Kommentar zum Fachkräftemangel in der Digitalbranche

Die Digitalbranche spürt wie viele andere den Fachkräftemangel. Digital-Experte Mike Schnoor zeigt in seinem Kommentar jedoch, dass Personaler häufig nicht wissen, wie sie die Fachkräfte suchen sollen. Und: Die Unternehmenskultur passt oft noch nicht zur Arbeitsweise der Fachkräfte.

Dieser scheußliche Effekt. Dieser Fachkräftemangel. Das Phänomen kennen nicht nur die Unternehmen der digitalen Wirtschaft. Nein, das erfahren alle Unternehmen, die sich aus ihrer bisherigen Komfortzone Mittelstand oder Konzern heraus bewegen und sich auf die digitale Transformation einlassen wollen - und wegen des Wettbewerbsdrucks auch müssen. Was ihnen allen jedoch fehlt, ist der grundlegende Mut, die alten Fesseln des Personalwesens zu lösen und endlich digital zu denken und auf Augenhöhe mit ihren Wunschkandidaten echtes Social Recruiting zu betreiben.

Überfordert mit der Generation Y

Fachkräfte fehlen vorne und hinten. Allein der digitalen Wirtschaft fehlen Fachkräfte im fünfstelligen Bereich  – und sie kann sie nicht finden. So klagen die deutschen Unternehmen immer wieder, ganz vorne dabei die Interessenvertreter und Verbände. Sind Unternehmen überfordert mit der Generation Y?

Social Recruiting haben viele Personaler verstanden. Doch dabei suchen die Unternehmen ihre potenziellen Kandidaten meist nur dann im Netz, wenn die Bewerbungen schon auf dem Tisch der HR-Abteilung liegen. Aber Bewerber anhand der Bewerbungsunterlagen noch einmal googeln, das ist doch nichts anderes, als wenn man seine Einkaufsliste im Netz durchgeht und kontrolliert, ob die Paprika nun rot, gelb oder grün ist. Nur wenige Personaler brechen aus diesem Schema aus und gehen selber auf die Suche: Sie kombinieren Social Recruiting mit Active Scouting.

Kandidaten direkt ansprechen  

Ja, sie wagen den Schritt hinaus und setzen auf die Recherche, die neben den eigenen Karriere-Websites und Präsenzen in den gängigen Social Networks die Möglichkeit bietet, die potenziellen Mitarbeiter einfach direkt anzusprechen. Es ist nur eine Frage des Wollens. Viele Unternehmen sind schlichtweg überfordert, die jungen Talente der Generation Y zu finden. Denn die lesen keine noch so schönen Print-Anzeigen, weil sie das Totholzmedium bis auf weiteres aus ihrem Medienkonsum verbannt haben und sich ganz Facebook, Linkedin und Twitter hingeben. Social Media sollten mittlerweile doch wirklich dabei helfen, die potenziellen Kandidaten zu identifizieren und anzusprechen.

Doch es geht gar nicht nur um diese Generation Y. Wer erfahrene Mitarbeiter sucht, will ja nicht unbedingt einen Jungspund.

Ausbildung und Weiterbildung machen bereits vieles möglich, was vor einigen Jahren noch nicht einmal im Curriculum stand. Aber gerade die Vielzahl an Quereinsteigern, die vielleicht mit den schrecklichsten Lebensläufen hausieren gehen müssen, können als digitale Themenpäpste gelten, mit denen die Unternehmen richtig punkten würden. Nur: Die kommen gar nicht in die engere Auswahl. Denn entweder sind ihre Lebensläufe nicht wunderschön im Fluss zu lesen, sondern mit Brüchen versehen, oder sie scheinen zu alt für die junge, übertrieben dynamisch geführte hippe Eiapopeia-Teamkultur. An Fachkräften mangelt es eigentlich gar nicht, wenn man nicht nur die umgarnt, die das Stellenprofil zu 100 Prozent ausfüllen, sondern diejenigen sucht, die zu 90 Prozent passen. 

Kandidat gefunden, aber nicht verstanden

Hat man den digitalen Wunschkandidat doch gefunden, geht der Spießrutenlauf aber erst so richtig los. Jetzt haben die Unternehmen ein kleines Problem. Eigentlich wollen Unternehmen trotz der digitalen Transformation ja auch weiterhin nur Mitarbeiter, die hundertprozentig in das idealtypische Standardschema einer Stellenausschreibung und damit zur Wertevorstellung der Unternehmen passen. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz.

Nur: Die neuen Mitarbeiter möchten sich entfalten und auch einfach Nein sagen können, weil sie eigene Entscheidungen treffen möchten. Junge Mitarbeiter wollen nicht mehr wie Arbeitssklaven zur Kernzeit antreten, sondern mit diesen deutsch gelernten Traditionen brechen. Oder sie bevorzugen gerade das, was die Unternehmenskultur trotz digitaler Transformation nicht adaptieren möchten: Homeoffice, Starbucks- und ICE-Office im Sinne eines mobilen Arbeitsplatzes. Oder nur die Vier-Tage-Woche anstatt des Nine-to-Five-Jobs. Oder parallel zum Angestelltendasein eigene Projekte als Jungunternehmer vorantreiben. Arbeit, Familie, Freizeit und Hobbys unter einen Hut zu bringen, sollte doch gar nicht so schwer sein. Nur die Unternehmen sehen darin eine Rebellion gegen ihre Kultur des Workflows und Wertschöpfungsprozesses.

Die digitale Arbeitswelt muss mit der Transformation mithalten

Die digitalen Denker sind dabei glücklicherweise keine digitalen Rebellen oder Internet-Plappermäuler, sondern sie haben sich in ihrer Wertevorstellung weitaus schneller in gewünschte Bahnen entwickelt als die sonst so agile Digitalbranche selbst. Alle predigen Veränderungsprozesse, Transformationsprozesse, die sich bekanntlich so schnell und rasant auswirken, dass die Arbeitswelt innerhalb von drei Jahren schon wieder ganz anders aussehen könnte. Unternehmen sollten ihre digitalen Arbeitswelten bei ihrer digitalen Transformation nicht vernachlässigen – und vielleicht auch den einen oder anderen Personaler auswechseln.

Zum Autor:

Mike Schnoor, Jahrgang 1979, ist Kommunikator, Autor, Berater und Impulsgeber für Digital Communication, Marketing, Public Relations und Social Media. Als Herausgeber von #DigiBuzz - Das Magazin für das Digital Business analysiert er aktuelle Trends, neue Ideen und Geschäftsmodelle der digitalen Wirtschaft. Auf Twitter können Sie @MikeSchnoor.

Schlagworte zum Thema:  Fachkräftemangel, Recruiting