New Work: Abschied von der Hierarchie

Viele Vertreter des New-Work-Ansatzes fordern flache Hierarchien. Doch Hierarchieebenen einfach zu entfernen ist ein antiquierter Ansatz der Arbeitsgestaltung. Professor Carsten C. Schermuly zeigt, was die Nachteile von steilen Hierarchien sind und warum flache Hierarchien kein Allheilmittel sind. 

In der klassischen Hierarchieordnung berichten alle Mitarbeiter einzeln an ihren Chef. Die Chefs berichten an den Oberchef. Er besitzt umfassende Machtgrundlagen. Er darf belohnen und bestrafen und besitzt auch die fachliche Oberhoheit. In dieser Organisation ist das sogenannte HIPPO-Syndrom vorherrschend. Die "Highest Paid Person Opinion" ist entscheidend. Der Oberchef kennt sich scheinbar am besten mit dem Fachgebiet aus, denn sonst wäre er ja nicht vor vielen Jahren Oberchef geworden. Er legt die Strategie fest. Der Oberchef hat weder direkten Kontakt zu den Mitarbeitern noch zu den Produktions- oder Dienstleistungsprozessen. Da er alles weiß, teilt er den Unterchefs mit, was er will, die dann den Mitarbeitern ihre Interpretation der Vorstellungen des Oberchefs mitteilen.

Die klassische Hierarchieordnung: Nur vertikale Kommunikation vorgesehen

Die Abteilungen sind klar voneinander abgegrenzt. Das gilt für das Personal genauso wie für die Themen. Es ist eine rein vertikale Kommunikation vorgesehen. Horizontale Kommunikation ist schwierig. Möchte ein Mitarbeiter mit einem Mitarbeiter aus einer anderen Gruppe kooperieren, dann fragt der Chef, wenn er Zeit hat, den Nachbargruppenchef, der dann wiederum mit seinem Mitarbeiter spricht.

Kommt es zu einer Kooperation, dann berichten beide Mitarbeiter an ihre eigenen Chefs, die wiederum ihre Vorstellungen an den eigenen Mitarbeiter weiterleiten. So entsteht Silodenken. Jeder denkt für sich und seinen Arbeitsbereich. In etwa so war die Planwirtschaft in der DDR und der UDSSR organisiert. So ähnlich organisieren sich auch viele deutsche Unternehmen im 21. Jahrhundert.

Das hierarchische System garantiert perfekte Kontrolle

Das hierarchische System garantiert perfekte Kontrolle. Zur Lebenszeit von Max Weber war diese Bürokratie ein Fortschritt und versprach Erfolg. Die ungebildeten Bauernsöhne am Anfang des 20. Jahrhunderts konnten in den Fabriken oder in den Amtstuben diszipliniert werden. Die Umwelten waren stabil. Die Aufgaben waren einfach. Die Menschen waren zudem an autoritäre Hierarchien gewöhnt. Sie kannten sie aus ihrem Militärdienst und hatten keine anderen Erwartungen an Führungskräfte und die Organisation. Ein Mitarbeiter war für die Rechnungen der Kunden von A bis M zuständig und der andere für diejenigen von N bis Z. Ein Arbeiter schraubte das vordere rechte Rad an das Auto an und ein anderer das vordere linke.

Doch diese Zeiten sind für viele Unternehmen vorbei. Komplexe Produkte und Dienstleistungen sind die Regel am Wirtschaftsstandort Deutschland geworden, ebenso wie der dynamische Wandel, die Vernetzung, die Unsicherheit und dazu gut ausgebildete und mündige Mitarbeiter, die wissen, wie wertvoll ihre Expertise ist.

Hierarchie bleibt Hierarchie, egal wie flach sie ist

Flache Hierarchien scheinen eine Alternative zu sein, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Durch flache Hierarchien hat es den Anschein, dass Mitarbeiter automatisch mehr Freiheiten erhalten. Das hört sich erst einmal gut an. Die Führungskraft ist nicht mehr für zehn sondern für 100 Mitarbeiter zuständig, denn statt fünf Führungsebenen gibt es vielleicht nur noch zwei. Die Führungskraft ist weiter weg vom einzelnen Mitarbeiter und damit entfernt sich auch die Kontrolle.

Sollten Sie also alle Ihre Führungskräfte rausschmeißen? Nein. Denn eine flache Hierarchie bleibt eine Hierarchie.

Flache Hierarchien und ihre Nachteile

Es wäre ein toller Zaubertrick, wenn man einfach nur das mittlere Management rausschmeißen müsste, damit Geld spart und auch noch das psychologische Empowerment erhöhen könnte. Gleichzeitig wäre das obere Management mit einem Schlag auch alle Konkurrenten los, die von unten an ihrem Stuhl sägen. Aber so einfach ist es nicht.

Flache Hierarchien, die durch ein einfaches Entfernen des mittleren Managements entstanden sind, gehen mit einer hohen Führungsspanne einher. Darunter leidet die Beziehungsqualität. Die Führungskraft kann sich nicht mehr individuell um die Mitarbeiter kümmern. Denn Führungskräfte sind nicht alle kontrollwütige Zwangspatienten. Die Rolle als Führungskraft umfasst viel mehr als die Kontrollfunktion.

Führungskräfte sind Ansprechpartner für ihre Mitarbeiter. Sie beraten und motivieren diese. Sie entwickeln ihre Mitarbeiter weiter und sorgen dafür, dass diese ihre Aufgaben erfolgreich bewältigen können. Sie stellen ihr externes und internes Netzwerk zur Verfügung und koordinieren die Aufgaben verschiedener Mitarbeiter. Manchmal besitzen Führungskräfte auch herausragendes Fachwissen, was sie an ihre Mitarbeiter weitergeben. Führung schafft Orientierung.

Führung kann man nicht einfach abschaffen

Schafft man Führung einfach ab, ohne diese Funktionen anderweitig zu kompensieren, dann bekommen viele Mitarbeiter Schwierigkeiten in der neuen Organisationsstruktur. Deswegen sind die Resultate flacher Hierarchien, die durch das bloße Entfernen des mittleren Managements entstanden sind, für viele Mitarbeiter negativ. Die Mitarbeiter werden mit dem Oberchef alleine gelassen. Der Oberchef verzweifelt, weil er so viele Mitarbeiter nicht gleichzeitig kontrollieren kann, und die Mitarbeiter werden orientierungslos. Sie schlagen sich vor lauter Anarchie irgendwann gegenseitig und dem Oberchef den Kopf ein. Durch fehlende Führung kommt es zu mehr Konflikten im Team.

Die Führungskraft als Schlichter ist nicht mehr verfügbar. Mobbing nimmt zu und auch der Stress der Mitarbeiter. Die Beziehungsqualität zwischen Führungskraft und Mitarbeiter und der Mitarbeiter untereinander ist ein wichtiger Einflussfaktor für das psychologische Empowerment. Durch die Entfernung der Führungskräfte aus einer Hierarchie, fühlen sich viele Mitarbeiter nicht mehr, sondern weniger empowert, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen eingeleitet werden. Es gibt flache Hierarchien, in denen die Mitarbeiter weniger Einfluss haben als in einer hierarchischen Organisation.

Deswegen sollten Führungskräfte nicht gedankenlos aus der Hierarchie entfernt werden. Stattdessen sollten die Rollen der Führungskräfte in der Organisationsstruktur neu definiert werden. Wie, erfahren Sie im folgenden Kapitel "Arbeiten in dynamischen Netzwerken."


Buchtipp:

Der obige Text ist ein Auszug aus dem Buch "New Work - Gute Arbeit gestalten. Psychologisches Empowerment von Mitarbeitern" von Professor Carsten C. Schermuly. Hier können Sie das Buch im Haufe-Shop bestellen.