Ständige Erreichbarkeit: Neue Diskussion entbrannt
Mailkonten von Porsche-Mitarbeitern sollen im Zeitraum zwischen 19 Uhr und 6 Uhr sowie am Wochenende und im Urlaub gesperrt werden, wenn es nach Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück: "Abends noch Mails vom Chef lesen und beantworten, ist unbezahlte Arbeitszeit, die den Stress erhöht - das geht gar nicht." Mails, die in dieser Zeit eintreffen, sollten automatisch an den Absender zurückgeschickt werden und nicht mehr in der Mailbox des Mitarbeiters vorhanden sein, also automatisch gelöscht werden.
Vorschlag von Porsche-Betriebsrat: Mails nach Feierabend löschen
Die Mailsperre soll nur für die tariflich bezahlten Beschäftigten von Porsche gelten, außertarifliche Mitarbeiter - etwa Führungskräfte - wären außen vor. "Wer als Manager einen hohen Bonus bekommt, der kann auch abends noch eine Mail beantworten", sagte Hück. Er setzt sich für eine entsprechende Betriebsvereinbarung ein.
Der Porsche-Vorstand reagierte zurückhaltend auf den Vorschlag: Er sei "diskussionswürdig", sagte ein Sprecher des Vorstands. Man werde sich zusammensetzen und darüber sprechen. "Wir werden gemeinsam im Gespräch die Vor- und Nachteile prüfen."
Kritik von Arbeitgebern: Individuelle Regeln gefordert
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall äußerte sich kritischer zu dem Vorschlag von Hück: "So eine generelle Forderung ist Populismus pur", sagte der Sprecher des Verbands, Martin Leutz, der "Passauer Neuen Presse".
In der Metall- und Elektroindustrie beispielsweise erklärten nach einer repräsentativen Emnid-Umfrage gerade einmal zwei Prozent aller Arbeitnehmer, dass der Arbeitgeber eine Erreichbarkeit außerhalb der normalen Arbeitszeiten erwarte. 89 Prozent aller Arbeitnehmer würden maximal einmal im Monat auch wirklich vom Vorgesetzten kontaktiert. "Wenn es ein Problem gibt, dann doch wohl nicht, dass eine Mail geschrieben wird, sondern dass das Gefühl besteht, sie müsse sofort bearbeitet werden", sagte Leutz. Dies müsse auf Betriebsebene geklärt werden.
Studienergebnisse zur ständigen Erreichbarkeit
Allerdings gaben in einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der dpa 45 Prozent der Befragten an, dass sie in der Regel mindestens einmal oder öfter nach Dienstschluss in ihr geschäftliches Mailpostfach gucken. Und die Autoren einer Studie der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) kommen zu dem Schluss, dass etwa ein Fünftel der Befragten, in ihren Schlaf- und Erholungszeiten beeinträchtigt sind. Etwa ein Drittel fühlen sich im Familienleben und bei Freizeitaktivitäten während der Wochen und am Wochenende gestört. Gut 60 Prozent der Befragten, die in der Freizeit erreichbar sind, wünscht sich deshalb gesetzliche oder betriebliche Regelungen für die Erreichbarkeit.
Beispiele aus der Praxis: So regeln Firmen die Erreichbarkeit
Diesem Wunsch nach einer unternehmensweiten Regelung sind auch schon einige Unternehmen nachgekommen: So hat der Autobauer BMW mit dem Betriebsrat vereinbart, dass Büromitarbeiter in Deutschland ein Recht auf Unerreichbarkeit im Feierabend haben. Mitarbeiter von Daimler können E-Mails während ihrer Abwesenheit automatisch löschen lassen. Die Telekom setzt stärker auf Freiwilligkeit, indem sie eine Richtlinie zum Umgang mit beruflichen E-Mails in der Freizeit verabschiedet hat. Und beim Mutterkonzern von Porsche, Volkswagen, können Tarifbeschäftigte unter der Woche zwischen 18 Uhr und 6 Uhr sowie an Wochenenden keine Dienstmails mehr bekommen oder versenden. Gelöscht werden diese aber nicht, sondern sind am nächsten Morgen im Postfach.
Auch das Spezialchemie-Unternehmen Evonik hat in Deutschland Unternehmensregeln für Vorgesetzte und Mitarbeiter zur mobilen Erreichbarkeit nach Feierabend in Kraft gesetzt. Die Evonik-Regeln sehen einen Erreichbarkeitsrahmen vor, der zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern individuell vereinbart wird, um ein gemeinsames Verständnis von Arbeitszeit und Freizeit sicherzustellen.
Empfehlung: Individuelle Regeln zwischen Mitarbeiter und Führungskraft
Solche individuellen Vereinbarungen zwischen Mitarbeiter und Führungskraft empfiehlt auch Nina Pauls, die zum Thema "Ständige Erreichbarkeit" an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg forscht: "Wir haben Vorbehalte vor radikalen Möglichkeiten, wie Server abschalten oder Emails im Urlaub zu löschen. Unsere Studienteilnehmer empfinden das zum Teil zu Recht als Gängelung. Eine zentrale Regelung ist von deren Seite aus überhaupt nicht erwünscht. Man muss aus unserer Sicht verstärkt auf Eigenverantwortung setzen, sehr starre technische Regelungen lösen das Problem nicht, dann weichen die Leute auf private Medien." Im Interview mit der Haufe Online-Redaktion fügt sie an: "Zur Erreichbarkeit gehören immer zwei Seiten: Die, die erreichbar ist und die, die erreichen will."
Diese These stützt auch eine Studie der Technischen Universität Darmstadt: Danach gestaltet die Mehrheit der Befragten (74 Prozent) die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben durchlässig. Diese Flexibilität bewerten die Befragten als äußerst positiv. Ständige Unterbrechungen und Stress seien zwar Nachteile bei diesem Work-Life-Blending, aber es gebe eben auch diverse Vorteile: Beschäftigte können Leerlaufzeiten effizient nutzen, unkompliziert zwischen beruflichen und privaten Themen wechseln und so Arbeit und Privatleben letztlich besser vereinbaren.
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