Künstliche Intelligenz im Workforce Management

Seit 50 Jahren beschäftigt sich die Inform GmbH in Aachen mit künstlicher Intelligenz. Welche Meilensteine es in der Entwicklung intelligenter Systeme gab und weshalb KI heute eine wichtige Rolle bei der Personaleinsatzplanung spielt, erläutern Ulrich Dorndorf und Jörg Herbers.

Haufe Online-Redaktion: Der Begriff künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. War KI auch vor 50 Jahren schon ein Thema, als Ihr Unternehmen gegründet wurde?

Ulrich Dorndorf: Ja, das war ein Thema. Künstliche Intelligenz hat eine recht lange Historie, seit den 1950er Jahren, als Computer aufkamen und sich Menschen damit beschäftigten, wie sie mit Unterstützung von Computern Aufgaben bewältigen können.

Künstliche Intelligenz hat eine lange Historie 

Haufe Online-Redaktion: Was verstehen Sie unter künstlicher Intelligenz und womit beschäftigen Sie sich in Ihrem Unternehmen?

Dorndorf: Künstliche Intelligenz hat viele Teilgebiete, zum Beispiel die Abbildung von Wissen in Software und die Frage, wie man daraus Handlungen ableiten und Schlussfolgerungen ziehen kann. Ein anderes großes Teilgebiet ist das maschinelle Lernen. Künstliche Intelligenz beschäftigt sich auch damit, wie Sprache und Bilder erkannt wird und wie Roboter gesteuert werden. Aus all dem setzt sich der bunte Strauß der künstlichen Intelligenz zusammen. Als wir vor 50 Jahren gegründet wurden, legten wir den Technologiefokus auf den Bereich der optimierten Handlungspläne – mit Schwerpunkt Produktion und Logistik. Bei unserer Firmengründung ging es um die Frage, wie man gute Pläne erstellen kann, mit denen künftiges Handeln geplant werden kann. Später kam dazu, dass wir künstliche Intelligenz als Optimierungstechnik auch in der Personaleinsatzplanung nutzen.

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Haufe Online-Redaktion: Was hat sich technologisch in den vergangenen 50 Jahren getan?

Dorndorf: Zum einen hat sich die Technologie kontinuierlich weiterentwickelt, zum anderen sind neue KI-Techniken in den Fokus gerückt. Im Laufe der Jahre gab es eine Welle, in der eine Technik zur Wissensabbildung – die Fuzzylogik – in den Mittelpunkt rückte. Anfang der 1990er Jahre untersuchten wir zum Beispiel, wie mit dieser Technik autonomes Fahren realisiert werden könnte. In den 90ern war es noch nicht so weit, dass unsere Autos autonom fahren konnten und es hat sich gezeigt, dass andere Techniken, die später entwickelt wurden, besser dafür geeignet sind. Aber diese Technik der Wissensabbildung mit Fuzzylogik hat zum Beispiel dazu geführt, dass wir Betrugserkennungssysteme gebaut haben, die im Finanzwesen eingesetzt werden.

Haufe Online-Redaktion: Heute wird künstliche Intelligenz vor allem mit maschinellem Lernen verbunden.

Dorndorf: Das liegt daran, dass es unserer Wahrnehmung in der Alltagswelt entspricht. Maschinelle Lerntechniken machen zum Beispiel Spracherkennung und Sprachübersetzung möglich. Wenn wir uns heute mit unserem Handy oder mit Alexa unterhalten und verstanden werden, ist das wesentlich auf maschinelles Lernen zurückzuführen. Fahrassistenzsysteme beruhen darauf, dass sie mit maschinell angelernten Bilderkennungssystemen die Umwelt wahrnehmen. Wenn wir bei Amazon einkaufen und Empfehlungen erhalten, haben maschinell angelernte Algorithmen abgeleitet, was uns eventuell auch interessieren könnte – mit größter Erfolgschance für den Händler. Maschinelles Lernen gab es vor 50 Jahren, als unser Unternehmen gegründet wurde, auch schon, aber es hat die künstliche Intelligenz damals nicht so dominiert wie heute.

Mit intelligenten Verfahren die Entscheidungsfindung unterstützen 

Haufe Online-Redaktion: Was war der Auslöser für die Firmengründung und mit wie vielen Personen ging es los?

Dorndorf: Unser Unternehmensgründer, Professor Hans-Jürgen Zimmermann, wollte seinen Kollegen an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH Aachen) zeigen, dass man mit intelligenten maschinellen Verfahren der Entscheidungsfindung anderen Menschen helfen kann, genug Geld einzusparen, um von einem kleinen Teil dieses Kuchens selbst gut leben zu können. Wir waren anfangs sehr klein und zählten nur eine Handvoll Mitarbeiter. Damals haben wir vor allem unsere technologische Kompetenz verkauft. Später erkannten wir, dass wir Technologiekompetenz mit Kompetenz in den Anwendungsbereichen – sei es Personaleinsatzplanung, Materialbeschaffung oder logistische Aufgabenstellungen – kombinieren müssen und dass erst diese Kombination wirkliche Wertschöpfung bringt. Mit dem Strategieschwenk ging das Firmenwachstum richtig los – auf heute rund 800 Mitarbeiter.

Haufe Online-Redaktion: Wann wurde Workforce Management zu einem Thema der Inform GmbH?

Dr. Jörg Herbers: Das wurde 1996 aus einem Anwendungsbereich der Luftfahrt weiterentwickelt. Zunächst führten wir gemeinsam mit Partnern in der Bodenabfertigung von Verkehrsflughäfen Workforce Management ein. Eine Weile arbeiteten wir in Partnerkonstellationen, bis wir 2010 ein eigenes System entwickelten, das auf intelligenten Verfahren für die Entscheidungsfindung beruhte. Das geschah aus der Motivation heraus, unsere Technologieexpertise bei intelligenten Planungsverfahren auch in diesem Anwendungsbereich umzusetzen.

Flexible Arbeitszeiten, Wunschdienste und volatiler Personalbedarf

Haufe Online-Redaktion: Inwiefern kommt künstliche Intelligenz heute im Workforce Management zum Einsatz?

Herbers: Wir nutzen KI, um den Personalbedarf mit der Verfügbarkeit zusammenzubringen. Das kann in einfachen Szenarien eine relativ simple Aufgabenstellung sein. Heute ist es allerdings in vielen Fällen zu einer komplexen Aufgabenstellung geworden, weil der Personalbedarf relativ stark schwankt und die Personalverfügbarkeit viel heterogener ist als früher. Die Arbeitszeit so zu verteilen, dass sie zum Arbeitsaufkommen passt, war eine Aufgabe, die früher auch für menschliche Planer beherrschbar war. Durch die zusätzliche Komplexität, die aufgrund der genannten Faktoren entstanden ist, wird diese Aufgabe zunehmend von Verfahren der künstlichen Intelligenz übernommen.

Haufe Online-Redaktion: Wann ist der Einsatz von KI im Workforce Management sinnvoll?

Herbers: KI ist insbesondere dann interessant, wenn ein Unternehmen flexible Arbeitsmodelle hat, zum Beispiel Teilzeit-Arbeitsverhältnisse, wenn es diese flexible Kapazität verteilen und gleichzeitig Wünsche der Mitarbeiter berücksichtigen muss. In der Industrie sind noch weitgehend starre Schichtpläne verbreitet. Diese werden aber zunehmend durch flexiblere Verfahren ersetzt, bei denen Mitarbeiter ihre Wünsche einbringen können, wann und wie sie arbeiten wollen. Das Einbringen von Mitarbeiterwünschen ist nicht nur ein Thema der Work-Life-Balance, sondern ist gerade in Schichtbetrieben oft eine Lösung bei Einschränkungen durch familiäre Verpflichtungen wie Kinderbetreuung und Pflege.

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Haufe Online-Redaktion: Und das macht die Personaleinsatzplanung immer komplexer?

Herbers: Ja, flexible Arbeitszeitmodelle führen zu einer schwankenden Personalverfügbarkeit. Der Personalbedarf wird immer volatiler. Zusätzlich wollen die Mitarbeiter ihre Wünsche einbringen. Das muss alles wie ein großes Puzzle zusammengesetzt werden, was in dieser Komplexität einem menschlichen Planer sehr schwerfällt. Auch für uns stellt das eine anspruchsvolle Aufgabenstellung dar, sonst würden wir uns das nicht vornehmen. Aber durch Verfahren der künstlichen Intelligenz kann dieses große Puzzle gut zusammengesetzt werden.

Das Excel-Sheet gerät heute schnell an seine Grenzen 

Haufe Online-Redaktion: Ab wie vielen Mitarbeitern ist der Einsatz von KI sinnvoll?

Herbers: Es ist schwer, eine harte Grenze zu ziehen, weil das nicht nur von der Mitarbeiterzahl abhängt, sondern auch von der Komplexität der Planung. Wenn ein Unternehmen eine kleine Gruppe hat, die hochflexibel und mit vielen unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen arbeitet, kann es passieren, dass die Planung schon ab 60 bis 70 Mitarbeitern komplex wird. Im Allgemeinen sagen wir, dass ab 200 bis 300 Mitarbeitern eine Größenordnung erreicht wird, bei der die klassischen händischen Verfahren an ihre Grenzen geraten. Das gute alte Excel-Sheet stellt Arbeitszeiten und Pläne dar, aber ab dieser Mitarbeiteranzahl bestehen Schwierigkeiten, einen guten Plan, der zum Beispiel auch Wunschdienste enthält, zu erzeugen.

Haufe Online-Redaktion: Wie intelligent ist KI?

Dorndorf: Verglichen mit der umfassenden menschlichen Intelligenz sind die besten künstlichen Intelligenzsysteme, die es heute gibt, weniger intelligent als unser Haustier. In ihrer speziellen Nische – dort, wo sie sich nicht umfassend in der Welt orientieren müssen – sind sie jedoch hervorragend. Zum Beispiel kann ein System hervorragend Schach spielen, aber es kann nichts anderes. Unser Personaleinsatzplanungssystem kann wunderbare Dienstpläne unter Berücksichtigung all der Faktoren, die gerade genannt wurden, erstellen, aber es kann nur das. Im Bereich der künstlichen Intelligenz haben wir es heute eigentlich immer mit Nischenintelligenz zu tun. Wir haben sehr spezialisierte Systeme für eine Reihe von Anwendungen gebaut. Diese sind aber zum heutigen Zeitpunkt noch sehr weit von einer umfassenden breiten menschlichen Intelligenz entfernt.

KI wird die Arbeitswelt zum Positiven verändern

Haufe Online-Redaktion: Viele Arbeitnehmer haben Sorgen, dass Computer künftig ihre Arbeit übernehmen. Ist ein solches Szenario aus Ihrer Sicht realistisch?

Dorndorf: Hinter diesen Sorgen steckt die Befürchtung, dass sich eine breite künstliche Intelligenz entwickeln könnte, die in Konkurrenz zu uns Menschen tritt. Aber so sind die Systeme, die es derzeit gibt, nicht. Es sind Nischensysteme, die uns für ihre spezielle Aufgabenstellung das Leben leichter machen. Wenn wir Alexa sagen, sie soll uns das Licht anmachen, ist das vielleicht ein kleines Beispiel für eine Erleichterung im Alltag, weil wir nicht zum Lichtschalter gehen müssen, aber es handelt sich um eine sehr spezialisierte Nischenanwendung. In ihren Nischen sind diese Systeme meist viel besser als wir Menschen. Beim Schach haben die Menschen schon lange aufgegeben, besser als KI-Schachsysteme spielen zu wollen, aber sie nutzen sie trotzdem.

Haufe Online-Redaktion: In welchem Ausmaß wird KI die Arbeitswelt verändern?

Dorndorf: In den Bereichen, in denen die Systeme produktiv genutzt werden, geht nach meiner Einschätzung der Weg dorthin, die Kombination von dem, was das System vorschlägt, und dem, was der Mensch damit anstellt, immer produktiver zu gestalten. Die Systeme arbeiten immer nur in dem Rahmen des Weltausschnittes, den sie kennen. Der Nutzer hat ein viel umfassenderes Weltbild. Die Kombination der sehr spezialisierten Planungsmöglichkeiten des KI-Systems mit dem umfassenden Weltwissen des menschlichen Nutzers bringt nach meiner Einschätzung einen großen Vorteil. Es wird sicherlich Berufsbilder geben, die sich dadurch verändern werden. Aber ich sehe die Entwicklung positiv. Es gibt anspruchsvolle Tätigkeiten, die durch die Kombination mit KI möglich werden, und die es uns erlauben, produktiver zu werden. Einfache automatisierbare Tätigkeiten werden sicherlich mehr und mehr von KI übernommen. Wenn wir heute Geld abheben, gehen wir zum Geldautomaten statt zum Bankschalter. Aber es gibt bei der Bank weiterhin Kundenberater, die anspruchsvollere Aufgaben übernehmen als Geld auszuzahlen.


Dr. Ulrich Dorndorf ist Chief Technical Officer der Inform GmbH, Aachen. 

Dr. Jörg Herbers leitet den Bereich Workforce Management bei der Inform GmbH, Aachen.