig ein hoch gestecktes Ideal! Wer es erreicht, kann andere Menschen wahrnehmen, ohne zu vergleichen. Wem das gelingt, der erkennt Menschen durch eigene, reine Präsenz.

Zur Schärfung dieser Sinne nutzen wir in unserem Institut drei Unterscheidungen: verurteilen, beurteilen und bewerten. Von morgens bis abends prasseln Reize auf uns ein. Im normalen Stand-by-Modus gleicht unser Gehirn den neuen Input mit bekannten Infos ab.

Unterschied: verurteilen, beurteilen und bewerten

Wir richten den alltäglichen Zustrom permanent nach Bekanntem aus. Das Ziel: psychologische Sicherheit. So fahren wir zum Beispiel durch eine fremde Stadt und unser Gehirn bietet uns innerlich immer wieder Bilder von ähnlichen, bereits bekannten Straßenzügen an. Wir betrachten, hören oder spüren neue Situationen mit vorgefertigten Schubladen. So kommt es vor, dass wir Neues ablehnen, weil es mit unseren vertrauten Bildern nicht übereinstimmt. Das nennt sich verurteilen und macht Veränderung schwer.

Beurteilen ist ein anderer Zustand. Mit anderen geistigen Schubfächern. Hier lehnen Menschen sich innerlich zurück und begeben sich in die Zuschauerrolle. Sie überlegen, ob ihnen das Wahrgenommene gefällt oder nicht. Daumen hoch oder Daumen runter? Das Ganze tendiert zur Aufforderung: Unterhalte mich! Gib mir Bestätigung und gute Gefühle! Die Sache ist richtig, wenn sie für mich passt. Sie ist falsch, wenn mir das Geschehen nicht passt. Ganz einfach. Diese geringe Differenzierung provoziert in Unternehmen jeden Tag unzählige, völlig unnötige Probleme. Die Haltung: Motiviere mich! Überzeuge mich! Mach mich glücklich! Auch dieser unbewusste Wahrnehmungszustand führt zu Veränderungsresistenz.

Als Drittes gibt es das Bewerten. Oft wird der Begriff mit "Verurteilen" gleichgesetzt. Dabei ist es etwas völlig anderes. Beim Bewerten geht es um die Fähigkeit, einen Wert festzustellen. Dafür bedarf es Kompetenz, zum Beispiel Führungskompetenz. Ohne sie bleibt ein Manager in entsprechenden Situationen an der Oberfläche. Wer wenig Ahnung von Immobilien hat, kann deren Wert nicht analysieren. Fehlt Software-Know-how, lassen sich Probleme auf digitaler Ebene nur grob einschätzen.

Sie fühlen sich anderen über- oder unterlegen? Dann stimmt etwas nicht mit Ihrem Selbstwert!"

Dafür brauchen wir also die mentalen Schubfächer. Sie geben uns Orientierung. Ohne sie werden wir verrückt. Doch wie hoch ist deren Qualität? An ihr lässt sich vortrefflich arbeiten. Wir sollten Menschen also nicht vorschnell einsortieren, sondern zuerst unsere eigene mentale Differenzierungs­fähigkeit entwickeln. Mit den drei Unterscheidungen "verurteilen, beurteilen und bewerten" verbessern wir die Qualität unseres inneren Wandschranks. Oft fällt es schwer, den eigenen Zustand zu erkennen. Das zu trainieren, macht jedoch große Freude. Hierzu eine Übung: Versuchen Sie mal, durch eine Fußgängerzone zu laufen, ohne den Passanten ein geistiges Etikett anzuhängen. Egal, ob diese dick oder dünn sind, klein oder groß, gepflegt oder ungepflegt. Jedes Mal, wenn Sie sich einem Menschen über- oder unterlegen fühlen, stimmt etwas nicht mit Ihrem Selbstwert. Dann urteilen Sie. Wenn Sie das üben, können Sie sich über große Schritte in Ihrer Selbsterkenntnis freuen.


Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis. Seine Kolumne erscheint in der Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung".

Schlagworte zum Thema:  Mitarbeiterführung, Leadership, Weiterbildung