"Von Unternehmen zu Unternehmen gelten unterschiedliche Bedürfnisse"
Haufe Online-Redaktion: Worum geht es im Projekt MASTER?
Nina Pauls: Nicht alle Berufsgruppen sind vom Phänomen der „ständige Erreichbarkeit“, wir sprechen lieber von einer „erweiterten“ Erreichbarkeit – also außerhalb der bestehenden Arbeitszeiten – gleichermaßen betroffen. Für unser Projekt haben wir fünf IT-Unternehmen ausgewählt, mit deren Mitarbeitern und Führungskräften wir in der ersten Projektphase Interviews geführt haben. Wir untersuchen die Frage: Wie kann man mit Erreichbarkeit umgehen? Eine Fragebogenaktion läuft derzeit noch. Im Sommer beginnt dann die Gestaltungsphase, in der wir Workshops durchführen und gemeinsam Leitlinien zum Umgang mit Erreichbarkeit entwickeln werden.
Haufe Online-Redaktion: Was ist das Ziel Ihrer Forschungsarbeit?
Pauls: Wir wollen mehr zur Verbreitung und Häufigkeit der Erreichbarkeit herausfinden. Also konkret: Wie häufig nehme ich Anrufe an oder antworte auf Emails? Wieviel Arbeit resultiert daraus? Weiter wollen wir die Auswirkungen der Erreichbarkeit auf die psychische Gesundheit und das Privatleben untersuchen. Zuletzt geht es natürlich darum, Strategien zum besseren Umgang mit Erreichbarkeit zu entwickeln.
Haufe Online Redaktion: Bei der Befragung geht es also ausschließlich um eine berufsbezogene Erreichbarkeit?
Pauls: Ja, uns interessiert in diesem Projekt die „unregulierte“ Form arbeitsbezogener erweiterter Erreichbarkeit, also auch nicht die geregelte Verfügbarkeit wie die Rufbereitschaft. Es geht damit auch häufig um eine „freiwillige“ berufsbezogene Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten. Dieser Bereich ist in der Forschung bisher relativ schlecht beleuchtet. Auch die die private Erreichbarkeit bleibt erst mal außen vor.
Haufe Online-Redaktion: Gibt es denn erste Ergebnisse, inwiefern die Erreichbarkeit mit Risiken, inwiefern mit Chancen für die Beschäftigten verknüpft ist?
Pauls: Bislang zeigt die Forschung eher Risiken für das psychische Befinden und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die sich aus der Erreichbarkeit ergeben. Wir haben hierfür mehr als 40 internationale Studien ausgewertet. Auch die Beschäftigten unserer IT-Unternehmen im Projekt berichten in den Interviews teilweise von negativen Auswirkungen wie Erschöpfung, Stress oder mangelnder Erholungsfähigkeit. Viele berichten aber auch davon, dass die Erreichbarkeit es Ihnen ermöglicht, Arbeitsangelegenheiten flexibel zu erledigen und sie das als positiv ansehen. Weitere Ergebnisse dazu können wir Ende Mai präsentieren, wenn die aktuell laufende Online-Befragung abgeschlossen ist.
Haufe Online Redaktion: Was lässt sich über eventuelle positive Auswirkungen sagen?
Pauls: Dazu würde ich gerne etwas sagen, dies ist aber noch schwierig. Positive Einflüsse oder Bereicherung für das Privatleben sind wenig bis gar nicht erforscht. Die Forschung ist hier sehr inkonsistent, bei Studien wurden häufig keine positiven, aber auch keine negative Effekte gesehen. Klar ist: Erreichbarkeit ist häufig eine Ausweitung der Arbeitszeit. „Wenn Erreichbarkeit bedeutet: Ich bin 9 Stunden im Büro und arbeite dann nochmal 4 Stunden von zu Hause, dann habe ich es nicht mit Erreichbarkeit zu tun, sondern mit überlanger Arbeitszeit.“ Positiv ist dagegen die Möglichkeit zu sehen, flexibel arbeiten zu können. Dazu wollen wir im Projekt noch feststellen: Wie kann Ausgleich funktionieren, wird er überhaupt genutzt?
Haufe Online-Redaktion: Welchen Einfluss haben individuelle Umgangsweisen auf die Folgen ständiger Erreichbarkeit? Gibt es spezielle Erreichbarkeitstypen?
Pauls: Ja, die gibt es. Jeder hat ein anderes Leitbild, das Empfinden ist sehr subjektiv und total unterschiedlich. Jemand der sich beispielsweise starke Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben wünscht, aber einen Job hat, der das nicht zulässt, weil die Kunden es nicht zulassen, der wird Probleme kriegen. Es gibt aber auch die „Entgrenzten“, also die Beschäftigten, die ohne Probleme, nachdem sie zwei Stunden im Biergarten waren, weiter arbeiten und das auch nie aufgeben würden.
Haufe Online-Redaktion: Wie lässt sich ständige Erreichbarkeit Ihrer Ansicht nach so gestalten, dass Risiken für die Beschäftigten reduziert werden?
Pauls: Es ist ganz schwierig hier Patentempfehlungen zu geben. Von Unternehmen zu Unternehmen und teilweise von Team zu Team gelten unterschiedliche Bedürfnisse. Dass bewusstes Abschalten und bewusste Begrenzung prinzipiell möglich sein sollten, ist eine grundlegende Voraussetzung, die Ausgestaltung im Einzelnen dann zu klären.
Haufe Online-Redaktion: Genau das fällt sicher vielen Mitarbeitern schwer, wenn der Chef anruft.
Pauls: Richtig, vielleicht muss man die Leute auch vor sich selber schützen. Unsere Stichprobe besteht überwiegend aus hochqualifizierten Wissensmitarbeitern, die häufig viel Kundenkontakt haben. Die kennen es ja gar nicht anders. Die ständige Erreichbarkeit resultiert aus einem Mix aus: ich möchte das selber, weil mir meine Arbeit so viel Spaß macht oder ich mich dran gewöhnt habe und aus kulturellen informellen Anforderungen. Das bedeutet, wenn der Chef sich meldet, fühlt man sich genötigt zurückzuschreiben oder dran zugehen. Auch Ruhezeiten werden überwiegend als realitätsfremd wahrgenommen.
Haufe Online-Redaktion: Sollten Unternehmen also dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter nach Feierabend nicht mehr erreichbar sind?
Pauls: Wir haben Vorbehalte vor radikalen Möglichkeiten, wie Server abschalten oder Emails im Urlaub zu löschen. Unsere Studienteilnehmer empfinden das zum Teil zu Recht als Gängelung. Eine zentrale Regelung ist von deren Seite aus überhaupt nicht erwünscht. Man muss aus unserer Sicht verstärkt auf Eigenverantwortung setzen, sehr starre technische Regelungen lösen das Problem nicht, dann weichen die Leute auf private Medien aus oder nehmen Ausdrucke mit nach Hause. Sinnvollerweise sollten Regelungen in einem Dialog zwischen Mitarbeitern und Führungskräften gemeinsam erarbeitet werden, denn zur Erreichbarkeit gehören immer zwei Seiten: Die, die erreichbar ist und die, die erreichen will.
Dr. Nina Pauls ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Wirtschaftspsychologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Das Projekt MASTER wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit gefördert und durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fachlich begleitet.
Das Interview führte Meike Jenrich, Redaktion Personal.
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