DAX-Nachhaltigkeitsberichte enthüllen strukturelle Geschlechterdiskriminierung
Seit diesem Jahr berichten die meisten DAX-Konzerne gemäß der neuen EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD). Dabei legen sie auch den unbereinigten Gender Pay Gap offen, den durchschnittlichen Lohnunterschied pro Stunde zwischen Männern und Frauen. Eine Auswertung von EY-Parthenon, der Strategie- und Transaktionsberatung von Ernst & Young, zeigt: Männer verdienen in den DAX-Konzernen im Schnitt 13,9 Prozent mehr als Frauen. Zum Vergleich: Bundesweit beträgt der Unterschied 16 Prozent.
Gender Pay Gap: Schlechtes Zeugnis für DAX-Konzerne
Was zunächst positiv klingt, offenbart bei genauerem Blick strukturelle Defizite. Selbst Deutschlands größte Konzerne zahlen in manchen Bereichen Niedriglöhne und schaffen seltener Zugang zu Führungspositionen für Frauen. Bei 29 der 33 untersuchten Unternehmen verdienen Männer mehr als Frauen. Nur vier melden eine umgekehrte Tendenz: Daimler Truck, BMW, DHL Group und Vonovia.
Die Bandbreite ist groß: Bei Munich Re und der Deutschen Börse verdienen Männer im Durchschnitt jeweils 29 Prozent mehr als Frauen, bei Hannover Rück liegen die Bruttogehälter der Männer 30 Prozent höher als die der Frauen, bei der Commerzbank sogar 30,5 Prozent. Den höchsten Gender Pay Gap weist die Deutsche Bank mit knapp 38,8 Prozent aus.
Nur scheinbar "positive Ausreißer" bei der Gleichstellung
Bei Daimler Truck verdienen Frauen im Schnitt 15 Prozent mehr als Männer, bei BMW sind es 10,9 Prozent, bei der DHL Group 2,2 Prozent, bei Vonovia 0,4 Prozent. Der Grund: Männer arbeiten dort häufiger in schlechter bezahlten, produktionsnahen Berufen – etwa in der Montage. Frauen sind überproportional in besser vergüteten Bürojobs und Spezialfunktionen vertreten, zum Beispiel im Personalmanagement. DHL nennt keine Details, vermutlich ist es dort ähnlich.
Bei BMW kommt ein weiterer Faktor hinzu: In der Führungsetage liegt der Frauenanteil bei 21,6 Prozent – zwei Prozentpunkte über dem Schnitt der Gesamtbelegschaft. "Diese Überrepräsentanz dürfte den Schnitt der Bruttostundenvergütung für Frauen nach oben ziehen", so die Studienautorinnen Janine Bartsch und Marie-Lena Kreutzer. Bei Daimler Truck beträgt der Anteil von Frauen in der Gesamtbelegschaft sogar nur 16,7 Prozent. "Das begrenzt die Streuung auf alle Unternehmensbereiche und Karrierepfade, was das Verdienstgefälle verzerrt positiv erscheinen lässt", sagen die Studienautorinnen.
Leistungsbiases vergrößern Pay Gaps
Gleichwohl dominieren DAX-Unternehmen mit einem Einkommensvorteil für Männer – besonders ausgeprägt in der Versicherungsbranche (siehe oben). Die Gründe: In den oberen, gut bezahlten Führungsetagen sind Frauen unterrepräsentiert. Männer stellen den Großteil der Spitzenverdiener und arbeiten häufiger in lukrativen technischen, ingenieur- oder IT-nahen Berufen. Frauen finden sich eher in sozialen, kommunikativen oder administrativen Tätigkeiten, die schlechter entlohnt werden. "Geschlechterbezogene Sozialisation und frühkindliche Prägung spielen hier eine wesentliche Rolle", meinen die Studienautorinnen. Hinzu kommen Teilzeit und Erwerbsunterbrechungen: Frauen arbeiten deutlich öfter in Teilzeit oder pausieren länger – etwa wegen Elternzeit oder unbezahlter Sorgearbeit. Dadurch sammeln sie weniger Berufserfahrung. Der Pay Gap bezieht sich zwar auf den Bruttostundenlohn und wird durch Teilzeit nur indirekt beeinflusst – doch Führungspositionen sind oft nicht in Teilzeit besetzt.
Ein weiterer Hintergrund für die höheren Löhne der Männer: Diese profitieren oft stärker von leistungsabhängigen Vergütungsbestandteilen wie Boni oder Aktienprogrammen. Laut den Studienautorinnen wirken hier Leistungsbiases: "Männer sind in der Regel Vorgesetze und bewerten daher eher die Leistung von Frauen als umgekehrt."
Geschönte Ergebnisse in DAX-Nachhaltigkeitsberichten?
In den berichtenden DAX-Unternehmen arbeiten 51.074 Personen in der obersten Führungsebene, darunter 14.543 Frauen. Das entspricht einem Anteil von 28,5 Prozent. In der Gesamtbelegschaft liegt der Frauenanteil im Schnitt bei 33,1 Prozent. Bei 64,5 Prozent der Unternehmen ist der Frauenanteil in der Führung mindestens fünf Prozentpunkte niedriger als insgesamt. Am stärksten klafft die Lücke bei Fresenius: 67,4 Prozent der Belegschaft sind weiblich, in der Führung aber nur 28,2 Prozent – eine negative Differenz von 39,2 Punkten. Umgekehrt bei RWE: Dort sind 20,8 Prozent der Beschäftigten Frauen, in der Führung 33,3 Prozent – was einer Differenz von 12,5 Punkten entspricht.
Die meisten Unternehmen zählen zur obersten Führungsebene ein oder zwei Ebenen unterhalb von Vorstand und Aufsichtsrat. Einige nutzen eigene Definitionen. Angesichts des Auslegungsspielraums finden die Studienautorinnen es nicht überraschend, dass von rund 3,82 Millionen DAX-Beschäftigten etwa 51.000 – also 1,3 Prozent – zur obersten Führungsebene gehören. Manche Firmen weiten die Grenzen möglicherweise bewusst so, dass sie möglichst optimale Ergebnisse im Sinne der Diversität erzielen. "Das Ziel der Standardisierung und Vergleichbarkeit zwischen den Unternehmen ist in Bezug auf diese zu berichtende Kennzahl nur bedingt erreicht."
Gleichstellung: Handlungsbedarf in Unternehmen
Die Studie zeigt: DAX-Unternehmen berichten meist nur, was sie müssen. Beim Gender Pay Gap (nach ESRS S1-16) sind das die unbereinigten Zahlen – also ohne Berücksichtigung von Tätigkeit, Qualifikation oder Erfahrung. Die neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie, die bis Juni 2026 in deutsches Recht umzusetzen ist, geht jedoch weiter. Unternehmen sind künftig auch verpflichtet, den bereinigten Gender Pay Gap offenlegen und dafür gleiche und gleichwertige Stellen zu vergleichen. So treten Unterschiede zutage, die sich nicht objektiv erklären lassen – und auf Diskriminierung hindeuten. Liegt der Unterscheid über 5 Prozent, ist zusammen mit dem Betriebsrat eine objektive Neubewertung der Stellen vorzunehmen.
Die Berechnung des bereinigten Pay Gaps ist viel aufwendiger. Freiwillig tun das bisher nur zwei DAX-Unternehmen: SAP nennt einen unbereinigten Pay Gap von 20 Prozent und einen bereinigten von 5 Prozent. Die Telekom kommt auf 14,5 Prozent unbereinigt und 7,7 Prozent bereinigt. Die Autorinnen der Studie sehen darin einen kleinen Lichtblick: "Bei der Gehaltsberichterstattung zeigt sich zumindest bisher noch ein Kontrast zu der Entwicklung, dass DE&I-Initiativen zurückfahren werden."
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